: Bergbau für Investoren flottgemacht
Der Staatskonzern British Coal wird mit Massenentlassungen privatisierungsfähig gemacht / Auch Arbeitssicherheit bleibt auf der Strecke / EG-Richtlinien fordern sauberere Kohle und fördern die Importe ■ Von Ralf Sotscheck
Es geht Schlag auf Schlag. Um den Staatskonzern British Coal auf die Privatisierung vorzubereiten, forciert die britische Regierung die „Gesundschrumpfung“ des Kohlebergbaus. Am Wochenende haben sich 1.400 Bergarbeiter in Süd-Wales einem Ultimatum von British Coal gebeugt. Die Geschäftsführung hatte am vergangenen Mittwoch die Schließung der beiden Bergwerke in Blackwood und Merthyr Vale angekündigt und von den Arbeitern verlangt, sich bis Samstag mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze einverstanden zu erklären. Andernfalls hätten die Bergarbeiter ihren Anspruch auf Entschädigungen verloren. Bereits am Freitag wurden zwei weitere Bergwerke in der Grafschaft Nottinghamshire geschlossen. 1.265 Arbeiter verloren ihre Jobs. Und Betteshanger, das letzte Bergwerk in Kent, machte ebenfalls am Freitag dicht.
Die 600 Arbeiter in Betteshanger gehörten während des großen Bergarbeiterstreiks vor fünf Jahren zu den militantesten Belegschaften.
Sie besetzten damals die Büros der Geschäftsführung und erklärten das Bergwerk für enteignet. Betriebsrat Terry Harrison von der Gewerkschaft NUM sagte am Freitag mit Tränen in den Augen, daß der Kampf verloren sei. Wes Chambers, NUM-Repräsentant für die Grafschaft Kent, fügte hinzu: „Wir sind von einer Unternehmensführung besiegt worden, die sich schon vor Jahren vorgenommen hat, uns den Garaus zu machen.“ British Coal begründete die Schließungen mit der unzureichenden Produktivität der Anlagen. Einen Großteil der Schuld gab die Firma der NUM, die sich geweigert habe, Wochenendschichten zuzustimmen.
Die Arbeitslosigkeit in Süd-Wales, die mit 16 Prozent ohnehin schon weit über dem walisischen Durchschnitt von 11,5 Prozent liegt, wird durch die überraschende Schließung der beiden Bergwerke Merthyr Vale und Blackwood weiter ansteigen. Die Arbeiter in Merthyr Vale hatten erst vor kurzem dem Plan von British Coal zugestimmt, die Belegschaft um 200 Leute zu reduzieren. Doch Terence Wheatley, British Coal-Chef für Süd-Wales, sagte in der vergangenen Woche, daß das Bergwerk in diesem Jahr bereits über sechs Millionen Mark Verlust eingefahren habe und deshalb keine Alternative zur Schließung bestanden hätte.
Todesstoß für
die Kohleförderung
Des Dutfield von der NUM beschuldigte Wheatley der „Job Schlächterei“, um das Unternehmen auf die Privatisierung vorzubereiten. Er sagte: „Obwohl die Bergarbeiter schwer geschuftet haben, wird den Bergwerken keine Chance gegeben. Wir haben hier in Süd-Wales in den letzten sechs Monaten 3.500 Jobs verloren.“ Nach der Schließung der beiden Gruben werden in Süd-Wales nur noch 4.000 Männer in sechs Bergwerken beschäftigt sein. Dabei war das Ende des Bergwerks nicht einmal die einzige Hiobsbotschaft, die Merthyr Vale in der vergangenen Woche erreichte: Die Elektrofirma „Hoover“, deren Fabrik nur 1.500 Meter vom Bergwerk entfernt liegt, kündigte 125 Angestellten und deutete weitere Entlassungen noch in diesem Jahr an. Bereits im Januar hatte Hoover 250 Arbeiter entlassen, weil die Firma der Konkurrenz von Billigimporten angeblich nicht gewachsen sei.
Die Schließungen der Bergwerke haben zwar in den letzten Wochen die Diskussionen über die Gefährdung der Arbeitsplätze angeheizt - die Gefährdung der Gesundheit bleibt jedoch außen vor. Viele Bergarbeiter sind davon überzeugt, daß British Coal strikte Anweisungen von der britischen Regierung erhalten habe, die Profite unter allen Umständen zu erhöhen, um mögliche Investoren für die Privatisierung anzulocken. Der stellvertretende Vorsitzende von British Coal, Ken Moses, gibt zu: „Wir stehen vermutlich stärker unter Druck als jeder andere Industriezweig. Das verursacht zwar Probleme, aber es ist andererseits auch aufregend, mit dieser Herausforderung konfrontiert zu sein.“
Die Zahl der tödlichen Unfälle in britischen Bergwerken hat sich in diesem Jahr im Vergleich zu 1988 verdoppelt. Ein Viertel ihres Lohns verdienen die Bergarbeiter inzwischen durch Akkordzuschläge. Das hat dazu geführt, daß immer öfter die zeitraubenden Sicherheitsvorschriften außer Acht gelassen werden. NUM-Betriebsrat Bob Anderson sagt dazu: „Deshalb haben wir zur Zeit so viele Unfälle. Ich glaube nicht, daß sie mit Pech zu tun haben.“
Arbeitsunfälle im Akkord
In den letzten vier Jahren ist die Zahl der Bergwerke und der Arbeitskräfte halbiert worden, während die Kohleförderung nahezu gleichgeblieben ist. Um die Kohleindustrie für die Privatisierung attraktiv zu machen, muß die Produktivität sogar noch verbessert werden. Die Unfallrate wird sich womöglich nach der Privatisierung noch erhöhen. Die wenigen Bergwerke, die 1947 nicht verstaatlicht worden sind, unterliegen zwar denselben Sicherheitsvorschriften wie die staatlichen Gruben, haben jedoch die dreifache Zahl von Unfällen aufzuweisen. Darüber hinaus soll auch die Stelle des „Deputy“ abgeschafft werden, der für die Grubensicherheit in seinem Abschnitt verantwortlich ist. Die Chefs von British Coal beneiden die Besitzer privater Bergwerke in den USA ganz offen um die dort herrschenden Arbeitsbedingungen. Ein Manager von British Coal sagte nach einem Besuch in einem dieser US -amerikanischen Bergwerke: „Jeder Arbeiter weiß, daß er um sein Überleben kämpft. Falls er keine Kohle fördert, ist er seinen Job los. Das Element der Angst ist sehr real.“
Mindestens 10.000 weitere Bergarbeiter-Jobs sind in Gefahr, wenn „National Power“ seine Pläne verwirklicht, zwei neue Häfen für den Import von zehn Millionen Tonnen Kohle pro Jahr zu bauen. „National Power“ wird nach der Privatisierung der Stromindustrie im Herbst der größte Stromanbieter Großbritanniens sein. British Coal ist von der Stromindustrie extrem abhängig: 80 Prozent der geförderten Kohle wird bisher an diesen Industriezweig verkauft. National Power behauptet jedoch, daß britische Kohle um die Hälfte teurer sei als importierte Ware. Durch den Import könnten über 1,5 Milliarden Mark im Jahr eingespart werden.
Außerdem enthalte die Importkohle deutlich weniger Schwefel. Großbritannien muß den Schwefeldioxidausstoß seiner Kraftwerke aufgrund einer EG-Richtlinie bis 1993 um 60 Prozent verringern. Die britische Regierung verweigerte in der Vergangenheit jegliche Stellungnahme zu der Voraussage der Labour Party, daß die Stromindustrie nach der Privatisierung britische Kohle durch Importe ersetzen werde.
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