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Geschichte im hitverdächtigen Remix

■ Seit Montag zeigt die ARD um 20.15 Uhr eine zwölfteilige Reihe, die dem Beginn des Zweiten Weltkrieges dokumentiert

Nazideutschland, Faschismus, Antisemitismus, der Zweite Weltkrieg - Themen, die in den bundesdeutschen Fernsehanstalten inzwischen fast zur Routine gehören. Die Palette des Gebotenen ist vielfältig, sozusagen für jeden Geschmack etwas dabei: Vom Holocaust als rührseliger Familienschmonzette, die Waltons im KZ oder so ähnlich, bis zur mitternächtlichen Expertendiskussion für Leute mit Schlafstörungen. Dabei geht es häufig weniger um Aufklärung, um das Verstehen von Geschichte, das zukünftig vielleicht geschichtswirksam sein könnte, als um das öffentliche Herzeigen einer nachgeplapperten Moral, die heutzutage zum guten Ton gehört und 1945 schlagartig Heerscharen dumpfer Nazischweine zu einem Volk klammheimlicher Regimegegner mutieren ließ. Klar also, daß der 50.Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen nicht ohne öffentlich-rechtliche Resonanz verstreichen darf. August '39: Elf Tage zwischen Frieden und Krieg heißt die Reihe, die das Erste zu diesem Anlaß bringt. Mehr als eine bloße Pflichtübung, wie es scheint. Henric L.Wuermeling, der verantwortliche Mann für Zeitgeschichte im Bayerischen Rundfunk, hat eine Sendeform konzipiert, die in der Tat neue Wege beschreitet. In zwölf Minidokumentationen vom 21.August bis zum 1.September gibt es nach den aktuellen Nachrichten der Tagesschau noch einmal simulierte Aktualtität aus den letzten Tagen vor Kriegsbeginn: das Wichtigste vom Tage aus dem Jahre 1939. In dramaturgischer Hinsicht ist die Idee nicht nur neu, sondern auch effektiv: der Countdown zum Zweiten Weltkrieg läuft, Spannung entsteht, die Chronologie der Ereignisse wird konkret nachvollziehbar. Hinzu kommt, daß die Kürze der jeweiligen Sendung, was auch der 'Spiegel‘ in seiner Vorankündigung „wohltuend dosiert“ genannnt hat, der oft auf Videocliplänge geschrumpften Geduld heutiger Zuschauergenerationen Rechnung trägt. Geschichte im hitverdächtigen Remix. Die Kehrseite solcher Flottheiten liegt auf der Hand: Komplexe Situationen werden gerne auf einen einfachen Nenner gebracht, Ungenauigkeiten in Kauf genommen, Zusammenhänge trivialisiert oder verdrängt. Die erste Folge zeigte, wie so etwas im Resultat dann aussieht: 21.August 1939, bald, in elf Tagen, ist Krieg und - keiner geht hin; denn ganz Deutschland liegt im Schwimmbad oder sonstwo sorglos in der Sonne. Ganz Deutschland? Nein, nicht ganz! Auf dem Obersalzberg, fernab des heiteren Treibens in den Bädern, Parks und Cafes sitzt einer, der Finsteres plant. Richtig, es ist Hitler, der sich den Zweiten Weltkrieg ausdenkt. Fortsetzung im nächsten Heft.

Ein Volk von ahnungslosen Opfern auf der einen Seite und der verbrecherische Einzeltäter auf der anderen also. Balsam fürs geschundene Nationalbewußtsein: Wir waren's nicht, Adolf Hitler ist es gewesen. So schlicht und bequem kann Geschichtsklitterung sein. Da rettet denn auch manches interessante Filmdokument nichts mehr, das für das Projekt verbraten wurde.

Marcel Hartges

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