piwik no script img

Kein Erfolg für nordirische Temperenzler

Lissabon gewinnt in Derry 1:2, doch die Fans in der alkoholfreien Zone erklatschen eine Ehrenrunde  ■  Aus Derry Ralf Sotscheck

Derry City, der Fußballverein der zweitgrößten nordirischen Stadt Derry, ist der erste Club, der sowohl die nordirische als auch die südirische Meisterschaft gewonnen hat. Der nordirische Titel liegt allerdings schon 24 Jahre zurück. Bereits damals waren Derrys Fans berühmt für den Höllenlärm, mit dem sie das heimische Brandywell-Stadion in einen Hexenkessel verwandeln. Das änderte sich jedoch am 11.September 1971. Während des ganzen Sommers hatte es Straßenschlachten zwischen der britischen Armee und der katholisch-republikanischen Bevölkerung gegeben. Die Polizei wagte sich schon lange nicht mehr in die katholischen Viertel Creggan, Bogside und Brandywell - „Free Derry“ verwaltete sich selbst.

Dann kam ausgerechnet die durch und durch protestantisch loyalistische Mannschaft von Ballymena United zum Punktspiel nach Derry. Die Gäste verloren neben dem Spiel auch ihren Mannschaftsbus, der von Jugendlichen angezündet wurde. Zur Strafe durfte Derry City nicht mehr in Brandywell spielen, sondern mußte ins 50 Kilometer entfernte Coleraine ausweichen. Als die Platzsperre auch im nächsten Jahr nicht aufgehoben wurde, zog sich Derry City vom Spielbetrieb zurück.

Als 1985 in Südirland eine zweite Liga eingeführt wurde, bot sich endlich die Chance zum Neubeginn. Der südirische Fußballverband akzeptierte Derrys Bewerbung getreu dem Postulat eines vereinten Irland. Sofort strömten wieder die Massen ins Brandywell-Stadion, und im letzten Jahr gelang Derry City der Aufstieg in die erste Liga. Auf Anhieb konnte das Team im Mai die Meisterschaft erringen und nimmt nun als Vertreter Irlands am Europapokal teil.

Das Los bescherte den Iren in der ersten Runde den portugiesischen Meister Benfica Lissabon. Die Paarung konnte ungleicher kaum sein: Im Benfica-Team stehen elf Nationalspieler, darunter die Brasilianer Ricardo und Valdo sowie der Schwede Mats Magnusson. Trotzdem träumte man vom Erreichen der zweiten Europa-Pokalrunde, was bisher erst einer irischen Mannschaft gelungen ist. Das Brandywell -Stadion war mit 12.000 Zuschauern natürlich schon lange ausverkauft, auch die Fenster der umliegenden Häuser und der Hügel des Creggan-Friedhofs hinter dem Stadion waren dicht besetzt. Und: Seit Derry City von „Northland“ gesponsort wird, ist das Stadion alkoholfrei. Northland ist ein Behandlungszentrum für Alkoholiker. Überall im Stadion hingen Plakate, die zur Temperenz mahnten: „We cheer without the beer“ (Wir brüllen auch ohne Bier). Eine erstaunliche Wandlung, wenn man bedenkt, daß Derry City bis vor kurzem vom Guinness-Konzern bezahlt wurde.

Derry fehlt es an technischen Fähigkeiten, doch aufgrund der Kampfkraft ist die Mannschaft im Mittelfeld sogar leicht überlegen. Allerdings gehen die Torschüsse mit haarsträubender Gleichmäßigkeit in Richtung Eckfahne. Derry kann mit dem torlosen Unentschieden zur Halbzeit zufrieden sein, weil die Abwehr mit einem Leichtsinn spielt, der schon an Größenwahnsinn grenzt: Torwart Tim Dalton z.B. köpft einen Ball aus dem Strafraum, statt ihn zu fangen.

Nach einer Stunde ist es schließlich soweit. Nach einem weiteren Abwehrfehler der Iren erzielt Tern mit einem Schuß aus 20 Meter Entfernung die Führung für Benfica. Nur vier Minuten später fällt das 0:2. Im Strafraum Derrys herrscht völliges Durcheinander. Dreimal können die Iren auf der Linie klären, doch der schwedische Schiedsrichter entscheidet, daß Brady beim dritten Abwehrversuch hinter der Linie stand.

Die Zuschauer sind mit dem guten Spiel hochzufrieden (Anschluß zum 1:2, 73.) und schreien nach Spielende solange, bis nicht nur die Derry-Spieler, sondern auch die Portugiesen wieder aus der Kabine kommen und eine Ehrenrunde drehen.

Nach dem Spiel zeigt sich, daß Northland keinen bleibenden Eindruck auf Derrys Fußballfans gemacht hat. Die Zuschauer stürzen in Hughie Maileys Sportlerkneipe. Hier hängen keine Temperenzlerplakate an der Wand, sondern Fotos von Spider Kelly, dem nordirischen Boxidol vergangener Zeiten. Viele Fans rechnen die Kosten für eine Reise zum Rückspiel in 12 Tagen aus. Das „Stadion des Lichts“ in Lissabon faßt 120.000 Zuschauer - sämtliche Einwohner Derrys könnten es nur zur Hälfte füllen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen