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Iberische Halbinsel als Drogeneinfuhrhafen Europas

Nicht nur Medellin-Kartell nutzt lange Küsten, dieselbe Sprache und Visafreiheit für lateinamerikanische Bürger / Weltweit mindestens 500 Milliarden Dollar Umsatz  ■  Von Horst Buchwald

Auf dem Rossio in Lissabon sitzen sie an den Cafetischen freundlich lächelnd und ziemlich high. Sie kommen aus der U -Bahn-Station, wo sie sich einen Schuß verpaßt haben. Mindestens 40.000 Menschen sind in Portugal heroinsüchtig. Wer an Spaniens Costa del Sol eine Party besucht, kann sich von Kellnern Kokain und ein Canape dazu besorgen. Diskotheken der Hauptstadt, die um Mitternacht schließen, entlassen am frühen Morgen Tausende von vollgedröhnten Gruppen. Fast eine Viertelmillion zählt das Heer der Drogensüchtigen in diesem Land. Und die Kurve steigt scheinbar unaufhörlich.

Doch die Experten sind sich einig: Das Aufnahmevermögen dieses Drogenmarktes ist zu klein für die Mengen, die auf die Halbinsel strömen. Beide Länder werden laut Interpol vor allem zum führenden Haupteinfuhrhafen und Zwischenlager für Kokain aus Lateinamerika. 452 Tonnen wurden dort im vergangenen Jahr produziert - zu viel, selbst für den gewaltigen und lukrativen US-Markt. Und weil dort die Preise wegen des Überangebots drastisch sanken - nämlich auf unter 20.000 Mark für ein Kilo Kokain - suchten die Drogenkartelle nach neuen Absatzmärkten. In Westeuropa erzielen sie gegenwärtig für ihren Stoff den sechsfachen Preis. Entsprechend rasch wurden die Transportwege ausgebaut und perfektioniert.

Die kleinen und mittleren Händler schicken Kuriere per Flugzeug. Diese schlucken mehrere in Präservative eingeschweißte acht Gramm Kokain, die sie dann in einer der europäischen Großstädte zur Verteilung bringen. Zwar werden einge dieser „Kamele“ geschnappt, doch die meisten kommen durch. Indessen wurden die Schmuggeltricks verfeinert.

Noch lukrativer aber ist der Transport mit Hochseeschiffen. Das kolumbianische Medellin-Kartell etwa nutzt die 8.000 -Kilometer-Küste Spaniens mit ihren 20 großen Seehäfen, zahlreichen kleineren Häfen und den Millionen kleinen Buchten, die kaum kontrolliert werden können. Günstige Umschlagplätze sind schließlich auch die Inselkolonien Balearen, Kanaren, Azoren und Madeira. Die nachlässifge Zollkontrolle kommt den Zielen der Drogenmafia sehr entgegen. Dabei ist nicht nur die gleiche Sprache hilfreich, sondern auch die Tatsache, daß jeder Lateinamerikaner ohne Visum auf die iberische Halbinsel gelangt.

Und wie überall auf der Welt sind auch in Spanien und Portugal die Drogenabteilungen hoffnungslos unterbesetzt und schlecht bezahlt. Die Zahl der korrumpierten Polizei- und Zollbeamten ist unbekannt. Aus Malaga wurde kürzlich berichtet, daß ein Offizier der Guardia Civil sein Haus als Warenlager für Haschischdealer zur Verfügung stellte. Auch die Zahl der bestochenen Richter kennt wohl nur die Mafia.

Daß schließlich auch Politiker diesen Kriminellen gefällig werden, bewies der Fall Ochoa. Zusammen mit einem weiteren Kartellmitglied reiste der Kokainmilliardär im Juni 1984 durch Spanien. An der Costa del Sol wurden hohe Summen in Immobilien investiert, um die Drogen-profite reinwaschen zu können. An der Grenze zu Portugal kaufte Ochoa eine Stierzucht-Ranch. Dann entdeckte die Polizei in der Wohnung eines Begleiters zahlreiche Beweise für Kokainverkäufe. Die Mafiosi wurden aufgrund eines Auslieferungsantrags der USA festgenommen. Ihre Anwälte zogen das Verfahren jedoch in die Länge. Als dann im März 1985 Kolumbien ebenfalls ein Auslieferungsbegehren stellte, wurde Ochoa im Juni 1986 schließlich in seine Heimat ausgeliefert. In den USA hätte der Mafia-Boß wegen Drogenhandels mit 20 Jahren Gefängnis rechnen müssen. Kolumbien verklagte ihn wegen des illegalen Imports von Kampfstieren. Höchststrafe: zwei Jahre Gefängnis und rund 12.000 Mark Strafe.

Während Ochoas Haft kamen zahlreiche Kartellmitglieder nach Spanien und verteilten großzügig und gezielt Schmiergelder. Das hat offensichtlich den Ausschlag dafür gegeben, daß die spanische Justiz den Schmuggel mit Kampfstieren höher bewertete als den mit Drogen.

Nicht zuletzt wegen dieses Falles geriet Spanien in der EG unter Druck. Seit dem März 1988 wurde die Höchststrafe für Drogenhandel von zwölf auf 30 Jahre heraufgesetzt. Auch Besitz, den die Mafiosi mit illegalem Drogenhandel erworben haben, kann nun beschlagnahmt werden.

Doch sind Spanien und Portugal keineswegs die einzigen EG -Länder, in denen die Drogenmafiosi aus Lateinamerika, Asien und Nahost einen beinahe ungehinderten Feldzug durchführen. Ähnlich wie Banken, Versicherungen und Industriekonzerne in der gesamten westlichen Welt setzen auch die Rauschgiftstrategen auf den EG-Binnenmarkt. Ihre Ausgangsposition könnte kaum besser sein. Mindestens 500 Milliarden Dollar werden auf dem Drogenweltmarkt jährlich umgesetzt. Und die Profite dürften selbst die der Rüstungskonzerne übertreffen. Staatsapparate in zahlreichen Schwellenländern sind zu einem beträchtlichen Teil in der Hand der Drogenbosse. Insofern ist es kein Geheimnis mehr, daß den Drogenmultis mit keiner Polizeitaktik oder -methode mehr das Handwerk gelegt werden kann.

Vor dem Hintergrund der jahrelangen Erfahrungen mit der Mafia warnte kürzlich der italienische Notenbankchef Carlo Ciampim, die Normen des Binnenmarktes würden keineswegs ausreichen, um die kriminellen Aktivitäten der Mafia einzudämmen und bekämpfen zu können. Die Freizügigkeit der Menschen, der Waren und des Kapitals öffne auch der Mafia neue ungeahnte Möglichkeiten, ihr schmutziges Geld auf den internationalen Finanzplätzen zu investieren. Bankensystem und Justizbehörden der meisten EG-Mitglieder seien auf den konzentrierten Angriff der Mafia nicht vorbereitet. Ciampi beschrieb sie als kriminelle Großunternehmen, die mit den Methoden des modernen Managements geführt würden. Auf diese Herausforderung gebe es nur eine Antwort: Internationalisierung der Kontrollmaßnahmen. Konkret bedeute das, die EG müsse entsprechende gesetzliche Instrumente schaffen, um die Rechtmäßigkeit der Bankoperationen überprüfen zu können.

Wie notwendig das ist, wird am Beispiel USA deutlich. Justizminister Thornburgh beschuldigte erst vor wenigen Monaten eine Reihe bedeutender ausländischer und einheimischer Banken, an einem internationalen Kartell zur Wäsche von Drogengeldern beteiligt zu sein. In den vergangenen zwei Jahren sollen über US-Banken mindestens 1,2 Milliarden Dollar Drogengelder gewaschen worden sein. Bei dem in New York angestrengten Verfahren wurden folgende renommierte Banken genannt: Citibank, Bank of New York, Republic National Bank, American Express und die Bank of Commerce and Credit International. Die Federal Reserve Bank von Los Angeles, so die Vorwürfe, schließlich verdankt die erhebliche Aufblähung ihrer liquiden Mittel dem Durchschleusen von Drogengeldern bei Instituten ihres Bezirks.

Die Bemühungen, den Drogenmultis mit entsprechenden Maßnahmen zu begegnen, stecken noch in den Kinderschuhen. Die USA, um eine International Currency Control Agency bemüht, hatten damit bisher wenig Erfolg. Auch Ciampis Warnungen stießen in Europa auf taube Ohren. Ist es Zufall, daß den Narco-Milliardären quasi weltweit Narrenfreiheit gewährt wird? Ganz offenbar verdienen zu viele Entscheidungsträger an dem grausamen Geschäft saftig mit.

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