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Abenteuer im Devisendschungel

■ Elf Tage im Inflationsgalopp / Der monetäre Aspekt einer Polenreise: Vom Mittel zum Zweck / „Auch Polen läßt sich bereisen, ohne es wahrzunehmen“ / Über die Schwierigkeit, vor Ort etwas über deutsch-polnische Geschichte zu lernen / „Leben wie Gott im Speck“

Im Folgenden drucken wir den Reisebericht eines Berliner Oberschülers: Beobachtungen während einer Polenreise mit dem Geschichtsleistungskurs.

Polen ist für uns ein fremdes Land. Jedenfalls so fremd, daß von den 30 Schülern, die jetzt dicht gedrängt im Bus sitzen, erst drei schon einmal da waren. Die Erwartungen vor der Reise sind nicht eben hochgespannt: „Immer noch besser Polen als gar keine Kursfahrt.“

Erste Begeisterung erregt die Information, der Wechselkurs sei sogar offiziell bei über 2.000 Zloty für eine Deutschmark angelangt. Was eine solche Inflation für die Menschen in Polen bedeutet, macht sich niemand so recht klar - die letzte große Inflation in Deutschland ist schließlich 60 Jahre her, da hatte selbst vom pädagogischen Begleitpersonal noch niemand das Licht der Welt erblickt. Ein Problembewußtsein dafür wäre wohl auch zuviel erwartet, jeder sieht nur die Konsequenzen, die ihn selbst betreffen, und das bedeutet hier: Kaufkraftsteigerung der Deutschmark ungefähr um das Zwanzigfache. Da lacht der Beutetrieb.

Wir sehen unsere Abenteurer eingetaucht in den düsteren Divisendschungel. Es ist ganz wie in der guten alten Zeit, die Eingeborenen geben all ihre Habe für ein paar Glasperlen hin, was die Abenteurer wohl auszunutzen wissen. Sehen wir uns nun einen Versuch an, sich inkognito unter die einheimischen Baströckchenträger zu mischen.

Wenn eine Gruppe von 30 jungen Menschen unterwegs ist, bonbonfarben gekleidet und so schrecklich laut und deutsch am Reden, dann ist es kein Wunder, daß sie als Anhäufung von Touristen aus dem kapitalistischen Ausland erkannt wird. Die Gegenstrategie ist, zu nicht mehr als fünfen unaufällig gekleidet und möglichst wortlos aufzutreten. Es ist der Versuch, sein Touristendasein abzuschütteln und vielleicht so mit Menschen in Kontakt zu kommen. Doch irgend etwas muß uns anhaften, es scheint, als seien wir gezeichnet, an jeder Ecke wird einem zugeraunt und nachgezischt: „Tauschen?“ Mit einer so merkwürdigen Betonung auf dem Diphtong. Und irgendwann, nach ein paar Tagen, wird die aufgeklärte Attitüde fallengelassen, der Türsteher kriegt zwei Deutschmark in die Hand gedrückt, und alle dem Normalpolen verschlossenen Türen öffnen sich wie von selbst. Wer es nicht, wie die meisten, von Anfang an getan hat, der akzeptiert spätestens jetzt, daß er nicht als Mensch, sondern als Deutschmarkbesitzer angesprochen wird. Kommunikation läuft über Papierschnipsel - ein lappiger Papierschnipsel gegen einen Riesenberg lappigerer Papierschnipsel. Der Reiz des Vorgangs wird durch seine Illegalität noch erhöht. Weshalb der Ärger um so größer ist, wenn einer beim Tauschen um mehr als die Hälfte der Summe beschissen wird, ohne es sofort zu merken. Da ist die Erkenntnis unausweichlich, daß andere viel illegaler sind als wir alle zusammen. Das kratzt am Selbstbewußtsein - aber stachelt auch an: Mit der Zeit entwickelt dieses Tauschen eine rege Eigendynamik, entwickelt sich das Tauschen vom Mittel zum Selbstzweck: junge hoffnungsvolle Intelligenzwesen gefallen sich zunehmend in der Rolle des Spekulanten, verwenden einen Großteil ihrer Zeit darauf, möglichst viele Zloty zu raffen, mit denen sich mangels Warenangebot nachher sowieso nichts anfängen läßt. So werden diese Altpapierberge dann innerhalb der Gruppe umgelagert, immer mit Blick auf den Tauschkurs: zweizwei, zweifünf, zweidrei, topp: zweidreifünf. Damit hat sich die Angelegenheit endgültig zu einem Gesellschaftsspiel größeren Umfangs ausgeweitet, nicht zu vergessen der angenehme Kitzel völliger Authentizität. Das ist endlich einmal das wahre Monopoly des Lebens.

Kläglich gescheitert ist also der Versuch, seine Abenteurerexistenz zu verstecken. Man ist Kolonialist zumeist mit Spaß dabei. Doch da gibt es welche, die glauben, ihr schlechtes Gewissen ausgerechnet mit der Ursache desselben bekämpfen zu müssen. Hier bleibt der Glaube an den missionarischen Wert der Deutschmark ungebrochen. Das ist grundsätzlich schon peinlich, aber wirklich häßlich wird es erst, wenn sich diese Unsensibilität mit dem dunkelsten Kapitel deutschen Missionsdrangs vermengt.

Auschwitz. Hier sind Millionen Menschen einem Aberglauben zum Opfer gefallen, der in dieser unfaßbar grausamen Konsequenz nur mit Hilfe der Wirtschaft, mit Hilfe der Reichsmarkmagnaten durchgesetzt werden konnte. An den Mauern der IG Farben-Fabrik klebt schmutzigstes Blutgeld. An dieser Stelle, wo nur Schweigen und Trauern stehen dürften, noch hier denkt die missionsbewußteste Mitfahrerin an Trinkgeld für den polnischen Mitarbeiter der Gedenkstätte, der uns mit unaufdringlicher Nachdrücklichkeit durch dieses Monument des Schreckens führt. „Also ich mach das nicht mit dem Trinkgeld hier“, sagt sie, aha, ein dumpfes Unbehagen ist also da, immerhin. Aber die Polen wollen doch immer Trinkgeld haben, sagt sie sich, warum nicht auch hier.

Unsere Abenteurer haben sich tief in den Dschungel vorgekämpft. Dank Scheuklappen links und rechts sind sie hellauf begeistert von ihrer Art des Glasperlenspiels. Doch wie sieht es aus mit den Opfern ihres Missionsdrangs, wovon leben denn die Eingeborenen?

Polen ist ein Land im Umbruch. Sogar für einen Journalisten der Staatsagentur 'Interpress‘ ist in einem offiziellen Gespräch Polen auf dem Weg in die Marktwirtschaft. Die Reformen aber sind vornehmlich Folge der völlig maroden wirtschaftlichen Situation des Landes. Mit ein bißchen Glück kann zwar auch ein polnischer Materialist seinen Drang ausleben. So tat unser polnischer Reisebegleiter sein Bestes, um Polen als ein Wirtschaftsparadies auszumalen: Fernseher, Videoanlage, alles gibt es, was das Herz begehrt und dazu noch billiger als im Westen. Schön und gut, unser Freund hat auch einen Cousin im Westen, der ihm da öfter mal einen Job verschafft. Es ist ja auch völlig richtig, Video und Fernseher sind billiger und Zahlung in Dollar und Deutschmark ist seit drei Monaten legal, trotzdem bleibt wenig übrig bei einem monatlichen Durchschnittslohn von umgerechnet kanpp 50 Mark. Es ist schwer vorstellbar, daß diese Scheine, deren Wert für uns gerade eine Quantite negligable ist, für die Polen die Grundlage eines Daseins am Rande des Existenzminimums bedeuten und für viele einen oder mehrere Nebenberufe unumgänglich machen. Dazu kommt noch, daß diese zeitraubenden Nebenbeschäftigungen nicht nur die Lebensqualität einschränken, sondern häufig auch mit der Selbstachtung des Menschen kaum zu vereinbaren sind. Da wäre zum Beispiel der pensionierte Gymnasiallehrer, der seine Rente mit Stadtführungen aufbessert und, da das noch nicht zum Leben ausreicht, an Westtouristen alle möglichen Konsumartikel verramschen will, von Bernsteinen bis Krimsekt, was diese - Gipfel der Paradoxie - nicht mal wollen, weil Klunker zur Zeit out sind und man den Sekt inzwischen lieber trocken trinkt.

Es fällt dem Westler, der mit 50 Deutschmark zwei Wochen lang lebt wie Gott im Speck, schwer, in den Kopf zu bekommen, daß es Menschen gibt, die mit diesen Zigarettenanzündern knapp haushalten müssen. So ergeht es Eingeborenen. Doch da fehlt noch eine wichtige Komponente: die Stammesgottheiten.

Bei jeder dieser unglaublich ermüdenden Stadtführungen konnte man in einem sicher sein: Es wird durch mindestens zwei Kirchen gehen, die in ihrem Prunk die karge sozialistische Realität auf groteske Weise kontrastieren. Wenn auch an Polen das Zeitalter der Säkularisierung nicht spurlos vorübergegangen ist, so ändert das nichts daran, daß der Reichtum der Kirchen in krassem Gegensatz zum Leben der Menschen steht. Nun haben die Polen eine besondere Beziehung zur Kirche, durch Jahrhunderte bewahrte sich die Hoffnung auf einen polnischen Nationalstaat vor allem über den Katholizismus, doch stößt einem der Anblick sauer auf und erinnert nicht zuletzt daran, daß es in diesem Lande eine für real existierende sozialistische Verhältnisse relativ große Privilegiertenschicht gibt, die Masse dafür um so ärmer ist. Über die Religion haben sich viele Polen auch die Hoffnung auf ein Ende des Sozialismus erhalten - die Kirche ist nicht schlecht dabei gefahren.

Was tun unsere Abenteurer inzwischen? Sie sitzen im Hotelnachtclub, wo sich Kolonialisten aller Länder, von Heimweh getrieben, ganz zu Hause fühlen können. Ein Hotel mit wahrlich internationalem Standard: Showprogramm im Nachtclub, Striptease und Tanzkapelle, sie hören die dümmsten und erfolgreichsten Westschlager der letzten fünf Jahre. Eintritt 4.000 Zloty, umgerechnet knapp zwei Deutschmark - für einen polnischen Durchschnittsarbeiter mehr als ein Tageslohn. Auch Polen läßt sich bereisen, ohne es wahrzunehmen - wieso sollte hier nicht gehen, was auch in der Dritten Welt klappt.

Fabian Gerhardt

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