: „Kein Bedarf“ an Frauengruppen in der DDR
■ In Ost-Berlin bemühen sich Feministinnen seit zwei Jahren um den Aufbau der ersten Frauenbibliothek der DDR / Das Projekt soll den Informationsaustausch zwischen den unabhängigen Frauengruppen fördern / Staatliche Institutionen und Kirchengemeinden weigern sich bisher, Räume zur Verfügung zu stellen / In vielen Städten der DDR gibt es mittlerweile Frauengruppen
„Wir wissen mehr über die Frauen im Westen, in Europa, Amerika, Afrika und Asien als über die Frauen in unserem Land“, ärgern sich Feministinnen in der DDR schon seit einer Weile. Deswegen haben sich einige Ost-Berlinerinnen vor zwei Jahren zusammengetan, um die erste Frauenbibliothek in der DDR aufzubauen: eine Bibliothek mit Ausleihe, einem Archiv und einem Cafe, in dem Lesungen, Diskussionen und Ausstellungen veranstaltet werden können. Ein Treffpunkt für alle interessierte Frauen, eine zentrale Kommunikationsstelle, um den Informationsfluß zwischen den unabhängigen Frauengruppen im Land zu fördern. Der Grundstein für das ehrgeizige Projekt ist bereits gelegt. In einer Privatwohnung im Ost-Berliner Szene-Kiez Prenzlauer Berg stapeln sich Kisten, auf dem Boden Bücher; ein Teil ist bereits in Regalen sortiert. Noch tragen die Titel keine Signatur, fehlt die systematische Ordnung. Zwischen dem Gesamtwerk von Rosa Luxemburg und einem Wälzer über die Situation der Frau im DDR-Recht steckt ein dünner Gedichtsband.
Das Projekt kommt jedoch nur mühsam voran. Nach zwei Jahren intensiver Suche hat sich immer noch keine Institution gefunden, die bereit ist, die Frauenbibliothek aufzunehmen und zu unterstützen. Da es in der DDR für eine private Initiative unmöglich ist, öffentliche Räume zu bekommen, versuchten die Gründerinnen zunächst, unterm Dach des „Demokratischen Frauenbund Deutschlands“ DFD Unterschlupf zu finden. Doch die Funktionärinnen - streng auf SED-Kurs winkten ab: „kein gesellschaftlicher Bedarf“. Statt dessen verwiesen sie auf ihr reichhaltiges Angebot an Handarbeitskursen und Marxismus-Leninismus-Schulungen. Auch beim staatlichen Kulturbund war die Antwort negativ. Blieb den Frauen, wie vielen anderen alternativen Gruppen, die Bittstellerei bei der Kirche. Inzwischen haben sie bei rund zwei Dutzend innerstädtischen Berliner Gemeinden schriftlich angefragt, haben auch versucht, die kirchlichen Frauengremien an ihrem Anspruch zu packen. Viele zeigten sich zwar „interessiert“, hatten bei näherem Nachfragen aber doch keine geeigneten Räumlichkeiten. Nach den Konflikten um die Umweltbibliothek in der Ost-Berliner Zionsgemeinde haben sie Angst, sich eine weitere Laus in den Pelz zu setzen, vermuten die Projektfrauen. Die unabhängige Einrichtung eines der Zentren der Alternativbewegung in der DDR war Ende 1987 von der Staatssicherheit durchsucht, mehrere MitarbeiterInnen verhaftet worden. Mahnmachen und Gottesdienste mit Tausenden TeilnehmerInnen folgten und brachten den Vorfall in die Schlagzeilen. Doch mit der Raumfrage ist das Problem noch lange nicht gelöst. Finanziell kann das Projekt weder mit staatlicher noch mit kirchlicher Unterstützung rechnen. Bleiben also nur private Spenden für die personelle und vor allen Dingen materielle Ausstattung.
Noch ist der Fundus spärlich: Knapp ein halbes tausend Bücher, ein paar Zeitschriften, Broschüren, hektografierte Dokumente. Gesammelt wird bisher noch alles von und über Frauen: Was sie und ihre Freundinnen in ihrem eigenen Bücherschrank entbehren können, was der „Nachlaß“ von ausgereisten Bekannten bietet, was über private Kanäle sporadisch aus dem Westen herüberkommt. Belletristik, überwiegend Romane von deutschen AutorInnen, Biographien, Autobiographien, Lyrik. Großer Mangel herrscht an Sachliteratur zur „Frauenfrage“, an feministischer Theorie und Analyse. Das wenige stammt außerdem aus dem Westen, aus der DDR gibt es fast nichts. Selbst die offizielle Parteiliteratur zu gesellschaftswissenschaftlichen Fragen ist rar. Und was darüber - inzwischen mit durchaus kritischen Ansätzen - an den Universitäten geforscht und untersucht wird, bleibt unter Verschluß, einsehbar nur für Leute mit „wissenschaftlichem Nachweis“. Mit dieser Begründung wurde dem Projekt zum Beispiel ein Abonnement auf eine Schriftenreihe des Wissenschaftlichen Rats der Frauen verweigert. So versucht frau erst einmal zusammenzutragen, was die unabhängige Frauenbewegung in der DDR in den letzten Jahren an eigenen Dokumenten produziert hat.
Mit Aktionen für den
Frieden fing es an
Der Anfang dieser Bewegung geht auf das Jahr 1982 zurück, als zum ersten Mal die „Frauen für den Frieden“ in Aktion traten. Ihr Protest galt einem neuen Wehrdienstgesetz, mit dem auch Frauen „während der Mobilmachung und im Verteidigungszustand“ zur Nationalen Volksarmee gezogen werden sollten. Mehr als eine der „Friedensfrauen“ landete für ihr Engagement erst einmal im Gefängnis. Im ganzen Land gibt es mittlerweile Frauengruppen. Sie treffen sich entweder in kirchlichen Räumen oder in privaten Hauskreisen. Ende Mai kamen sie in Jena zusammen - in einem Haus der evangelischen Kirche: rund drei Dutzend, von der Zwei-Frau -Müttergruppe vom Dorf bis zu den Lesben aus der Stadt. Dementsprechend breit war die Bewußtseinslage und die Themenpalette. Die einen reflektierten über Ehemänner, Kinderkrippenplätze und die Schwierigkeiten, Teilzeitarbeit genehmigt zu bekommen. Andere beschäftigten sich mit Friedenserziehung, Gewalt und Vergewaltigung. Wieder andere provozierten mit der These Feminismus ist die Theorie, Lesbischsein die Praxis, Diskussionen über das Verhältnis zwischen Frauen- und Lesbenbewegung. So verschieden die Gruppen und ihre Interessen sind, klagen sie doch über die gleichen Schwierigkeiten, Treffpunkte zu schaffen, Öffentlichkeitsarbeit zu machen, um über die eigenen kleinen Zirkel auch andere Frauen anzusprechen.
In Weimar hat es die Frauengruppe vergangenes Jahr geschafft, einmal im Monat eine Teestube für Frauen einzurichten. Eine Kirchengemeinde stellt dafür den Raum. Offene Klönabende wechseln sich ab mit thematischen Veranstaltungen, die ziemlich gut besucht sind. Jüngst trifft frau sich dort mit der Vertreterin einer „Pro-Leben„ -Gruppe über Abtreibung. Schwangerschaftsabbruch ist seit 1972 in der DDR straffrei. Vor zwei Jahren aber „schwappte“ die LebensschützerInnenbewegung vom Westen rüber und formiert sich nun in kirchlichen Kreisen. Sie geht mit schauerlichem Ton-Dia-Material auf Vortragsreisen. Die Sprachfärbung dieser „Informationen“ wird auch von DDRlerinnen unschwer als Bayerisch identifiziert.
Um einen Treffpunkt bemüht sich auch seit fast einem Jahr die Initiative „Frauen für Frauen“ in Dresden. Der DFD schickte die Antragstellerinnen zunächst von einer Ebene im Apparat zur anderen, fühlte sich letztlich aber für einen „unabhängigen, offenen Klubbetrieb nicht zuständig“. Nun hat der Kulturbund grünes Licht gegeben. Wenn nicht doch noch eine Absage kommt, soll dort demnächst die erste Veranstaltung steigen. Anfang der 80er Jahre kostete einer aufgeschlossenen Klubhausleiterin in Leipzig ein solches Angebot noch ihre Stelle. 70 Teilnehmerinnen waren in ihrem Haus zu einem Frauenforum zusammengekommen. Daraufhin wurden weitere Veranstaltungen vom Programm gestrichen. Die Leiterin des Klubhauses wurde kurze Zeit später in die Verwaltung versetzt.
Nicht nur einen Raum,
sondern ein Zentrum
In Erfurt haben sich fünf Frauengruppen zusammengetan. Sie wollen nicht nur einen Raum sondern gleich ein ganzes Frauenzentrum, wo es neben einem offenen Cafe- und Veranstaltungsbetrieb auch ein Beratungsangebot und feste Arbeitsgruppen geben soll. Vielleicht ist auch Platz für eine Notaufnahme für mißhandelte Frauen. Die Verhandlungen mit der Kirche um ein Haus oder eine Etage blieben bisher ergebnislos.
In Jena gibt es seit 1986 eine Lesbengruppe. Übrigens nicht die einzige in der DDR. Landesweit sind es inzwischen mindestens zwölf. In den Räumen der evangelischen Studentengemeinde fanden sich die Jenaerinnen zu einer offenen Gesprächs- und Selbsterfahrungsgruppe zusammen. Doch die Initiatorinnen waren es irgendwann leid, nur als Therapeutinnen für Alkohol- und Beziehungsprobleme zu fungieren. Seit Anfang diesen Jahres stecken sie ihre Energie in die Herausgabe eines Rundbriefes für Lesben. 'Frau Anders‘ heißt das kleine zweimonatige Blatt; darin finden sich Selbstdarstellungen verschiedener Lesbengruppen in der DDR, Berichte über die Arbeit der schwul-lesbischen Arbeitskreise oder über Frauenseminare, Beiträge über feministische Sprachkritik oder feministische Theologie, Kontaktadressen, Veranstaltungs- und Buchtips. 'Frau anders‘ soll die Kommunikation unter den Lesbengruppen fördern, Öffentlichkeit über diesen kleinen Kreis hinaus kann sie mit ihrer Auflage von 100Stück gar nicht leisten. Gedruckt wird auf einem Laserstrahlvervielfältiger, den das Thüringische Frauenwerk der evangelischen Kirche freundlicherweise zur Verfügung stellt. Den Toner für das Gerät besorgen Freundinnen aus dem Westen. Das Papier kaufen sich die Zeitungsmacherinnen in verschiedenen Läden zusammen. Über „Buschfunk“ hat sich 'Frau Anders‘ herumgesprochen und erhält rege Zuschriften und Anfragen. Schon länger im Umlauf ist das 'Lila Band‘, eine kleine Zeitschrift von Frauen aus der Kirche und 'Das Netz‘, ein Informationsbrief des Arbeitskreises „Feministische Theologie in der DDR“. Auch andererorts ist zu vernehmen, daß Frauen sich im Zeitungmachen probieren wollen.
All diese Dokumente und manches mehr sollen eines Tages in der Frauenbibliothek interessierten Frauen zur Verfügung stehen. Hervorgegangen ist die Initiative aus einer Gruppe, die vor zwei Jahren das erste Frauenzentrum in Ost-Berlin gründete. Einmal im Monat finden dort Diskussionsveranstaltungen oder offene Gesprächsabende statt. Beheimatet ist das Zentrum in den Räumen einer Kirchengemeinde, weit draußen am Stadtrand, was die Attraktivität für potentielle Interessentinnen erheblich mindert. Die Bibliotheksfrauen hoffen auf einen zentraleren Standort für ihr Projekt. Darüber hinaus wünschen sie sich finanzielle und materielle Zuwendung, Zeitungsabonnements und Buchspenden - auch aus dem Westen.
Katharina Schmutz
Wer die Frauenbibliothek unterstützen will oder Kontakt sucht, wende sich bitte schriftlich oder telefonisch an die Frauenredaktion der taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen