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Glühwürmchen aus dem Finsterhimmel

Warschauer Pakt dominiert bei gelegentlich „umlaufenden Winden“ Weltcup im Fallschirmzielspringen  ■  Aus Warendorf Petra Höfer

Irgendwo zwischen Münster-Grevenbroich, Wolbek und Telgte hat jemand „Super-Schalke“ auf eine rostige Brücke gemalt. Quer über die Landstraße, zwischen Alleegebäum, Rapsgelb und Grünzeug. In der platten Weite steht gelangweiltes Milchvieh und schlägt behäbig mit dem Schwanz nach Fliegen. Eine Landschaft für Kartoffelsalat, Bier und kalte Schweinskoteletts.

Über Warendorf hätten dazu bunte Farbflecken im Herbsthimmel hängen sollen. Durch den Fliegendreck auf der Windschutzscheibe aber ist rein gar nichts zu sehen: wegen „umlaufender Winde“ (Pusten im Kreis) hat man den Warendorfer Weltcup im Fallschirmzielspringen gerade unterbrochen. Bei Windrichtungswechsel von mehr als 90 Grad pro Minute nämlich werden die Maßarbeiter am Fallschirm gelegentlich unvermutet über die Zielmatte hinausgeweht. „Der Wind schlägt dir beim Anflug direkt auf die Kappe“, nennt es Ulrike Bay, Fallschirmspringerin aus München. „Da kannst gar nix mehr machen.“

Bebrillte Exklusivität

Auf dem Festgelände am Lohwall macht man also erstmal auf Schützenfest: schmuckes Grün, Blau-Weiß, Schwarz-Gelb mit allem Brimborium, Piffpaff, Hussa-Hoihoihoi. Vor dem VIP und Pressezelt dagegen stehen überdurchschnittlich viele Menschen mit komischen Brillen - Creationen des Weltcup -Hauptsponsors. Der schätzt offenbar das Exklusive. Er sponsort ausschließlich Polo, Golf, Oldtimer-Rallyes, Segeln und Fallschirmsprung. Hier kostet allein die Ausrüstung (Flächengleiter und Reserveschirm) 5.000 bis 6.000 Mark. „Zwei bis drei Jahre halten die Schirme“, sagt Ulrike Bay. „Nach 400 Sprüngen sind sie dann ausgelutscht.“ Was die „Sinkgeschwindigkeit“ erhöht.

Zum Warendorfer Weltcup reiste man selbstredend mit Spitzenausrüstung. An luftmatratzenartigen Flächengleitern fielen hier neunzig Springerinnen und Springer aus zehn Nationen jeweils elfmal zielsicher vom Himmel - aus 1.100 Metern „Absetzhöhe“ möglichst auf den fünf Zentimeter breiten „Null„-Kringel in der Mitte einer elektronischen Meßscheibe. Hoch in der Luft und manchmal Kilometer vom Zielkreis entfernt purzeln sie aus knatterndem Armee -Hubschrauber, kleine, kaum zu erahnende Pünktchen im freien Fall. Nach zehn Sekunden rauscht der Springer mit 250 km/h gen Heimat - ein „Sensory Overload“, auf den nur erfahrene Freifaller nicht mehr mit Panik reagieren.

Oben im Septemberhimmel fährt gerade der erste Schirm in die Höhe. Am unteren Ende baumelt einer lustig dranrum, trudelt kollernd durch Herbsthimmel-Turbulenzen, schwebt schließlich erhaben über die hochgereckten Köpfe der Zuschauer in den Zielkreis, reißt die Steuerleinen nach unten und fährt mit dem Hacken auf die Matte. „3 cm“, blinkt die elektronische Anzeigentafel. Optimal wäre „0“, mehr als „16 cm“ werden niemandem angeschrieben, auch wenn er fünf Meter weiter in der Fahnenstange hängen sollte.

Fünf Springer fallen im Weltcup-Wettkampf gemeinsam aus dem Hubschrauber - wo, das entscheiden sie selbst nach Wind und Wetter. Bei „Absetzfehlern“ wird das „Reinkommen“ etwas schwierig. Dann landet man halt vor der Würstchenbude. Zuschauer werden dann gebeten, zwecks Landeplatzwahl einfach stehenzubleiben. Der erste Team-Springer öffnet nach dem Absprung den Schirm erst nach fünfzehn, der letzte schon nach zwei Sekunden. Das verhindert, daß man sich mannschaftsweise über dem Zielkreis verheddert. Das schlechteste Team-Ergebnis wird gestrichen, vier kommen in die jeweilige Durchgangswertung. Am Ende wird einfach alles zusammengezählt - nach zehn Tagessprüngen und einem Nachtsprung. Aus rabenschwarzem Finsterhimmel trudeln sie da wie Glühwürmchen herab, lautlos, an bunter Fallschirmseide. Von oben soll ein beleuchtetes Bundeswehr-Stadion angeblich grandios aussehen.

Weltcup-Teilnehmer genießen solche Aussichten durchschnittlich seit zehn Jahren, besonders die Ostblockspringer ausschließlich als Militärprofis. Kein Wunder also, daß Teams aus Polen und Bulgarien die ersten drei Weltcup-Plätze belegten, Sieger „Zawisza Bydgoszcz“ mit einem Minuspunktkonto von gerade mal 75 Zentimetern. Das beste deutsche Team, Cazal Bad Wiessee, landete mit 140 Zentimetern immerhin auf dem 6. Rang. Die ersten der Einzelwertung (Meker Balaev vom „Moskau Para Team“ und der Pole Slawomir Rybacki mit jeweils zehn Zentimetern aus elf Sprüngen) sind ebenfalls Berufssoldaten. „Die machen ja nichts anderes als Springen - teilweise 5.000 Sprünge im Jahr“, sagt Ulrike Bay, „Zivile schaffen vielleicht 200.“ Der private Aufstieg zum freien Fall kostet mindestens 30 Mark pro Sprung. Ein (Neu-)Reichensport.

Ansonsten fallen hier vorwiegend ganze Männer vom Himmel. Die Amerikanerin Cheryl Stearns, siebenfache Weltmeisterin im Zielsprung, ist eher eine große Ausnahme. Die Boeing 737 -Berufspilotin einer amerikanischen Airline steht immerhin im Guinness-Buch der Rekorde. Sie stürzte sich in 24 Stunden 260mal aus dem Flugzeug.

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