: Geld nur bei Profiterwartung
Lech Walesa auf Besuch bei Gewerkschaft, Regierung und Kapital ■ K O M M E N T A R
Die Erfahrungen, die Lech Walesa, der Arbeiterführer, mit dem DGB gesammelt hat, müßten Lech Walesa, den Politiker, skeptisch stimmen hinsichtlich seiner Erfolgsaussichten als Investitions- und Kreditbeschaffer. Der DGB hat in den Jahren nach 1981 sein Solidaritätsminimum für Solidarnosc abgeleistet und auch das noch lustlos. Die zentrale Verhinderungsmaschine lastete schwer auf jedem Gewerkschafter, der von seinem Betrieb aus konkrete Solidarität und Zusammenarbeit organisieren wollte. Als es der Solidarnosc im Untergrund wirklich dreckig ging, sah man in Polen vom DGB keine Spur.
Um so hohler lesen sich jetzt - nach der Wiederzulassung der Gewerkschaft - die Erklärungen, nach denen der DGB unablässig der Solidarnosc zur Seite gestanden habe. Da niemand ein schlechtes Gewissen hat, braucht es auch nicht beruhigt zu werden. Großzügige Spenden sind demnach nicht zu erwarten.
Wenn Walesa und seine Begleiter die Chefetage wechseln und bei Regierung plus Kapital vorsprechen werden, wird dort die Lage nicht viel besser aussehen. Daß der 1975 zur freien Verfügung gegebene „Jumbo„-Kredit von einer Milliarde jetzt in Zloty-Guthaben konvertiert werden soll, nutzt Polen nicht viel. Wo soll das Geld für die Realisierung des Guthabens herkommen, wenn nicht aus der Druckerpresse? Für den Aufbau der Landwirtschaft und der Konsumgüterindustrie würde Polen Spenden im Marschallplanstil benötigen, die aber sind nicht in Sicht. Walesa setzt auf deutsche Direktinvestitionen. Er wird sich sagen lassen müssen, daß es für Kapitalanlagen westlicher Firmen nach wie vor nur ein Kriterium gibt: Profiterwartung. Mit dieser Erwartung aber ist es - trotz zugesicherter staatlicher Bürgschaften - schlecht bestellt.
Nie war die Kluft zwischen der Freiheitsphraseologie unserer Regierenden und ihrer schäbigen Praxis tiefer als angesichts der dringenden Bitten der Polen. Einer von ihnen, ein Krakauer Professor sagte kürzlich: „Wir wollen nicht die Krümel, die Ihr vom Tischtuch wischt, wir bitten Euch, mit uns zu teilen.“ Von Teilen aber kann man erst sprechen, wenn es dem, der abgibt, weh tut . Keine Sorge, weder Kohl noch Breit noch Wolff von Amerongen werden uns das zumuten. Walesa wird es zu spüren bekommen.
Christian Semler
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