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Bei den Grünen steht neuer Streit um die Rotation an

Vorstandssprecherin Verena Krieger gegen erneute Kandidatur der jetzigen Bundestagsabgeordneten/ Betroffene „Promis“ halten sich noch bedeckt/ Wenn die Grünen Regierungspartei werden, könnte die Rotation ganz auf der Strecke bleiben  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

„Wir sind entschlossen, uns eine Parteiorganisation neuen Typs zu schaffen“, so verheißt es das Bundesprogramm der Grünen, und der Anspruch wurde damals hoch gesteckt: „Das genaue Gegenbild zu den in Bonn etablierten Parteien.“ Mit drei Regeln wollte die neue Partei sich selber zwingen, ihrem Anspruch zu folgen: Die Trennung von Amt und Mandat, die Quotierung der Frauen-Posten und die zeitliche Begrenzung der parlamentarischen Tätigkeit. Die beiden ersten Regeln wurden eingehalten, wenn auch mit Mühe. Um die dritte, die sogenannte Rotation, geht es nun - nicht zufällig zu einer Zeit, wo sich die Grünen rüsten, in Bonn Regierungspartei zu werden.

In einem langen Brief an die kreisverbände hat die Vorstandssprecherin Verena Krieger jetzt eine Diskussion begonnen, bei der der Streit vorprogrammiert ist - doch er wird seine volle Wirkung erst im nächsten Jahr entfalten, wenn auf den Landesversammlungen die neuen Kandidat Innen für den Bundestag nominiert werden. Verena Krieger appelliert an die Parteibasis, „sich gegen jede Wiederkandidatur all derer zu wenden, die gerade vier Jahre im Amt waren“.

Diese Forderung entspricht einem Beschluß des Hannoveraner Parteitags vom Frühjahr 1986. Damals wurde die Rotation bereits in ihrer ursprünglichen radikalen Form abgeschafft: Die Abgeordneten mußten fortan nicht mehr nach zwei Jahren ihren „Nachrückern“ Platz machen. Doch auch die Begrenzung auf die vier Jahre einer Legislaturperiode ist durch Beschlüsse in einer Reihe von Landesverbände längst weiter verwässert worden. In Hessen gibt es gar kein zeitliches Limit für die Parlamentäre, und in Niedersachsen dürfen Landtagsabgeordnete bereits zwei Perioden in ihren Sesseln bleiben. Wenn grüne „Promis“ wie Otto Schily, Waltraud Schoppe oder Petra Kelly 1990 gar zum dritten Mal in den Bundestag einziehen könnten, dann ist für Verena Krieger „Berufspolitikerum grüne Normalität“ geworden, und dann sei „jede Sonntagsrede über ein anderes Politikverständnis obsolet“.

Die „Promis“, um die es vor allem geht, halten sich bisher bedeckt. Nur Antje Vollmer hat sich festgelegt, nicht wieder zu kandidieren. Sie verweist auf das Manifest ihrer Strömung „Aufbruch“, in dem es heißt: „Ohne eine klare Begrenzung der Amtszeiten in Partei und Parlament entwickeln wir eine traditionelle Parteistruktur.“ Durch ihre eigene Praxis, so sagt Antje Vollmer, wolle sie die Beschlußlage der Partei stärken. Manche in der Fraktion halten dies für eine nur vorgeblich basisdemokratische Attitüde. Denn Antje Vollmer hat durchblicken lassen, daß sie in einer rot-grünen Regierung für ein Ministeramt zur Verfügung stünde. Auf diese Weise würde die bisher schon kritisierte „Querrotation“ - das Pendeln zwischen Parlaments- und Parteiposten - noch um einen dritten Bereich erweitert, um den der Exekutive. Formalen Rotationsbeschlüssen würde zwar genügt, eine festgefügte grüne Politikerkaste entstünde trotzdem.

Im Landesverband Nordrhein-Westfalen wird nun erwogen, eine drittmalige Kandidatur von „Promis“ an ein 70-Prozent-Quorum der Landesversammlung zu binden. Damit könnte der Bundestagsabgeordneten Christa Nickels ermöglicht werden, Spitzenkandidatin beim Marsch auf das Düsseldorfer Parlament zu werden. Ob zum Beispiel Otto Schily mit einem derartigen Vertrauensbeweis der Basis erneut nach Bonn geschickt würde, wird in der Partei bezweifelt.

Bei realpolitisch gesonnenen Grünen, die die Rotationsbeschlüsse weiter liberalisieren oder ganz abschaffen wollen, lautet das Hauptargument nun: Erfahrung. Und die sei doch vor allem nötig, wenn eine rot-grüne Regierung realistisch wird. Hubert Kleinert: „Du kannst doch keine Koalition mit Leuten machen, die in Bonn nicht mal wissen, wo die Räume sind.“ Für Kleinert, bereits sechs Jahre im Bundestag, ist es folglich „gut möglich, daß ich noch einmal kandidiere“.

Verena Krieger hält der Partei dagegen den Spiegel ihres anfänglichen Politikverständnisses vor: „Unsere Ablehnung der Expertokratie war nur möglich, weil wir wenig Respekt vor der parlamentarischen Arbeit hatten: die ist erlernbar und keine Geheimwissenschaft.“ Allen eine Absage zu erteilen, die an „Macht, Prestige und Privilegien“ klebten, sich für unentbehrlich hielten und dabei immer „eitler“ und „überheblicher“ würden: das sei eine „Schlüsselentscheidung 1990“. Im Bundesvorstand und im Bundeshauptausschuß steht die Diskussion darüber in den nächsten Wochen an.

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