: Glatter Freispruch
■ Steinewerfende Polizisten sind nun eine gerichtsbekannte Tatsache / Richter entlastete Härtig
Das war neu: Zum Auftakt des zweiten Verhandlungstages brachte der Richter höchstpersönlich das Entlastungsmaterial für den Angeklagten mit. Angeklagt war der ehmalige AL -Abgeordnete Volker Härtig wg. „übler Nachrede“.
Verhandelt wurde ein Vorfall, der zwei Jahre zurücklag. In einer turbulenten BVV-Debatte im Rathaus an der Yorkstraße anläßlich der Kreuzberger Krawalle vom 1.Mai 87 hatte Härtig schwere Beschuldigungen gegen die Polizei erhoben. Ihm lägen Informationen vor, so Härtig seinerzeit, daß Polizisten in der Rabatznacht nicht nur Steine geworfen, sondern sich auch am Plündern beteiligt hätten. Prompt folgte die Anzeige „wegen übler Nachrede“ gegen den AL-Kommunalpolitiker.
Gestern morgen bat nun der Richter erst mal um „Ruhe und um die Aufmerksamkeit aller Prozeßbeteiligten“. Sprachs und präsentierte den Prozeßbeteiligten einen Tonbandmitschnitt einer Live-Reportage des SFB - aufgenommen am 2.Mai 87 in Kreuzberg. Zu hören waren Stimmen aufgeregter Bürger, von denen sich einige heftig darüber beschwerten, daß sie „mit eigenen Augen gesehen haben, wie Polizeibeamte in Zivil ebenso mit Steinen geworfen haben wie ihre Kontrahenten“. Das reichte. Härtig hatte also die Wahrheit gesagt, und damit war dieser Teil der Anklage vom Tisch. Aber was war mit plündernden und biertrinkenden Polizisten? In diesem Punkt sorgte die Staatsgewalt selber für Entlastung: Ja, bestätigte ein Polizeiführer, wir haben von der Filialleiterin des „Real-Discounts“ in der Pücklerstraße einen Kasten Selters geschenkt bekommen, und „den haben wir auch leergetrunken“.
Staatsanwalt Weber sah die Anklage zusammenbrechen und brachte es auch folgerichtig nur noch zu einem müden Plädoyer: Trotzdem, Selters ist kein Bier, und von plündernden Polizisten kann ja keine Rede sein. Härtig hätte besser recherchieren sollen, bevor er diese Behauptung aufstellte.
Unserer Polizei so etwas zu unterstellen, ist und bleibt eine „ehrenrührige Sache“, stellte Weber fest. Deshalb sind 25 Tagessätze a 30 Mark gerechtfertigt. Das Gericht, durch Radio und TV-Bilder eines Besseren belehrt, wollte dem nicht folgen und erkannte auf Freispruch.
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