: Urlaub in AREA 2
■ Der Kerosinornithologe auf der Pirsch
Eigentlich sollte es nur ein Abstecher zur engeren Verwandtschaft werden, aber wegen eines lädierten Schlüsselbeins infolge temporärer Bockigkeit des Drahtesels sitzt man nun mitten in Westfalen – da, wo das Platt noch Platt ist – und schwitzt in der Safthitze der Hundstage. Der Knochen tut weh, der Verband juckt, und der studierte Wetterforscher wartet schlechtgelaunt auf das angekündigte Gewitter wg. Abkühlung.
Der einzige Donner allerdings, der zu hören ist, hat durchaus keine meteorologische Ursache. Ab morgens um sieben ist die Welt nicht mehr in Ordnung: über's Dach, juchhe, fegt ein Flieger; aus dem Bette jäh fällt man selbst. Bis gegen Mittag steigert sich der Radau, dann gibt's ein, zwei Stunden Pause, und schon geht's wieder los: zur Verdauung ein Alpha Jet, am späten Nachmittag ist am Himmel wieder die Hölle los. Manchmal gibt's für ganz Flugbegeisterte sogar noch eine Nachtflugübung, die allerdings in der Regel rund 1000 m höher stattfindet.
Zwei Drittel der Be-Er-De werden mit Tiefflug überzogen, in 7 sog. „Low-Level-Areas“ liegt die Untergrenze bei 75 m und mitten in Area 2 hänge ich schräg in einem Sitz, claviculafrakturgeschädigt und lärmbelästigt.
Der Kerosinornithologe könnte hier pro Tag einen prallen Feldbericht erstellen: deutsche Tornados, die nicht an die Saudis geliefert werden sollen; Phantoms, die ältesten, lautesten und dreckigsten Mordsflieger mit britischen Kokarden; holländische F-16, jede mit 26 kg hochexplosivem und –giftigem Hydrazin an Bord zum Wiederanschmeißen einer evtl. verstopften Düse (“1 g pro Mensch genügt“); amerikanische F-111 aus Lakenheath, die Tripolis bombardiert haben und in Westfalen wohl eine neue Disco suchen; belgische Mirage, immer auf dem Weg nach einem AKW .... die ganze Vogelschar zwitschert und tiriliert keineswegs, pfeift dafür aber um so lauter knapp über die Baumspitzen.
D.h., „pfeifen“ ist nur ein Element des kakophonischen Gesamtlärms der Düsenjäger. Es braucht wenigstens eine Kombination von drei, vier Adjektiven, um das Getöse zu beschreiben, das die Jets verursachen. Ein direkter Überflug ist nur anhand der körperlichen Reaktionen definierbar, die der 'sound of freedom' erzeugt: eine adrenalinschockauslösende Lärmkeule, die wie ein naher Blitzeinschlag wirkt (und sich auch so anhört). Vorbeifliegende Tiefflieger hören sich anfangs an wie Windrauschen in hohen Fichten; dieser friedliche Charakter des Lärms verliert sich allerdings zehntelsekundenschnell in einem kreischenden Gurgeln, zu dem sich Kreissäge-Obertöne addieren, unterlegt von krachendem Donnerrollen. So stürzen Mauern von Jericho und Barockkirchen in Bayern ein.
Und die richtigen Vögel? Ende August. Schwalben besprechen auf Stromleitungen die Reiseroute, Kiebitze sind allenthalben beim Kofferpacken zu sehen. Jeder tieffliegende Blechdrachen schreckt sie dabei auf und jagt sie in kräftevergeudende hektische Schwarmfliegerei. Sofern sie dabei nicht in Triebwerke geraten und dergestalt Abstürze verursachen (Nichts bleibt ungesühnt!), gehen die echten Zugvögel dann unausgeruht auf die Reise in den Winterurlaub.
Cletus
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