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„Freie Fahrt nach Gießen!“ - Die Stasi greift zu

■ Leipziger Demonstranten nutzen die Messe zu spektakulären Aktionen für Reisefreiheit / Lage in Budapest ungeklärt / DDR-Botschaft verteilt Handzettel: Straffreiheit bei freiwilliger Rückkehr / Inzwischen auch 300 DDR-BürgerInnen in der Prager BRD-Botschaft

Leipzig/Budapest (taz/afp/ap) - Mehrere hundert ausreisewillige DDR-Bürger nutzten die geballte Anwesenheit westlicher Medien anläßlich der Herbstmesse in Leipzig, um auf ihr Ausreisebegehren aufmerksam zu machen. Auf Transparenten forderten sie „Freie Fahrt nach Gießen“. Zuvor hatte ebenfalls in der Leipziger Innenstadt eine Demonstration von BürgerInnen stattgefunden, die auf Spruchbändern mit Forderungen nach „Presse- und Vereinigungsfreiheit“ und „Reisefreiheit statt Massenflucht“ Reformen einklagten. Nach einigen Metern entriß ihnen die Staatssicherheit die Transparente. Die Kluft zwischen Ausreisewilligen und jenen DDR-Bürgern, die im Lande auf Reformen drängen wollen, wird nach Beobachtungen in Kirchenkreisen immer größer.

In Budapest zeichnete sich noch immer keine Lösung für die rund 5.000 Wartenden ab. Die Verlautbarungen aus Kreisen der ungarischen Regierung sind widersprüchlich. Der ungarische Innenminister Horvath betonte heute, seine Aussage, die Klärung der Lage könne noch ein- bis eineinhalb Monate dauern, habe er dem 'Stern‘ gegenüber schon vor einer Woche gemacht. Zwischenzeitlich hätte es Verhandlungen auf hoher Ebene gegeben. Dagegen sagte jetzt ein Sprecher des ungarischen Außenministeriums, für den Augenblick sei keine Lösung der Flüchtlingsfrage in Sicht, es könne „noch Tage, wenn nicht Wochen dauern“.

Ein ungarischer Experte meinte: „Wir können es uns nicht erlauben, im sozialistischen Lager isoliert zu sein und unsere Beziehungen mit der DDR zu verschlechtern.“ Außerdem wolle Ungarn nicht zum Sprungbrett für Flüchtlinge aus Osteuropa werden. Auch das Auswärtige Amt in Bonn dämpfte die Hoffnungen einer baldigen Klärung.

In den Flüchtlingslagern hat sich am Montag die DDR zum erstenmal über Vertreter ihrer Budapester Botschaft direkt zu Wort gemeldet. Auf Handzetteln teilten sie ihren Bürgern mit, im Falle einer freiwilligen Rückkehr drohe ihnen keine Strafverfolgung, wer wolle, könne auch an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Auch in der BRD-Botschaft in Prag harren über 300 Flüchtlinge ihrer Ausreise.

Sie sind in beheizten Zelten im Garten der Mission untergebracht, wie das Zentralorgan der Kommunisten 'Rude Pravo‘ meldete. In Niederbayern hat man demgegenüber die Lösung, die Flüchtlinge in Zelten unterzubringen, verworfen. Wegen des anhaltenden Regens stehen sie unter Wasser. Tagesthema Seite 3

Siehe auch Seite 2

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