„Vielleicht sogar angewandte Linguistik“

■ Gespräch mit Francoise Pouradier Duteil, Bremer Organisatorin des 24. Linguistischen Kolloquiums

Für zwei Tage darf Bremen sich als sprachwissenschaftliche Hochburg fühlen. Und warum? Weil sich heute und morgen in unserer Stadt ca. 120 WissenschaftlerInnen aus dem In-und Ausland zu einem 24. Linguistischen Kolloquium treffen, um sich gegenseitige Über-und Einblicke zu verschaffen. „Höhepunkt“ ist die Plenarsektion „Betriebslinguistik“, die die „sprachliche Kommunikation im betrieblichen Leben optimieren“ soll.

taz: Was ist ein 24. Linguistisches Kolloquium?

Francoise Pouradier Duteil: Das ist ein Kongreß, der vor 24 Jahren von jungen Kollegen ins Leben gerufen worden ist. Und die waren Anhänger der jungen generativen Grammatik. Das war eine Richtung, die aus Amerika gekommen ist, von Noam Chomsky. Damals haben sie das in Deutschland eingeführt und hatten Lust, dafür ihr eigenes Forum zu haben, abseits der Ordinarien. Inzwischen ist dieses Kolloquium etabliert, die Assistenten von damals sind fast alle Professoren geworden. Aber das ist

nicht mehr ein Kolloquium für die generative Grammatik, sondern allgemein ein Kongreß ohne Rahmenthema, damit jeder über das wirklich redet, worüber er arbeitet.

Für alle Nicht-Linguisten: was ist generative Grammatik?

Das ist schwer zu erklären. Das ist eine Branche der theoretischen Linguistik. Sie versucht nicht, die Grammatik zu beschreiben, sondern sie versucht, Regeln aufzustellen, nach denen man alle grammatischen Sätze einer Sprache erzeugen kann. Also sie versucht eine Art linguistischen Roboter zu fabrizieren, der dann die Sätze einer Sprache produzieren kann.

Ein Höhepunkt des diesjährigen Kolloquiums soll die sogenannte Betriebslinguistik sein. Bedeutet das, die Linguistik geht auf die Wirklichkeit zu und in die Betriebe?

Ganz genau. Das ist eine ganz neue Richtung der Linguistik. Ich würde sagen, vielleicht sogar angewandte Linguistik. D.h. es gibt jetzt Kollegen, die sagen, überall da, wo Sprache gebraucht wird,

sollten auch die Linguisten, die eigentlich die Spezialisten der Sprache sind, etwas zu sagen haben. Also suchen wir diese Bereiche. Und in einem Betrieb gibt es ja drei Bereiche: Erstens die innerbetriebliche Kommunikation, d.h. wenn der Chef seinen neuen Mitarbeiter einweisen muß, oder wenn der Mitarbeiter dem Chef mitteilen muß, daß die Maschine ausgefallen ist, oder wenn die Belegschaft einen Protest beschreiben will, einen Streik ausrufen will. Das alles sind Situationen, in denen Sprache gebraucht wird. Es kommt darauf an, daß die Sprache da ziemlich wirksam eingesetzt wird. Man kann da nicht mit ehs und ähs auskommen.

Zweitens: die außerbetriebliche Kommunikation. Also wenn sie verkaufen, werben, Mahnbriefe schreiben wollen. Sie müssen dafür sorgen, daß ihre Sprache wirklich ankommt und das Ziel ereicht. Und der dritte Bereich ist der Schulungsbereich der Betriebe. Größere Betriebe haben ja eigene Schulungsabteilungen. Also man muß die Manager schulen, dann die Sekretärinnen, dann

muß man natürlich auch die Verkäufer schulen. Ein Verkaufsgespräch muß richtig verlaufen, mit den richtigen Worten und nicht nur mit der richtigen Psychologie. Und dann gibt es ja auch viele ausländische Arbeitnehmer, die man schulen muß, damit sie innerhalb des Betriebes genug Sprache können, um zu kommunizieren. Damit sie z.B. die Gebrauchsanweisung ihrer Maschine verstehen. Die Gebrauchsanweisung ist sowieso ein Kapitel für sich für die Betriebslinguistik. Ich nehme an, Sie haben sich auch schon öfter geärgert, daß sie unbrauchbare Gebrauchsanweisungen in der Hand hatten. Dann gibt es ja auch noch die informelle Kommunikation innerhalb eines kleinen Betriebes, wodurch mehr kommuniziert wird als offiziell. Sie erfahren z.B. nichts von Ihrem Vorgesetzten, aber durch die Sekretärin erfahren Sie, daß er sein Haus verkaufen will. Und daraus können Sie vielleicht schließen, daß er einen besseren Job gekriegt hat.

Also das sind tatsächlich Themen für Betriebslinguisten?

Es gibt schon einige, die in die Betriebe gehen. Es ist mir gelungen, sechs ausfindig zu machen, die alle auf dem Kolloquium sind, und es ist die Frage, wie die Linguistik an die Öffentlichkeit herantritt, damit das auch die Wirtschaft erfährt.

Betriebslinguistik ist also jetzt ein richtiger Linguistik -Zweig?

Das fängt an. Und es ist ein bißchen die Frage, ob sich das etablieren kann. Das hängt nicht nur von den Linguisten, sondern auch von der Wirtschaft ab. Und deswegen mache ich diese Veranstaltung, ich hoffe, damit zu helfen.

Also um Vertreter der Wirtschaft und der Linguistik zusammenzukriegen.

Ja, genau. Es werden drei Vertreter der Wirtschaft auf dem Podium sitzen, darunter ein Herr von Siemens München, der viel mit Linguisten zusammenarbeitet, und der sehr zufrieden ist mit der Sache. Fragen: Claudia Kohlhas

Die Podiumsdiskussion zum Thema „Linguistik und Wirtschaft“ findet heute statt um 16.30 Uhr, in der Kunsthalle