: Helmut Kohl und die neu-rechte Zellteilung
■ Von Claus Leggewie
Was sich in den letzten Jahren im „Richtungsstreit“ zwischen Bonn, München und einigen Nordlichtern während der heißen Tage angebahnt hat, was dann in Gestalt der Reps zur organisatorischen Abspaltung der zweiten Rechten auswuchs, greift nun die Substanz der „großen Volkspartei der Mitte“ an. Mit dem Rausschmiß Geißlers riskiert der Vorsitzende der CDU den Machtkampf und die Spaltung der Union. Er setzt ein parteigeschichtlich ziemlich einzigartiges Erbe aufs Spiel, bei dem man sich ohnehin wundern mußte, wieviele wie lange davon gezehrt haben: die Hinterlassenschaft Adenauers und Erhards. Gleich ob man es auf das Wirken (beziehungsweise Fehlen!) „großer Männer“ zurückführt (des seligen Franz Josef Strauß nämlich) oder auf die weltpolitische Großwetterlage mit dem „Ende des kalten Krieges“: Die Gesteinsformation Deutschlands erscheint wieder unter der dünnen Grasnarbe Bundesrepublik, also das alte Fünf-Parteien -System mit den diversen Formationen der Rechten, die nicht in ein Unionskonzept hineinpassen. Das paßt(e) zur Bundesrepublik; wer jedoch Deutschland liebt, der will auch starke Konservative, teutonische Tories ohne Vergangenheitsgedusel und mit (Groß-)Machtvisionen. Fragt sich noch, ob die CDU jetzt in toto darauf zusteuert (und Abspaltungen in der Mitte produziert) oder die Reps ihre gegenwärtige Wachstumskrise in diese Richtung überstehen. Wir sind nicht Zuschauer eines „Sommertheaters“, sondern Zeugen eines Fragmentierungsprozesses der westdeutschen Rechten.
Kohls Notwehrakt
Diese Tendenz begann schon in den sechziger Jahren, als sich um das marode Parteizentrum des Kanzlerwahlvereins CDU herum gleichzeitig agile Modernisierer (mit Kohl und Geißler an der Spitze) und ultrarechte Traditionalisten aufmachten; damals funktionierte die politische Mechanik aber noch so, daß die „linken“ Modernisierer sich unter Hinweis auf die rechte Gefahr selbst des Zentrums bemächtigten - eine Reform von oben, die gelingen konnte, weil die Union mittlerweile auf den Oppositionsbänken saß. Christlich-soziale Reformer, in der Gesamtpartei eigentlich Leichtgewichte, konnten sich so als originäre Erbwalter der sozialen Marktwirtschaft an die Spitze setzen, Programm, Personal und Organisation der Partei runderneuerte schon Biedenkopf. Kohls erster General scheiterte an der Profilierung dieser Linie - und flog (auch er, nebenbei, weil er dem Chef zu forsch und eigenmächtig wurde). Erst recht wurde Geißler einHeiner Ohneland, als er die Geschwindigkeit des CDU-Tankers über- und die Kraft der rechten Bremser in Fraktion, Mittelstandsvereinigung, deutsch-nationaler Presse und engagierten think tanks unterschätzte und sich dabei gleichwohl zum regelrechten Rivalen des Dauerverlierers Kohl mauserte. Seine Konspiration gegen Kohl war keine Wahnvorstellung des Kanzlers, auch keine bloße Retourkutsche des Mannes mit dem Elefantengedächtnis; Geißlers Position wurde gefährlich, weil die Union längst wieder, wie in den sechziger Jahren, vor dem Kanzlersturz steht. Aus Kohls Sicht war Geißlers Sturz ein Akt der Notwehr. Denn wir könnten die Geschichte dieses „Sommerlochs“ einmal anders lesen: als endgültiges Ende Kohls.
Kohl setzt wohl darauf, daß seine Kritiker (und das sind zur Zeit außer den oben zitierten alle!) sich nach ein paar Tagen beruhigen und in Bremen auf dem Parteitag nur Dampf ablassen. Denn die CDU-Basis ist nicht nur uneins, sondern auch in der Zwickmühle: Wie soll denn die Demontage des Kanzlers konkret vor sich gehen? Späth und dem Rest des Bundesvorstandes geht es nicht viel besser; wer da den Brutus spielt, kann sich schon als Oppositionschef und Verantwortlicher für die Niederlage vorbereiten - Geißler inbegriffen, der ohnehin als „Radikaler“ und Unruhestifter gilt.
Der Rechtsschwenk
Mit Geißler abwärts - rein arithmetrisch hatten 'FAZ‘ und 'WamS‘ mit ihrem Dauerfeuer so unrecht nicht: in Geißlers zweiter Amtsperiode gingen Millionen (Wechsel- wie Stamm -)Wähler stiften und Hunderttausende von zahlenden Mitgliedern dazu. Mit Kohl wieder aufwärts - das glauben allerdings vorerst nur die Heimatvertriebenen, die konfuse CSU, der CDU-Bäckermeister aus Kempen-Krefeld und Oma Krause. Und natürlich die Reps, die schon die Regierungsgeschäfte mitführen. Warum setzt Kohl nicht Geißlers Doppelstrategie fort, die ja populistisch weit genug gespannt war, um Rechte mit dem rot-grünen Gespenst einzufangen und moderne Wechselwähler mit der Süßmuth-Linie zu interessieren? Weil das mit Geißler nicht geht.
Es soll aber weiter klappen mit dem Neuen, der jetzt in die Pflicht genommen wird; Geißlers Nachfolger muß zu jeder Schandtat gegenüber den (wie die CDU und alle Welt glaubt: nur einmalig und probeweise) abgewanderten Rep-Wählern bereit und trotzdem der „kritischen Mitte“ vorzeigbar sein, die Rot-Grün mißtraut und Greenpeace trotzdem mag. Mit Geißler (und seinen Helfern in der Parteizentrale) war aber nur ein strikter Abgrenzungskurs nach rechts und eine Verdeutlichung der Modernisierungslinie zu haben.
Faktisch hat die Union damit einen deutlichen Rechtsschwenk vollzogen, um der neu-rechten Zellteilung Herr zu werden. Da wir Kohl als Politiker ohne Köpfchen, aber mit Instinkt kennen, läßt sein einsamer Schritt besorgte Schlüsse auf die bereits erreichte Stärke des Rechtspotentials zu. Wir haben schon zweierlei Rechte. Kohl sucht eine „eigene Mehrheit„; er versucht, die häßliche Verwandtschaft mit diesem Gewaltakt 1990 an den Katzentisch (unter fünf Prozent) zu verbannen. Warum aber sollte sie sich klein machen, wenn sie schon als Phantomschmerz den Etablierten solche Pein macht? Hält Schönhuber seine diversen „Modernisierungsverlierer“ beisammen, bleibt für die CDU nur die Koalition mit ihm.
Dann müssen wir, die wir doch schon auf dem Weg zum rosa -grünen Sommerausflug waren, uns warm anziehen. P O R T R A I T
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