: Chronik des ungebremsten Aufstiegs: Nach vierjährigen Verhandlungen ist eine monströse Fusion vollbracht
Die konkrete Suche nach einem Industriekonzern, der sich des Staatsunternehmens MBB annehmen würde, beginnt 1985. Obwohl der Dollar noch über drei Mark steht, ist kein Ende der Milliarden-Subventionen für MBB abzusehen. Alfred Herrhausen wird einer der beiden Chefs der Deutschen Bank. Daimler kauft sich erst bei MTU, dann bei Dornier ein. Noch liegt Daimler nach Siemens und VW auf Platz drei der größten bundesdeutschen Industrieunternehmen. Franz Josef Strauß versucht, BMW für den Einstieg bei MBB zu gewinnen.
1986 scheitert Wirtschaftsminister Martin Bangemann mit dem Vorhaben, Siemens und Bosch zum verstärkten Engagement bei MBB zu gewinnen. Daimler übernimmt die AEG (elf Milliarden Mark Umsatz, 78.000 Beschäftigte) und wird damit zum größten bundesdeutschen Konzern: Die jetzt 320.000 Beschäftigten sorgen für einen Weltumsatz von 65,5 Milliarden Mark. MBB hat in diesem Jahr 5,6 Milliarden Umsatz, 38.000 Beschäftigte und fliegt bilanzmäßig „an der Null-Linie“ (Vogels). Die Bilanz sagt wenig aus: Die MBB-Tochter Deutsche Airbus braucht erneut 2,25 Milliarden Mark für bisher aufgelaufenen Verlust und 800 Millionen, um das Programm fortzuführen. Der Bund erklärt sich später bereit, die Airbus-Altlasten zu übernehmen.
1987 stößt Bangemann für MBB auf verhaltenes Interesse in Stuttgart.
1.7.87 - Der öffentliche Rummel geht los. Die 'Wirtschaftswoche‘ meldet vorab, daß das Wirtschaftsministerium in Bonn „intensive Verhandlungen“ mit dem Daimler-Benz-Vorstand führt. Ziel: Eine industrielle Führerschaft für den Konzern, der sich an der Finanzierung des Subventionsschluckers Airbus beteiligen soll. Daimler -Vorstand Breitschwerdt bestätigt die Übernahmeverhandlungen.
Juli 87 - Deutschbankier und Daimler -Aufsichtsratsvorsitzender Herrhausen plant, den bisherigen Daimler-Chef Breitschwerdt gegen den bisherigen Daimler -Finanzchef Edzard Reuter (SPD) auszutauschen. Breitschwerdt sei den Integrationsschwierigkeiten nicht gewachsen, die bei Daimler durch den Aufkauf von MTU, Dornier und AEG entstanden sind. Kartellamts-Chef Wolfgang Kartte schließt eine Verweigerung der Fusionsgenehmigung nicht aus. SPD, Grüne, Gewerkschaften, Teile der FDP, ganz kleine Teile der CDU und der bundesdeutsche Mittelstand melden Protest oder Bedenken an.
Dez. 87 - Reuter begrüßt eine Neuordnung der Luft- und Raumfahrt-Industrie. Es gebe aber keine Strategien, einen Rüstungskonzern zu schaffen. Reuter: „Das ist alles Larifari.“
19.1.88 - Die Privatisierung des staatlichen Matra -Konzerns, der zu den größten französischen Rüstungs- und Telekommunikationsfirmen gehört, beginnt. Daimler erwirbt vier, MBB später sechs Prozent.
15.4.88 - Die AEG kommt unter das Konzerndach von Daimler -Benz, geben die Führungsgremien beider Firmen bekannt. Reuter fordert eine Lösung des „offenen Problems Airbus“. Die Bundesregierung bietet die Übernahme der Wechselkurs -Risiken an.
Mai 88 - MBB-Chef Vogel schießt quer: Er fordert ein Nebeneinander von militärischem und zivilem Flugzeugbau; der Airbus dürfe nicht aus der Fusion herausgehalten werden. Bund und Länder sollen 70, MBB 30 Prozent des Kapitals der Airbus-Produktionsgesellschaft übernehmen. An MBB wiederum soll Daimler mit 30 Prozent beteiligt sein; also eine indirekte zehnprozentige Beteiligung von Daimler am Airbus.
Zuvor hatte sich der Verteidigungsausschuß des Bundestages für die Beschaffung des Jäger-90 ausgesprochen. Projektkosten: Offiziell 26,5 Milliarden Mark; tatsächlich dürfte es auf ein Mehrfaches davon hinauslaufen. Verhandlungen über Kooperationen von Airbus mit McDonnell Douglas und Lockheed gehen weiter. Strauß bleibt Airbus -Aufsichtsratsvorsitzender, weil MBB und Aerospatiale sich für seinen Verbleib ausgesprochen haben. Die Gutachtergruppe der „Vier Weisen“ hatten sich für eine deutliche Straffung der Airbus-Organisation ausgesprochen und ihm indirekt Versagen vorgeworfen.
17.5.88 - Streit mit Dornier. Die Familie sträubt sich gegen eine Kapitalerhöhung um 300 Millionen Mark zur Finanzierung des Passagierflugzeugs Do 328. Die Familie kann nicht mitziehen, also würde sich der Daimler-Anteil erhöhen. Reuter sagt auf der Bilanz-Pressekonferenz, daß „die Zeiten eines problemlosen allgemeinen Wachstums der Automobilindustrie ein für allemal vorbei sind“.
24.5.88 - Reuter, Vogels und Max Streibl, der Aufsichtsrats -Vorsitzende von MBB und bayrische Finanzminister, bilden eine Arbeitsgruppe; hinzu kommmt ein Vertreter des Bonner Wirtschaftsministeriums.
30.5.88 - Der 'Spiegel‘ weiß, daß Bangemann Reuter angeboten hat, daß der Bund alle Airbus-Risiken übernehme, wenn Daimler den drei Ländern 30 Prozent ihrer Anteile für 400 Millionen Mark abkaufe. Vogels soll einverstanden sein, weil so eine gewisse Eigenständigkeit von MBB gewahrt werden könne.
1.7.88 - Reuter sieht die Bereitschaft des Bundes, die Airbus-Risiken so lange von MBB fernzuhalten, bis das Flugzeugprogramm abgerundet sei.
Juli 88 - Der Vorsitzende der Monopolkommission, Immenga, hält den Einstieg für „kartellrechtlich zumindest problematisch“. Das Kriterium der Marktbeherrschung werde „wohl erfüllt“. Grundsätzlich sei es nicht zu rechtfertigen, daß der Staat Risiken der Unternehmensführung vorsorglich abdecke. Der 'Wirtschaftswoche‘ zufolge sollen sich Bangemann und Stoltenberg geeinigt haben, das Wechselkursrisiko bis 1994 zum größeren Teil zu übernehmen mit mindestens vier Milliarden Mark. Bis 1987 seien schon 4,6 Milliarden Mark aus dem Staats- in den Airbus-Haushalt geflossen. Dem Magazin zufolge plädiert Stoltenberg für eine 50- und Bangemann für eine 25prozentige Risikobeteiligung von Daimler. SPD-Wirtschafssprecher Wolfgang Roth: Die „neue ökonomische Großmacht“ kann politisch nicht mehr kontrolliert werden.
3.8.88 - Nach siebentägigem Verhandlungsmarathon hat Daimler künftig bei Dornier das alleinige Sagen. Daimler verzichtet auf die Kapitalerhöhung und führt 300 Millionen Mark in die Dornier-Rücklagen ein. Dafür liegt die unternehmerische Entscheidungshoheit künftig in Stuttgart.
29.8.88 - Reuter-Stellvertreter Niefer weist Vorwürfe zurück, Daimler bewege sich weg vom Auto und hin zur Rüstung. 80 Prozent des Umsatzes entfallen auf Pkws und Nutzfahrzeuge, nur 20 Prozent auf AEG, MTU und Dornier.
26.9.88 - 'dpa‘ läßt „informierte Kreise“ berichten, daß sich die Bundesregierung und Daimler auf die Absicherung des Dollarrisikos unter 1,60 DM durch den Bund verständigt hätten.
Okt. 88 - Die Neuordnung des Daimler-Konzerns wird bekannt. Danach soll der Autobereich künftig als Mercedes-Benz firmieren. Die neue AEG ist nur noch für Elektrik und Elektronik zuständig und gibt ihren Luft- und Raumfahrtbereich als Telefunken Systemtechnik an die neue Deutsche Aerospace (Dasa) ab, bei der auch Dornier und schließlich MTU landet. Hier hinein käme auch MBB.
Anfang Nov. 88 - FDP-Chef Graf Lambsdorff hat „erhebliche Bedenken“ gegen die Konzentration von wirtschaftlicher Macht in der Verteidigungsindustrie. Die weitreichende Verantwortung für die Airbus-Finanzierung durch Bonn verhindere überdies die erwünschte Rückführung der Airbus -Subventionen.
6.11.88 - Krach in Bonn: Lambsdorff, der wegen der Airbus -Finanzen schon eine Sondersitzung des Kabinetts veranlaßt hatte, ist nicht nur gegen den Währungsausgleich, sondern kritisiert auch die Marktmacht und den Einfluß der Deutschen Bank.
7.11.88 - Lambsdorff kippt und stellt seine „ordnungspolitischen Bedenken“ gegen Fusion und Subvention zurück. In Protokollnotizen wird aber unter anderem festgehalten, daß Gewinne der „nicht-zivilen“ Fertigung MBBs auch in die defizitäre Airbus-Produktion fließen solle. Das FDP-Präsidium ist jetzt für den Daimler-Einstieg. Die Bundesregierung stimmt insgesamt zu.
9.11.88 - Der Daimler-Aufsichtsrat stimmt der Fortführung der Verhandlungen zu. Reuter will ein Engagement nur, wenn eine klare Führbarkeit bei MBB gegeben ist. Weil die Bundesländer immer noch versuchen, Garantien herauszuholen, versichert Reuter noch einmal, Arbeitsplatzgarantien gebe es nicht.
11.11.88 - Koordinator Riedl bekräftigt, daß der Minister erlauben werde, wenn das Kartellamt querschießt. Nach der Zahl der Rüstungsprojekte sind Daimler und MBB an 70 Prozent der Entwicklungen und 55 Prozent der Beschaffungen beteilgt. Reuter schließt Standortgarantien für MBB-Werke kategorisch aus.
13.11.88 - Der nächste Krach, diesmal zwischen dem Wirtschaftsministerium und Daimler: Bangemann will die Gewinne aus der militärischen Fertigung von MBB mit den Verlusten aus der Airbus-Fertigung verrechnen. Reuter sieht nicht, daß das Gegenstand der Verhandlungen gewesen sei, und will nur Forschungserkenntnisse aus der Militärfertigung und den Weltraumprojekten kostensenkend bei der Airbus-Fertigung einsetzen. Reuter hatte in letzter Zeit andere mögliche Fusionspartner ins Gespräch gebracht und verkündet: „Wir laufen der MBB-Geschichte nicht hinterher.“ Die 'Welt‘ berichtet passend von einer Absichtserklärung Reuters, beim US-Großkonzern United Technologies einzusteigen. München bekommt den Sitz der Aerospace, nach Hamburg geht der Sitz für die MBB-Zivilflugzeug-Zentrale.
29.11.88 - Siemens begrüßt den Daimler-Einstieg.
21.12.88 - Daimler-Aufsichtsratssitzung. Herrhausen gibt Reuter grünes Licht für Vorvertrag und Abschlußverhandlungen mit dem Bund. Bedingungen: Nur die MBB-Gewinne aus dem Militärflugzeugbau sollen mit den Verlusten aus der Airbus -Produktion verrechnet werden, und die Bundesländer, die bei der Aerospace beteiligt werden, dürfen keine Sonderrechte erhalten. ein. Alle Arbeitnehmervertreter des Daimler -Aufsichtsrates stimmen gegen den Beschluß; sie befürchten Arbeitsplatzabbau im traditionellen Autosektor. Der Verrechnungsvorschlag ist absurd: Die Militärflugzeugbau -Gewinne, vom Verteidigungsministerium bezahlt, werden für die Airbus-Verluste verwendet, die vom Wirtschaftsministerium bezahlt werden.
Monopolkommissar Immenga kommentiert die Gesamt -Entwicklung: „Der Wert der Stellungnahme der Monopolkommission wird auf den Wert des Papiers reduziert, auf dem sie geschrieben steht.“ Immenga-Vorgänger Kantzenbach zum Argument, daß nicht der nationale, sondern der internationale Markt zu berücksichtigen sei: „Die Vorstellung von einem internationalen Rüstungsmarkt ist etwas naiv.“
22.12.88 - Für das Bundeswirtschaftsministerium ist das Verrechnungsangebot aus Stuttgart eine akzeptable Geschäftsgrundlage.
23.12.88 - Daimler meldet die Übernahme von zunächst 30 Prozent der MBB-Anteile beim Bundeskartellamt an.
Jan. 89 - Unter den Namen, die für die Aerospace-Führung gehandelt werden, fehlt der bisherige MBB-Chef Vogels.
Frühjahr 89 - Unter heftigen Druck der Basis, des Mittelstandes und liberaler Marktwirtschaftler geraten, kritisieren Lambsdorff und andere Politker aus den Koalitionsparteien weiterhin die Fusion.
21.4.89 - Das Bundeskartellamt untersagt in einer 136seitigen Vefügung die beantragte Fusion. Kernpunkte: Die marktbeherrschende Stellung von Daimler und MBB werde auf zahlreichen Teilmärkten vom Lkw über Militärflugzeuge bis zu Wissenschaftssatelliten verstärkt, neu aufgebaut oder ermöglicht. Daimler stellt den Antrag auf Ministererlaubnis.
11.7.89 - Auf der Bilanz-Ebene gerät das MBB -Betriebsergebnis für 1988 in die schwarzen Zahlen: 70 Millionen Mark plus nach 30 Millionen Mark minus werden bekanntgegeben. Die positive Entwicklung im Zivilflugzeugbau habe den Umsatzrückgang bei der Wehrtechnik ausgleichen können, heißt es im Geschäftsbericht. Der Airbus hat weltweit einen Marktanteil von 18 Prozent.
2.8.89 - Die fünfköpfige Monopolkommission, von der vier Mitglieder in den letzten drei Jahren hinzugekommen sind, empfiehlt die Fusion mit geringen Auflagen: Die Übernahme des 20prozentigen Anteils der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau an der Deutschen Airbus schon früher als 1999; den Verkauf des 12,5prozentigen Anteils von MBB am Panzerbauer Krauss-Maffei („Leo“); einen Verkauf von MTU oder die Ausgliederung wesentlicher Anteile des Bereichs Wehrtechnik (Lenkwaffen, Drohnen und Wehrelektronik). Wünschenswert, aber nicht Gegenstand des Verfahrens sei eine Trennung der Deutschen Bank von Daimler-Benz. Daimler erklärt die Vorstellungen der Kommission sofort für „nicht akzeptabel“ und nicht in Übereinstimmung mit den Vereinbarungen mit der Bundesregierung. Immenga tritt zurück.
22.8.89 - Bei der finalen Anhörung des Bundeswirtschaftsministeriums in Bonn zeigen sich die Beteiligten ihrer Sache sicher. Für MBB-Chef Vogels ist die Verteidigungstechnik der wichtigste integrale Bestandteil der Luft- und Raumfahrt; die Verteidigung sei die Voraussetzung der Luftfahrtindustrie. Der einflußreiche Bundesverband mittelständischer Wirtschaft befürwortet den Einstieg mit Auflagen; nur der Zentralverband der Handwerker und die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer warnen vor zu großer Machtzusammenballung gegenüber den Zulieferern.
Die Gewerkschaften lehnen die Fusion erneut ab, die IG Metall fordert eine Bundesbeteiligung am Airbus.
Aug./Anfang Sept. 89 - Die Medien sind sich einig, daß Haussmann die Ministererlaubnis mit geringen Auflagen erteilen wird. Lambsdorff kann sich auch mit seinen Vorstellungen zur Begrenzung der Bankenmacht nicht in der Koalition durchsetzen.
8.9.89 - Haussmann genehmigt den Aufkauf gegen geringe Auflagen. Die KfW steigt schon Ende 1996 aus dem Airbus aus; die Marinetechnik und der Krauss-Maffei-Anteil werden verkauft und Aufsichtsratsmandate entflochten. Der Gesamtkonzern wird etwa 80 Milliarden Mark Umsatz und 380.000 Beschäftigte haben.
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