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MAGINOT-LINIE ALS TOURISTENATTRAKTION

■ Über 100.000 Besucher pro Jahr / Veteranen und Schulklassen

Gleich da hinten, im Pfälzer Wald, haben wir gelegen, damals, 1939-40“, erinnert sich Hans Nölke aus Hannover. Mit einer Gruppe ehemaliger Kameraden der 71. Infanteriedivision der Wehrmacht ist er ins nordelsässische Lembach gekommen, um den „Four a chaux“ zu besichtigen - eines von über 100 Befestigungswerken der Maginot-Linie, die von den Franzosen zwischen 1929 und 1936 zur Verteidigung gegen einen deutschen Angriff errichtet wurde.

Neben den Veteranen drängen sich zwei Schulklassen an der Kasse, an der eine Reihe von Büchern über die 140 Kilometer lange Verteidigungslinie entlang der deutsch-französischen Grenze zum Verkauf ausliegt. „Wir hatten die Wahl zwischen der Bundesgartenschau, einem Benediktinerkloster und der Maginot-Linie“, berichtet eine Gymnasiastin. Sie ist mit ihrer Klasse aus Speyer zur Besichtigung der Befestigungsanlage gekommen, in der während des Frankreichfeldzugs 1939-40 rund 600 französische Soldaten stationiert waren.

50 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ist die Maginot-Linie heute eine Touristenattraktion: Weit über 100.000 Besucher, darunter über ein Drittel Bundesdeutsche, besichtigen jährlich die sieben Bunker im Elsaß und in Lothringen, die derzeit der Öffentlichkeit zugängig sind. Von Führern werden sie zu Fuß oder mit kleinen Waggons durch die oft mehrere Kilometer langen Stollen geschleust; sie bekommen erklärt, wozu die unterirdischen Kommandozentralen und Feuerleitstellen dienten, besichtigen Kampfstände und Panzertürme. Die Schlafsäle, die spartanischen sanitären Einrichtungen und die Feldküchen mit riesigen Gulaschkanonen lassen ahnen, wie das Leben der Soldaten aussah, die in diesen unterirdischen Befestigungswerken eingebunkert waren und oft mehrere Monate lang nicht nach draußen kamen.

„Mehr als die Hälfte der Besucher sind Gruppen, darunter viele deutsche und französische Veteranenverbände und Schulklassen - aber es kommen auch immer mehr Individualreisende“, berichtet Charles Kugler, Leiter des Fremdenverkehrsamtes von Lembach, das den dortigen Bunker für umgerechnet rund 25.000 Mark pro Jahr von der französischen Armee gepachtet hat. Kugler macht kein Hehl daraus, daß sich das Geschäft lohnt: „Über 45.000 Leute besichtigten im vergangenen Jahr den 'Four a chaux‘, und viele blieben dann über Nacht oder wenigstens zum Essen in der Region - so haben auch unsere Gastwirte etwas vom Bunker“, betont er. „Und obwohl wir keine Werbung machen, steigt die Besucherzahl jährlich um rund zehn Prozent“, freut sich der Tourismusmanager.

Von der Bunker-Begeisterung profitiert aber nicht nur der Fremdenverkehr: Als in Lothringen vor einigen Jahren einige kleine Parzellen der Verteidigungslinie versteigert wurden, strömten Interessenten aus ganz Europa und selbst aus den USA an die deutsch-französische Grenze und ließen die Preise in die Höhe klettern. Ein 72 Quadratmeter großer Bunker, der zum Nennwert von rund 100 Mark ausgeschrieben war, kam damals beispielsweise für 6.000 Mark unter den Hammer.

Der weitaus größte Teil der Maginot-Linie mit ihren insgesamt 108 Befestigungswerken zwischen Jura und Ardennen, ihren 410 Kasematten, mehreren hundert Artillerie -Geschütztürmen und Beobachtungsposten, deren Bau rund vier Milliarden heutiger Francs (über eine Milliarde Mark) gekostet hat, wird aber wohl nie wirtschaftlich genutzt werden: Die französische Armee, Eigentümerin der Verteidigungsanlage, benützt zwar derzeit nur einen Bunker (im elsässischen Hochwald), wo eine Überwachungsbasis der Luftwaffe stationiert ist, will die Anlage aber nicht aus der Hand geben: Denn die Kasematten und die mehrere hundert Kilometer unterirdischer Gänge könnten im Notfall auch als Atomschutzbunker dienen...

Jutta Hartlieb/afp

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