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Die Anderen: Liberation/Corriere della Sera/Algemeen Dagblad/Le Monde

Liberation

Den Rückzug der Kommunisten Polens aus der Führung der Regierungsgeschäfte kommentiert die linke Tageszeitung:

Lech Walesas Bewegung ist ein Engagement eingegangen, ohne das ein Kompromiß nicht möglich gewesen wäre: das Bündnis Polens mit dem Warschauer Pakt einzuhalten. Dennoch bedeutet die Ernennung von Tadeusz Mazowiecki, daß ein ungeschriebenes politisches Gesetz dieses Bündnisses geändert wurde, wonach nämlich jedes der Paktmitglieder von einer kommunistischen Partei regiert werden muß. Die polnische KP hat das wohl verstanden und vorgeschlagen, den Hinweis der Führungsrolle der Partei aus der Verfassung zu nehmen. Das erklärt, weshalb man sich in Warschau nun ernsthaft die Frage stellt, ob die nahe Zukunft Polens nicht in einem Statut nach dem Muster Finnlands liegt, bei dem die gutnachbarlichen Beziehungen mit der UdSSR nicht ein Militärbündnis einschließen.

Natürlich scheint es undenkbar, daß die Sowjets auf die polnische Komponente in ihrer Verteidigungspolitik verzichten könnten. Aber gehört das wirklich in den Bereich der Träume? Wer hätte noch vor sechs Monaten gedacht, daß Moskau einen Ministerpräsidenten von Solidarität benennen läßt? Der Telefonanruf von Gorbatschow an den ersten Sekretär der polnischen KP zeigt, daß Gorbatschow über die polnischen Angelegenheiten besorgt ist, aber daß er sich entschieden hat, nicht zu intervenieren.

Corriere della Sera

Die konservative Mailänder Tageszeitung schreibt zum gleichen Thema:

In diesen Augusttagen, in denen sich bittere Jahrestage drängen, ist die polnische Nation zum Promotor der Ereignisse geworden, die eine tiefe Furche graben, die unsere Geschichte in eine neue Richtung und mit neuer Hoffnung weit vorwärts zu treiben scheint. Polen ist, wie alle sagen, ein Land im Zusammenbruch, ein Land das zwischen der Revolution und dem Ungewissen schwebt.

Algemeen Dagblad

Zu den Autonomiebestrebungen im Baltikum schreibt die in Rotterdam erscheinende liberale Tageszeitung:

Entkolonialisierung ist ein schmerzhafter Prozeß, den der Westen schon lange hinter sich hat und der jetzt in der Sowjetunion zu beginnen scheint. Was die ganze Welt schon wußte, wird den Russen deutlich gemacht: Der Bestand der Sowjetunion, der mit dem Griff der Kommunisten nach der Macht begann, basiert nicht auf dem Volkswillen.

Moskau steht vor einem lebensgroßen Dilemma. Zugeständnisse an das Streben nach Unabhängigkeit der baltischen Länder hätte einen Schneeballeffekt auf die anderen Republiken. Das Niederschlagen von nationalistischen Kundgebungen, wie es dieses Jahr in Georgien geschah, hätte einen gegenteiligen Effekt. Es würde nur die Entschlossenheit der Bevölkerung verstärken, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.

Es gibt hier keine Lösung. Mit Gewalt kann zeitweilig die 'Ordnung‘ wiederhergestellt werden, aber der Geist ist aus der Flasche und kann nicht wieder hineingedrängt werden.

Le Monde

Zu der Lage im Baltikum meint „Le Monde“:

Man hätte glauben können, ein großer Schritt in Richtung auf die Balten sei im vergangenen Juli getan worden, als der Oberste Sowjet der UdSSR eine Resolution billigte, die ihren Republiken ab 1. Januar eine Form wirtschaftlicher Autonomie einräumt. Die Dinge bewegen sich jedoch sehr schnell in dem, was gestern noch der 'Sozialistische Block‘ genannt wurde, der aber täglich an Zusammenhalt verliert zu einer Zeit, da sich Polen einen nichtkommunistischen Regierungschef genehmigt. Die Art der Demonstration in den Baltenländern am Mittwoch - und die scharfen Reaktionen, die sie in Moskau auslöste - ist das Zeichen für politische Spannungen, die sehr schwer zu meistern sein werden. Gorbatschow zieht für die Entschärfung derartiger Spannungen den Dialog vor. Das war bisher mit den baltischen Nationalisten der Fall. Kann er sich darauf verlassen, daß die Anführer der Volksfronten, in denen die Nationalisten zusammengeschlossen sind, vernüftig genug sind, um die Explosion zu verhindern - und daß sie die Mittel haben werden, um die berechtigten Forderungen ihrer Truppen im Zaume zu halten?

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