PARADIES UND SÜNDENFALL

■ Berchtesgadener Land: Wo der „Führer“ Urlaub machte

Um es vorwegzunehmen: Es istein Paradies, und Ludwig Ganghofer hat recht, wenn er sagt, was auf dem Sockel seines Denkmals im Kurpark von Berchtesgaden in Stein gemeißelt steht:

„Herr, wen Du lieb hast, den lässest Du fallen in dieses Land.„

Ganghofer konnte nicht wissen, daß Gott eines Tages auch Hitler und seine Kumpane in dieses Paradies fallen lassen würde - nur diesmal war es eben ein Sündenfall.

Der Watzmann schaut ungerührt auf den Kehlstein herab oder vielleicht sogar mit ein wenig Stolz, daß dort unberührt von allen Zeitläufen Hitlers Teehaus erhalten geblieben ist, der Adlerhorst, wie die Amerikaner traditionsbewußt sagen. Ja, die Amerikaner lassen uns nicht verkommen. Man verdankt ihnen viel in dieser Gegend.

Der erste bayerische Ministerpräsident Hoegner (SPD) wollte den Adlerhorst schleifen, damit er nicht zum Wallfahrtsort würde. „Aber der Amerikaner hat das verhindert. Heute würde das ja auch kein Mensch mehr tun“, sagt der Bergführer, der sich auskennt. „Und überhaupt wollte der Hoegner ja nur, daß die Leute nach Garmisch wallfahrten, weil sein Bruder dort ein Baugeschäft hatte - sagt man.“ Der Bergführer, der sich auskennt, sagt immer „sagt man“ am Ende solcher Rede.

Nun, Hitlers Teehaus ist ein Wallfahrtsort geworden. Teils, weil es ein wirkliches Erlebnis ist, auf der kühnsten Alpenstraße Europas da hinaufzufahren, teils, weil man von da oben einen großartigen Blick hat, teils aus Neugier. Und die wird befriedigt. Da schaut man durch dieselben Fenster, durch die der „Führer“ geschaut hat, und da hängen an den Wänden eines halb an eine Kapelle, halb an ein Museum erinnernden Raumes allerlei Reliquien: Dokumente und Handschriften von Bormann und Himmler. Auf die naive Frage, welchen Sinn denn das habe, empört sich eine Touristin: „Aber das braucht man doch nicht zu verdrängen. Und denken Sie doch einmal an die Autobahnen, die der Führer gebaut hat. Das macht uns doch keiner nach!“

Draußen an den Kiosken hängen bunte Hefte (meist in Englisch), auf deren Titelseiten der Führer wie ein liebender Vater Kinder umarmt, während aus dem Hintergrund Eva Braun liebevoll der Idylle zuschaut.

Nein, die Amerikaner lassen uns nicht verkommen. Bormanns Schweinezucht wurde natürlich geschleift, aber nicht Hitlers Berghof, der ein Elysium für erholungswillige GIs geworden ist.

Der Bergführer, der sich auskennt, ist ein sympathischer Typ. Manchmal ein wenig hintersinnig. Auf einem Abstecher führt er uns zu einer einsamen Sitzbank am Wegesrand. „Und hier saß der Führer oft allein, nur in Begleitung seines Schäferhundes, und schaute hinüber ins Salzburger Land.“ Natürlich macht man auch ein Foto: „Ich saß auf Hitlers Sitzbank.“

Das Paradies ist leider manchmal geschlossen. Dann läuft man mitten im Wald kilometerlang an einem hohen Zaun entlang, erhascht hin und wieder einen Blick auf eine gepflegte Wiesenlandschaft, ein idealer Golfplatz, aber auch Wild äst hier friedlich. Der Bergführer, der sich auskennt, sagt respektvoll: „Das gehört alles dem Henninger.“ Prost!

Den Wanderer in dieser unvergleichlich schönen Landschaft belohnen nicht nur Berge und Wälder, sondern auch Almen, und wenn eine Alm eine große Wiese ist, wird sie zur Alm aber erst durch das zugehörige, meist stattliche Gasthaus. Wenn man da angekommen ist, verschwitzt und müde vom langen Weg, wie schmeckt da eine frische Buttermilch (DM 1,50), kredenzt von einem ebenso frischen Madel. Man kann auch ein Glas Wein trinken (DM 4,50). Aber allzu neugierig sollte man dabei nicht sein. Es gibt halt einen Weißen und einen Roten. Wer wissen will, woher der kommt und wie er heißt, kann leicht zur Antwort bekommen: „Des weiß i net. I kann Ihnen aber sagen, wie die Kuh heißt, von der die Buttermilch stammt.“

Wohl einer der schönsten Plätze zur Erholung ist die Scharritzkehlalm. Da gibt es die köstlichsten Windbeutel. Das muß auch der „Führer“ gewußt haben, denn sein Mythos schlägt sich noch heute auf der Umschlagseite der üppigen Speisekarte nieder: „Hier hat auch der Herrscher des III.Reiches, Adolf Hitler, oft seinen Windbeutel gegessen und seine Alpenmilch getrunken.“ Falls dich das aufregt: Deutschlands größte Illustrierte schrieb zum Beispiel über den Mythos Mercedes: „Staatsgäste in Bonn und Stars in Hollywood fahren damit, Clark Gable hatte einen Mercedes und Adolf Hitler...“ Wie sagte doch die Dame auf dem Kehlstein?

-„Und denken Sie doch an die Autobahnen!“

Ebenso reizvoll wie das ganze Ländchen ist die Stadt Berchtesgaden, und wer aus der gepflegten Vergangenheit schließt, hier gäbe es mehr Nazis als anderswo, der irrt. Hier gibt es viele Vereine, und jeder hat in der Stadt seine Anschlagtafel. Das sind süße kleine Marterln mit einem Dacherl obenauf. Da teilt jeder Verein mit, was nächstens los sein soll. An einer langen Hausfront eines Gebäudes in der Stadtmitte hängen sie einträchtig nebeneinander, Bergfreunde, Skifreunde, Wanderfreunde, Hundefreunde, Heimatfreunde und die CSU - gleich zweimal. Vielleicht sagst du jetzt in Gedanken „Aha!“. Aber da siehst du am Ende der Reihe (von der anderen Seite ist es der Anfang!) das Marterl der Jungsozialisten. Aber es hängt halt nichts drin.

Hans Volk