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Bundestag läßt Polens Grenze offen

50 Jahre danach: Die Mehrheit des Deutschen Bundestages weigert sich, die Gültigkeit der polnischen Westgrenze zu bekräftigen / SPD-Antrag abgelehnt / Statt dessen: Bekenntnis zum Warschauer Vertrag / Brandt: Es hat nicht notwendigerweise so kommen müssen  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Der Deutsche Bundestag bekräftigt nicht den dauerhaften Bestand der Westgrenze Polens. Er verzichtet nicht ausdrücklich auf deutsche Gebietsansprüche gegen Polen. Die Mehrheit des Bundestages lehnte gestern einen anläßlich des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs gestellten Antrag der SPD ab, der eine solche Verzichtserklärung zum Inhalt hatte. Stattdessen wurde mit Gegenstimmen der Grünen und vier Gegenstimmen der SPD ein Entschließungsantrag der Regierungskoalition angenommen, der sich zur Erfüllung des Warschauer Vertrages von 1970 bekennt. Der Abstimmung über einen weiteren Teil des CDU/CSU/FDP- Antrages, in der die Regierungserklärung von Kanzler Kohl zum 50. Jahrestag des „Beginns“ des Krieges begrüßt wird, enthielt sich die SPD-Fraktion geschlossen.

Auch in seiner Regierungserklärung bestätigte Helmut Kohl weder den dauerhaften Bestand der Westgrenze Polens, noch verzichtete er ausdrücklich auf deutsche Gebietsansprüche gegenüber dem östlichen Nachbarn. Ein Bekenntnis zum Warschauer Vertrag und die Aufforderung: „wir sollten nicht weiter darüber diskutierten“ war das einzige, was er während seiner knapp einstündigen Regierungserklärung zu der in letzter zeit wieder heftig aufgebrochenen revanchistischen Debatte über die ehemals deutschen Gebiete jenseits der Oder -Neiße-Linie sagte. Damit stellte er sich nicht hinter Bundespräsident Weizsäcker, der noch kürzlich den dauerhaften Bestand der Grenze gegenüber Polen bekräftigt hatte.

Kohl verurteilte in seiner Erklärung zwar die Verbrechen des Nazi-Regimes, Schuld blieben in seiner Darstellung allerdings vor allem Hitler und die anderen Machthaber: „Hitler hat den Krieg gewollt, geplant und entfesselt“, sagte er. Kohl sprach von „Hitlers Vernichtungswillen“, von „Hitlers Wahnideen“, von „Hitlers Willkür“. Das deutsche Volk hingegen hat sich bei Kohl „blenden und irreleiten lassen“, seine „sittliche Substanz“ stand gegen das „Böse“ Hitlers. Es wurden die Menschen „gezielt in Situationen“ verstrickt, „in denen es zwischen Schuld und Selbstgefährdung keine Alternative mehr gibt.“

Zwar räumte Kohl zu Beginn seiner Erklärung kurz ein, daß Deutschland den Krieg entfesselt hatte. Im Folgenden legte er indirekt jedoch ausführlich dar, weshalb Deutschland nur einen Teil der Schuld trage, und die Sowjetunion in vergleichbaren Maße verantwortlich sei. In diesem Zusammenhang verwies er vor allem auf den Hitler-Stalin-Pakt ein. Von der Nazi-Diktatur behauptete er, sie sei ein für alle Mal“ untergegangen, in Gegensatz dazu setzte er: „Die Sowjetunion steht - 36 Jahre nach Stalins Tod - mitten in einem schmerzhaften Prozeß der kritischen Selbstprüfung im Zeichen „neuen Denkens.“ Zwischen Nazi-Diktatur und heutigen Regierungen in Osteuropa gibt es für Kohl offenbar kaum Unterschiede: „Für die Deutschen in der DDR, und für viele Völker in Mittel-, Ost und Südosteuropa wurde das Kriegsende zum Ausgangspunkt für die Ablösung der einen Diktatur durch eine andere.“ Die Vertreibung der Deutschen aus Polen und der Sowjetunion gewichtete er gleich wie das von Deutschen an Polen und Sowjets begangenes Unrecht.

Auch die Wehrmacht wurde von Kanzler Kohl entlastet. Auf der einen Seite so Kohl, hätten die Soldaten gestanden, die „kämpften und litten“, deren Mehrzahl ehrlich war, aufrichtig, überzeugt, tapfer...,“ auf der anderen Seite stehen die Verbrechen der Nationalsozialisten.“

Den Widerstand gegen das Hitler-Regime würdigte Kohl selektiv. Die deutsche Arbeiterbewegung kam gar nicht vor, Christen, Sozialisten, Liberale, Gewerkschafter, Konservative und Kommunisten be Fortsetzung auf Seite 2

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zeichnete er als durch das Unrechtsregime gleichermaßen gefährdet. Seine Regierungserklärung anläßlich des 50. Jahrestages nutzte Kohl auch dazu, innenpolitische Belange anzusprechen. Er warnte vor der „Verführungskraft des Extremismus“, sowohl rechtem als auch linkem. Seine Verurteilung der Linken schloß auch den Satz ein: „Patriotis

mus geringzuschätzen wäre im Sinne Hitlers.“

Willy Brandt ging in seiner Rede auf die Schuld des gesamten deutschen Volkes ein (siehe Seite 8). Für die Grünen verwies Helmut Lippelt ebenfalls auf die nach Hannah Arendt „kollektive Schuld“. Er forderte auf, die Reformbewegung in Polen massiv zu unterstützen. Deserteure des Zweiten Weltkriegs erfuhren gestern nur eine einzige Würdigung: durch den fraktionslosen Abgeordneten Thomas Wüppesahl.

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