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Poker um AKW-Sicherheit

Stromwirtschaft macht Millionen für den THTR vom Weiterbetrieb des Reaktors Würgassen abhängig  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Beim Millionenpoker um die Stillegungskosten des Thorium-Hochtemperaturreaktors (THTR) in Hamm-Uentrop hat die Stromwirtschaft eine neue Karte ins Spiel gebracht: den Siedewasserreaktor im ost-westfälischen Würgassen. Nur wenn der Düsseldorfer Wirtschaftsminister Jochimsen auf die kostenintensive, sicherheitsrelevanten Nachrüstungsforderungen für den Altreaktor verzichtet und so faktisch den ungehinderten Weiterbetrieb garantiert, will die Stromwirtschaft über den von der NRW-Landesregierung vorgeschlagenen „Feuerwehrfonds“ zur Rettung der THTR -Betreibergesellschaft HKG mit sich reden lassen. Nach zuverlässigen Informationen der taz hat sich in der Woche nach der endgültigen THTR-Stillegungsentscheidung der Düsseldorfer Landesregierung (15. August) auch eine interne Ministerialbeamtenrunde mit dem neuen Erpressungsversuch beschäftigt.

Das Junktim, das vom HKG-Geschäftsführer und Chef der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW), Klaus Knizia, in die Verhandlungen mit der Landesregierung eingebracht wurde, birgt insbesondere für den Adressaten Jochimsen einige Brisanz. Der Düsseldorfer Wirtschaftsminister, zuständig für die Genehmigung des AKW Würgassen, ist seit dem 28. April 1988 Beiratsmitglied des Würgassen-Betreibers Preussen Fortsetzung auf Seite 6

Elektra - nachzulesen im Anhang des aktuellen Geschäftsberichts des Hannoveraner Stromriesen. Dieses Engagement, das Jochimsen etwa 25.000 Mark jährlich an Tantiemen einbringt, ist selbst in seinem eigenen Haus bisher weitgehend unbekannt geblieben und wird dort als „große politische Dummheit“ gewertet.

Mit Klaus Knizia sitzt bei dem seit Monaten andauernden Gerangel um die THTR-Pleite nicht nur der HKG -Geschäftsführer, sondern auch einer der „führenden deutschen Stromwirtschaftler“, so die Einschätzung der Düsseldorfer Staatskanzlei, am Verhandlungstisch.

Auch VEW-Chef Knizia ist der Würgassen-Betreiberin Preussen Elektra (eine 100 prozentige VEBA-Tochter) über Aufsichtsratssitze bei der VEBA-Kraftwerke Ruhr AG, der VEBA -Tochter Ruhrkohle AG und der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) eng verbunden.

Ein Deal, Stillegungsmillionen für Hamm gegen lasche Auflagen für Würgassen, würde der stets beteuerten Jochimsen -Philosophie „Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit“ diametral widersprechen. Nach Angaben eines Sprechers der Düsseldorfer Staatskanzlei, der den Erpressungsversuch der Stromwirtschaft nicht bestätigen wollte, haben inzwischen mehrere Gespräche von Mitgliedern der Landesregierung mit hochrangigen Stromwirtschaftlern über das THTR-Problem stattgefunden. Ein Spitzengespräch zwischen Ministerpräsident Rau und der Preussen Elektra-Spitze steht nach Informationen der taz bevor.

Der Siedewasserreaktor Würgassen ist erneut heiß umstritten, seit immer mehr Einzelheiten der Sicherheitsüberpüfung an die Öffentlichkeit gelangen, die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung nach

Tschernobyl angeordneten worden war. Das Gutachten kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, daß in Würgassen „die erforderliche Schadensvorsorge gemäß dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik nicht in allen Bereichen gegeben ist“. Mit der Umsetzung der von den Gutachtern vorgeschlagenen Nachrüstungsmaßnahmen lassen sich die Preussenelektra und die Düsseldorfer Landesregierung bis heute Zeit. Anfragen und Stillegungsanträge regionaler Anti -AKW-Initiativen werden vom Wirtschaftsministerium nur hinhaltend behandelt.

Unterdessen hat auch Bundesforschungsminister Riesenhuber seinen längst verlorenen Kampf für den Weiterbetrieb des Hochtemperaturreaktors endgültig aufgegeben. Dennoch will sich auch der Forschungsminister weiter darum bemühen, den Konkurs der THTR-Betreibergesellschaft zu verhindern. „Garantieren“ könne er das aber nicht, meinte Riesenhuber gerstern in Bonn. Auf Antrag der nordrhein-westfälischen Grünen hat die Dortmunder Staatsanwaltschaft inzwischen ein Verfahren wegen Verdachts der Konkursverschleppung gegen die Geschäftsführung der HKG eingeleitet.

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