: Vom Wohnviertel zur Quecksilbermine
Frankfurter Degussa-Tochter E&F hat mehrere Stadtteile mit dem Schwermetall verseucht / Werte 50mal höher als Grenze für Sanierungsempfehlung ■ Von Thomas Rahner
Der Umweltskandal um die ehemalige Quecksilberverwertungsfirma und heutige Degussa-Tocher Ellwenn & Frankenbach (E&F) in Frankfurt zieht immer weitere Kreise. War von großflächigen Quecksilberverseuchungen durch die Firmenaktivitäten bisher nur der Stadtteil Griesheim betroffen, so haben jetzt auch die Untersuchungen von früheren Außenlagern der Firma in Hoechst, Bockenheim und im Westhafen hohe Quecksilberverschmutzungen ergeben. Sowohl der Boden als auch naheliegende Gebäude sind verseucht. Auf dem Gelände Voltastr.74-80 in Bockenheim fanden die Wissenschaftler vom Batelle-Institut jetzt Werte bis zu 536,5 Milligramm Quecksilber pro Kilogramm Boden. Nach der üblicherweise verwendeteten, aber nicht rechtsverbindlichen „Holländischen Liste“ - eine niederländische Richtwertliste, an der hiesiege Behörden sich orientieren - ist bereits ab einem Gehalt von 10 Milligramm pro Kilo eine Sanierung des Bodens vorzunehmen. Die Untersuchung von drei weiteren früheren E&F-Lagerplätzen steht noch aus. Einer davon, in Frankfurt-Hoechst, liegt in der Nähe einer Schule und einer großen Behindertenwerkstatt.
Die Chronik dieses nach den Vorkommnissen in Marktredwitz zweitgrößten Quecksilberskandals der Bundesrepublik liest sich wie ein Schauermärchen. Da hat die gesamte chemische Industrie einem von 1972 bis 1987 arbeitenden Kleinbetrieb Unmengen von Quecksilberabfällen, etwa Rückstände der zur Chlorgewinnung angewendeten Alkalielektrolyse, aber auch schlichte Altbatterien, zur Rückgewinnung dieses Edelmetalls geliefert. Was dann tatsächlich rund um den Ofen auf dem Werksgelände in Griesheim geschehen ist, hat niemanden mehr interessiert. Die Gewerbeaufsicht hat zwar regelmäßig ihre Vertreter zu E&F geschickt, aber angeblich hat keiner etwas gemerkt. Dabei müssen während all dieser Jahre Unmengen von Quecksilber verdampft oder ausgelaufen sein.
Jetzt wird von amtlicher Seite geschätzt, daß allein im Boden des mittlerweile vollkommen asphaltierten Betriebsgeländes 16,5 Tonnen Quecksilber liegen. Selbst in 5 Meter Tiefe ist die Konzentration noch optisch erkennbar. Die Verseuchung selbst geht bis in 20 Meter Tiefe und hat längst das Grundwasser erreicht. Kein Wunder, daß eine der dringendsten Forderungen der in der „Bürgerinitiative Griesheim gegen Quecksilber“ (BI) organisierten Anwohner die nach umfassenden Grundwasseruntersuchungen und Schutzmaßnahmen ist.
Schon ein Gutachten der Firma Lurgi vom Dezember 1988 forderte unmißverständlich: „Das kontaminierte Grundwasser muß in einer auf dem Gelände umgehend zu errichtenden (mobilen) Abwasserreinigungsanlage gereinigt werden.“ Demgegenüber sah der ehemalige Umweltdezernent Daum (CDU) noch im Janauar 1989 keine Gefahr für das Grundwasser. Mit dieser Einschätzung befand sich der im Mai nach der Kommunalwahl abgewählte realkonservative Politiker in einer eigenartigen Übereinstimmung mit einem Fachmann des realen Sozialismus aus der DDR: Auf der Suche nach Quecksilber -Fachleuten wurde auch die Bauakademie der DDR in Ost-Berlin um Rat gefragt. Zum Thema Grundwasser stellte ein gewisser Professor Schulz in dem Begleitschreiben zu seinem Frankfurter Gutachten lakonisch fest: „Die mögliche Wassergefährdung stellt angesichts des bereits bestehenden ökologischen Zustandes des Gebietes eine übertriebene Besorgnis dar.“
Diese Ansicht wird vom neuen Frankfurter Umweltdezernenten Tom Koenigs (Grüne) nicht geteilt. Sein Büro hält genauere Grundwasseruntersuchungen auf jeden Fall für erforderlich. Doch auch das ist nicht genug in den Augen von Klaus Weibler, dem Rechtsanwalt der BI. Er fordert dringend Sanierungsmaßnahmen für das Grundwasser. Offenbar mit gutem Grund. Direkt unter dem versiegelten Betriebsgelände seien, so der Anwalt, erste Anzeichen für eine Verringerung der Quecksilberbelastung im Grundwasser erkennbar - die Meßwerte sinken. Da kein Regenwasser mehr versickern könne, würde auch kein Quecksilber nach unten gespült. Dafür stiegen die Meßwerte unter den benachbarten, nicht asphaltierten Grundstücken drastisch an und überträfen die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung um ein Vielfaches.
Wenn Degussa bockt,
geht E&F pleite
Auch für die BI macht sich der Magistratswechsel in Frankfurt bei diesem Umweltskandal positiv bemerkbar. Das Umweltdezernat gibt Meßwerte nun deutlich schneller der Öffentlichkeit bekannt, die BI hat Rederecht und Einfluß bei Behördenbesprechungen, und auch die Presse wird offensiver mit Informationen versorgt.
Trotzdem mahlen der BI die Mühlen der Behörden noch immer viel zu langsam. Sie hält weitere Sofortmaßnahmen für erforderlich. Dazu gehört das Absperren der verseuchten Umgebung des E&F-Betriebsgeländes und eine Grundreinigung der umliegenden Wohnhäuser. Betroffen wären etwa 100 Wohnungen, zum Großteil in Siedlungsblöcken des sozialen Wohnungsbaus.
Im Prinzp rennt die BI bei Koenigs offene Türen ein. Doch der städtische Handlungsspielraum ist aus verschiedenen Gründen eingeschränkt. Da ist zum einen der stets drohende Konkurs von E&F. Die Degussa als Hauptgesellschafter muß nur den Geldhahn völlig zudrehen, und schon bleiben alle Kosten am Steuerzahler hängen. Und das sind mit Sicherheit etliche Millionen Mark. Da ist zum anderen der Behördendschungel, der schnelle Entscheidungen behindert. Je nach Spezialproblem können das Gesundheitsamt, das Regierungspräsidium, die Wasserbehörde, die Bauaufsicht oder eben das Umweltamt zuständig sein. So sieht Koenigs eine seiner Aufgaben auch darin, „Druck zu machen“. Druck auf die anderen Behörden, auf E&F und auf die dahinterstehende und deshalb eigentlich verantwortliche Degussa.
Sanierungskonezpt der
Nukem greift zu kurz
Nicht zuletzt auf städtischen Druck hin hat E&F ein bei der Nukem in Hanau (jene Firma, die durch den Atommüllskandal traurige Berühmtheit erlangt hat) in Auftrag gegebenes Sanierungskonzept vorgelegt. Auf dieser Grundlage soll nun bei einer naheliegenden Kindertagesstätte und rund um einen stark betroffenen Wohnblock in Griesheim der Boden bis zu 20 cm Tiefe abgetragen werden. Dieser stark quecksilberhaltige Bodenaushub wird als Hausmüll der Kategorie I eingestuft und kann, so die Auskunft des Regierungspräsidiums in Darmstadt, ohne weitere Genehmigungserfordernisse auf die Mülldeponie Buchschlag bei Frankfurt gebracht werden.
Das auf dem Nukem-Papier basierende Konzept von E&F hat bei der Stadt jedoch keine Begeisterung entfachen können. Koenigs kennzeichnet es als „nicht in sich geschlossen. Die Vorschläge greifen zu kurz.“ So gibt es keinen sachlichen Grund, den Boden rund um die anderen betroffenen Wohnblöcke von der Sanierung auszunehmen. Ferner fehlen Vorschläge zur Innenraumsanierung. Die Probleme mit dem Grundwasser und dem Boden des Betriebsgeländes werden von E&F erst gar nicht thematisiert.
Trotzdem geht die Stadt auf das Konzept ein, um endlich den Sanierungsbeginn zu erreichen. Bis Ende August soll der erste Bodenaustausch erfolgt sein. Damit hat die Degussa als der Geldgeber im Hintergrund denn auch in aller Öffentlichkeit die Veranwortung für die Gesamtsanierung übernommen. So lautet jedenfalls die Lesart des Umweltdezernates.
Bundesgesundheitsamt
sieht Gefahren
Die Degussa dagegen weist im Fall E&F jede Verantwortung von sich. Auf Nachfrage hatte sie nur die Antwort bereit, die Firma wolle auch nach den neuen Giftfunden in anderen Frankfurter Stadtteilen „keine aktuellen Äußerungen abgeben“. Eine aktuelle Äußerung liegt dagegen seit einiger Zeit vom Bundesgesundheitsamt (BGA) in Berlin vor. Dessen Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene sieht durch die Quecksilberverseuchungen vor allem das Grundwasser potentiell gefährdet, die „Frage nach dem unmittelbaren Handlungsbedarf ist insoweit klar zu bejahen“. Nach einem Ortstermin zeigten sich die BGA-Experten jetzt noch besorgter: Die Lage sei schlimmer als befürchtet. Für Ende September hat die Stadt zu einer Expertenanhörung eingeladen.
Während E&F durch die Androhung gerichtlicher Schritte versucht, ehemalige Arbeiter, die als unangenehme Augenzeugen in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, zum Schweigen zu bringen, stellt sich für die BI die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Im April hat sie durch eine Übernachtungsaktion mit Schlafsäcken im Büro des städtischen Umweltreferatsleiters Tesar ein Open-End-Gespräch mit ihm erreicht. Vielleicht wäre für eine ähnliche Aktion die Degussa der richtige Ansprechpartner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen