„Modisch-konservative Attacke“ gegen SPD- Deutschlandpolitik

Der SPD-Deutschlandexperten Alexander Longolius übt harte Kritik an den deutschlandpolitischen Vorschlägen seines Parteikollegen Erhard Körting  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Körting sagt, es gibt keinerlei Grund mehr, mit führenden SED-Politikern Kontakte zu pflegen. Damit sind auch Sie gemeint. Sie fahren ja regelmäßig für die SPD zu Gesprächen mit ZK-Mitgliedern in die DDR.

Alexander Longolius: Körting hat nicht begriffen, daß unser Verhältnis zur DDR im Rahmen unserer Entspannungspolitik nicht wegen der ideologischen Nähe und der Freundschaft notwenig ist, sondern aus ganz anderen Gründen: Friedenssicherung, gute Nachbarschaft, Regelung von unzähligen Detailfragen, von denen der Alltag der Bürger sehr betroffen ist. Was mich an der Bemerkung von Körting so stört, ist die Verachtung gegenüber dem, was die Menschen bewegt. Ich halte das für eine modisch-konservative Attacke gegen die Entspannungspolitik der SPD, so wie sie von der CDU heute gar nicht mehr kommen würde.

Was haben Sie denn konkret mit ihren geheim geführten Gesprächen mit der DDR-Führung erreicht?

Wir haben jetzt gerade das Gesamtpaket erreicht, was Honecker Herrn Momper bei ihrem letzten Treffen übergeben hat. Wer diese Verbesserungen abtut, der hat wirklich für den Alltag von Menschen nichts übrig.

Glauben Sie nicht, daß zur Zeit eine neue Deutschlandpolitik notwenig ist und die Zeit der kleinen Schritte vorbei ist?

Es ist einfach meine Erfahrung: Wenn man seriöse Gespräche führen will, dann sollte man nicht alles in den Medien ausbreiten, sondern durchaus mal unter vier Augen reden.

Körting fordert die SPD auf, die Reformkräfte in der DDR zu stärken.

Ja, wie will er das machen? Ich hab doch gar nichts dagegen, daß man mit Reformkräften redet, ich mach‘ das dauernd. Aber ich mach‘ es doch nicht, indem ich vor mir das Schild hertrage „Honecker ist doof“, und jetzt will ich mit der Kirche rede, sondern indem ich ein Klima schaffe, in dem Dialog und Besuchsmöglichkeiten überhaupt erst geschaffen werden können. Was war denn zuerst da? Diese von Körting so kritisierte und verrissene Politik hat doch alles, was an Bewegung im Osten da ist, überhaupt erst ermöglicht.

Glauben Sie nicht, daß sie mittlerweile mit den falschen Leuten in der DDR reden?

Ich kann mir die doch nicht aussuchen.

Sie können doch nach Ost-Berlin fahren und sich zum Beispiel mit den Menschen treffen, die jetzt erklärt haben, daß sie eine SPD gründen wollen. Statt dessen hat Herr Momper erklärt, daß er die Initiative der DDR -Oppositionellen, eine SPD zu gründen, nicht gutheißt.

Ich denke, daß es auch zur Isolierung der SPD im westlichen Lager führen würde, wenn wir jetzt eine eindeutig destabilisierende Politik gegenüber der DDR betreiben würden, denn daran hat auch keiner ein Interesse. Ich beschäftige mich sehr mit Bürgern der DDR, die nicht im ZK sind. Wenn ich mit Vertretern der Macht rede, rede ich mit denen, mit denen wir in der Vergangenheit Kontakte und Erfolge hatten - gerade gestern zum Beispiel wieder - und habe da eine Atmosphäre vor mir, wo wir sehr offen und sehr kritisch und sehr deutlich miteinander reden können, aber ich werde das natürlich nicht veröffentlichen. Denn das wäre das Ende.

Nochmal: Warum bringt die SPD den Menschen, die in Ost -Berlin eine SPD gründen wollen, so eine starke Ablehnung entgegen?

Naja, Ablehnung. Die Meinung ist wohl, daß es nischt bringt, und das würde ich also auch so sehen. Meine Frage ist: Welche Rolle würde eine Partei dort spielen? Entweder sie würde eingebunden in die Nationale Front. Diese Vorstellung ist natürlich absurd. Oder sie wird stärkste Oppositionskraft. Sie läßt die Kirche verblassen, organisiert alle, die nicht ganz konservativ sind gegen das System in der DDR. Damit ist natürlich der Kontakt der SPD -West mit den Regierenden in der DDR abgebrochen. Und da ich eine solche Entwicklung für ganz ungut halte, kann ich keinen Sinn in einer solchen Entwicklung zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehen. In dem Augenblick, wo sich in der DDR Entwicklungen hin zu einem Pluralismus ergeben, stellt sich die Frage völlig neu. Zur Zeit haben wir ein rein formales Mehrparteiensystem mit einer Nationalen Front, und da würde die Partei landen, oder in den Zuchthäusern.

Glauben Sie nicht, daß gerade die Berliner SPD angesichts des großen Weglaufens aus der DDR und angesichts der Reformbestrebungen in den sozialistischen Nachbarländern eine neue Deutschlandpolitik entwickeln müßte?

Es gibt täglich neue Anforderungen an die Deutschlandpolitik, aber es gibt auch ein paar Prinzipien, die man dabei einhalten muß und die sich seit Willy Brandt nicht sehr verändert haben: Status quo, die Realitäten akzeptieren, um sie zu verändern. Das heißt auch, mit Leuten reden, die man nicht mag, die man nicht wählen würde, die aber einfach die Macht darstellen.

Interview: mow