: PLO will Beitritt zur Genfer Konvention
Schweizer Regierung als neutrale Depositarmacht in der Klemme / Israel und USA protestieren gegen die Aufnahme der PLO / Berner Außenministerium untersucht den Status Palästinas ■ Aus Basel Th. Scheuer
Zum Auftakt spielte das Berner Symphonieorchester Felix Mendelsohns Meeresstille und glückliche Fahrt. Anschließend beschworen die honorigen Redner das humanitäre Völkerrecht. Als dessen Geburtsstunde gilt die Unterzeichnung des ersten Genfer Abkommens zum Schutze der Kriegsopfer vor 125 Jahren, zu dessen Jubiläum das eidgenössische Außenministerium am Dienstag zum Festakt ins Berner Casino geladen hatte. Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz appellierte an alle Staaten, die vier Genfer Konventionen von 1949, also die modernisierten Neuauflagen der Ur-Konvention von 1864, zu beherzigen sowie die neueren Zusatzprotokolle zu ratifizieren.
Eigentlich müßte sich der Mann freuen: hat doch erst kürzlich der Jung-Staat Palästina seine Aufnahme als 165. Vertragspartner in die Konventions-Familie angemeldet. Doch das Ansinnen der Palästinenser bereitet den Eidgenossen Ungemach.
Yassir Arafats PLO hat die Genfer Konventionen offenbar als Vehikel im Kampf um die diplomatische Anerkennung des bisher nur auf dem Papier existierenden Staates Palästina entdeckt, nachdem ihr der Beitritt in einige Unterorganisationen der UNO verwehrt wurde. Die faktische Anerkennung der Genfer Konventionen hat die PLO schon 1982 verbindlich zugesichert.
Nun hat die PLO in Bern den Beitritt „Palästinas“ zu den Genfer Konventionen angemeldet - und damit die Alpenrepublik als neutrale Depositarmacht der Abkommen in die diplomatische Zwickmühle gesetzt: Denn wie Bern auch entscheidet, großes Geschrei wird es auf jeden Fall geben. Einige Völkerrechtler argumentieren, die PLO vertrete zwar noch keinen eigenen Staat, stelle mit eigenen Streitkräften, Botschaften und einer Währung aber ganz klar eine „Macht“ im Sinne des Konventionen dar.
In den Texten ist nämlich von „Mächten“, nicht von „Staaten“ als Vertragsparteien die Rede. Die Palästina -Befürworter können ihre Position außerdem auf einen Präzedenzfall stützen: 1960 wurde die Provisorische Revolutionsregierung Algeriens, die damals - zwei Jahre vor der Unabhängigkeit - noch im Exil residierte, Mitglied der Genfer Konventionen.
Womöglich löst das PLO-Gesuch nun auch einen Expertenstreit über die Rolle der Schweiz als Depositarmacht aus. Laut Vertragstext hat Bern nämlich die Notifizierung eines neuen Mitglieds lediglich allen anderen „Mächten“ innerhalb von sechs Monaten mitzuteilen. Gegen diesen Automatismus haben Israel und die USA in Bern vorsorglich heftigen Einspruch eingelegt, obwohl die Schweizer die PLO-Notifizierung noch gar nicht weitergeleitet haben.
Bereits im Mai hatte Bern eine erste PLO-Notifizierung zurückgewiesen - offiziell wegen Formfehlern, weil sie „nicht den anerkannten internationalen Gepflogenheiten entsprach“. Am 21. Juni reichte die PLO dann eine formvollendete Neufassung nach. Derzeit versucht die Völkerrechtsdirektion des Berner Außenministeriums, den Status des am 15. November letzten Jahres in Algier ausgerufenen PLO-Staates zu klären.
Wegen der politischen Brisanz wird jedoch der Bundesrat, also die Regierung, selbst die endgültige Entscheidung treffen. Bis Dezember hat er dazu Zeit.
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