: Andachtsraum und Denkraum
■ Zur deutschen Erstveröffentlichung von Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag
Er sei „Hebräer dem Blute, Hamburger dem Herzen, Florentiner der Seele nach“ - so Aby Warburg zu Freunden. Im Abstand von fünfzig Jahren mag er als eine der geheimen Schlüsselfiguren der decadence der europäischen Großbourgeoisie gelten: so kultiviert wie nervös, so nachdenklich wie kosmopolitisch.
Tatsächlich ist der 1866 Geborene, Abkömmling einer Familie aus der Hamburger Hochfinanz, Zeit seines Lebens Privatgelehrter. Unter denen, die neidisch-verächtlich „Kaiserjuden“ genannt werden, vertritt er die musische Avantgarde, wenn auch nicht als Künstler im eigentlichen Sinn. Seine Studien zur südlichen und nördlichen Renaissance revolutionieren die zeitgenössische Kunstwissenschaft, indem sie deren Grenzen überschreiten. Immer noch sind sie glänzende Beispiele dessen, was Mentalitätsgeschichte sein könnte, vergißt sie ihrer Stoffe nicht. Erinnert sind jene auch in der von Warburg begründeten und nach ihm benannten Kulturwissenschaftlichen Bibliothek, über deren Eingang als ihre Göttin Mnemosyne, Mutter der Musen und „bedenkendes Gedächtnis“ steht. Ihre Bestände retten vier Jahre nach dem Tod des Stifters dessen Schüler nach London, als eben in Deutschland der Nationalsozialismus das Archaische mit den Mitteln forgeschrittenster Technik als herrschendes Unrecht setzt. II
Das Fortleben des Archaischen in seiner Ambivalenz: als Zwang zur Regression und als Potential für Emanzipation pointiert gesagt: der Mensch als Triebwesen -, das ist Warburgs Zentralthema. Er sucht es in den flatternden Haaren und Gewändern auf italienischen Fresken ebenso zu dechiffrieren wie in den astrologischen Prophezeiungen der Reformation.
Mit Fortdauer des Ersten Weltkriegs gerät Warburg zunehmend unter den Bann der von ihm beschriebenen und analysierten Mächte. Zwar versucht er im Privatzeremoniell des zwanghaften Archivierens diverser Kriegsberichte der freiwerdenden Ängste Herr zu sein. Das fragile Gebilde seiner Identität zerbricht aber im Oktober 1918 in der Identifikation mit den antiken Göttern, die als Sterne im himmlischen Exil das Christentum überdauern. Es wird kolportiert, daß er, sich für Saturn haltend, dem Regenten der Melancholiker und Intellektuellen, aber auch dem des Goldenen Zeitalters, durch Hamburg ging mit kleinen Stückchen Schokolade in der Manteltasche, um damit lauernde Dämonen zu beschwichtigen. Nach Aufenthalten in verschiedenen Kliniken wird er schließlich ins „Bellevue“ nach Kreuzlingen zu Ludwig Binswanger gebracht, dem damals avanciertesten Psychiater. III
Dort hält Warburg im Frühjahr 1923 vor Patienten und Ärzten einen Vortrag, der als einer seiner bewegendsten geschildert wird: gleichsam als Beweis der unverhofft glücklichen Wiederkehr aus der eignen Unterwelt, deren Inventar ein nicht nur privates ist. Der Vortrag ist ein Beleg wiedergewonnener Selbstmächtigkeit, er ist gleichzeitg die Summe der Reflexionen Warburgs von Jugend an. Im Gewand des Berichts einer Reise von 1895/96 zu den Hopiindianern Neu -Mexikos und der Beobachtung ihrer Rituale wird die Quintessenz einer Kulturtheorie vorgetragen.
Die Indianer betrachten zu recht den Blitz als Regenbringer; dessen Erscheinen fassen sie in die Gestalt der Schlange. Indem sie Schlangen in Kulthandlungen manipulieren, manipulieren sie Blitze und machen Regen: zu dem Zeitpunkt, wo von ihm die Ernte und das Überleben des Stammes abhängt.
Warburg begreift diese magische Intervention als eine symbolische im fortgeschrittenen Stadium. Es herrscht nicht mehr der „Verknüpfungszwang durch Verleibung“ - die Hopi opfern nicht mehr die Schlange, um in ihre Gestalt schlüpfen zu können -, es gilt noch nicht die aufgeklärte „Erklärung und Bezeichnung“ und damit bestenfalls Einsicht in die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Mächtigkeit: eben nicht Regen machen, aber vielleicht doch überleben zu können. Es ist ein Drittes, aber immer Reaktion auf äußerste Bedrohlichkeit, die als Gestaltlosigkeit erfahren wird. Gegen sie wird in Religion und Kunst ein Andachtsraum geschaffen, der von den „phobischen Reflexen“ purer Selbsterhaltung befreit und einen Sublimierungsprozeß größten Stils eröffnet: einen, in dem durch Distanz zum Objekt die religiöse Mimesis a la longue zur Reflexion, dem Denkraum wird. „Die Erlösung vom blutigen Opfer durchzieht als innerstes Reinigungsideal die religiöse Entwicklungsgeschichte vom Orient zum Okzident.“ IV
Zwischen den Zeilen mit evolutionistischen Obertönen, die freilich ungebrochenes Fortschrittspathos nicht mehr kennen, erscheint der Indianer selbst als rettendes Zwischenwesen der „hilflosen menschlichen Seele“. Exemplarisch zieht er Warbung ein zweites Mal aus „einer erschütternden Gegenwart, die mich wehrlos machte“ - wie in dessen Kinderjahren, als die schwere Krankheit der Mutter durch Lektüre von haufenweise Indianerromanen ertragen worden war, so notiert Warburg in Kreuzlingen.
Indem er den formlosen dämonischen Schrecken anerkennt und in Symbolen auf Distanz hält, ist der Indianer die Figur des Zivilisationsheros par excellence. Auf diese Weise und nicht durch ihre postulierte Nähe zu den Ursprüngen vermögen es nun wiederum die Symbole, Antworten zu geben auf die Frage nach der Existenz von Zerstörung, Leid und Tod.
Aby Warburg, Schlangenritual - Ein Reisebericht, herausgegeben und mit einem Nachwort von Ulrich Raulff als Band 7 der Kleinen Kulturwissenschaftlichen Bibliothek im Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 96 Seiten mit s/w -Abbildungen, 19 Mark
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