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Leichenbesetzung, harmonisch

■ Manchmal hilft nur zu handeln: Nach neun Jahren Leerstand ist die Ohlauer Straße 29 wieder bewohnt / Besetzer, Verein SO36 und Baustadträtin wollen, daß es so bleibt

Links eine Spielhalle, rechts ein Puff und darüber acht halbfertig modernisierte Wohnungen vom Feinsten - so fanden am Donnerstag abend Obdachlose, Trebegänger und andere Leute aus dem Kiez das Haus Ohlauer Straße 29 vor. Und griffen zu

-nach monatelanger Beobachtung der Sanierungsleiche. Wenige Stunden später, die neuen Hausbesetzer saßen gerade beim Frühstück in der Sonne auf dem Bürgersteig, gab es offizielles Lob für Berlins jüngste Besetzung.

„Der hat so viel Dreck am Stecken, das ist stadtteilbekannt. Da haben wir keinerlei Veranlassung für den etwas durchzusetzen“, mit diesen Worten stellte sich Eichstädt-Bohlig (Baustadträtin, AL-nah) hinter die Besetzer und freute sich, daß auf diese Weise das Haus endlich bewohnt werde. Hinter der prächtigen Jugendstilfassade verbirgt sich nämlich eine Leerstandsgeschichte, die geradezu nach Besetzern schreit. Seit 1980 steht der Bau leer, gammelt vor sich hin. Der Vor-vor-Besitzer, wird im Kiez erzählt, beendete seine „Arbeit“ an der Ohlauer 29 als er einen Angestellten im Streit niederschoß und in den Knast umziehen mußte. Dort landete inzwischen vorübergehend auch der derzeitige Besitzer Dr. Pohly aufgrund von wirtschaftlichen Problemen, die er sich mit Hilfe eines zeitweilig sehr üppigen Spekulationsfirmengeflechts („Intergrund“) zuzog. Unter seiner Regie wurden jedoch rund 450.000 Mark an öffentlichen Mitteln verbaut, ohne daß die Wohnungen jemals fertig wurden. Hauptproblem: Der Eigentümer wollte zwar schnellstmöglich Übersiedlern teure Übernachtungsplätze schaffen, versäumte es aber, den Schwamm in den Wänden zu bekämpfen. Die Wohnungen blieben unbewohnbar. Dr. Pohly tauchte zudem mehr und mehr unter. Kommentar von Uli Lautenschlager vom Verein SO36: „Das ist hier keine rationale Spekulation mehr. Das ist Chaos.“

Die ideale Besetzung: Umsetzmieter sind für die Ohlauer 29 nicht vorgesehen, die jetzigen Besetzer sind akut von Wohnungslosigkeit bedroht oder leben schon auf der Straße. Und es sind Leute, die auf dem Markt keine Chance haben, sich also nicht an Nagels „Warteschlange vorbeimogeln“. Ihre Hauptforderung: Enteignung von Pohly.

Für alle Beteiligten wäre es jetzt auch am Besten, wenn der inzwischen wieder Freigelassene weiter auf Tauchstation bliebe. Denn die Besetzer dürfen bleiben, können sich gar Hoffnungen auf Wohnraum machen - zumindest, wenn es nach dem Willen der Baustadträtin geht. „Ja, wir dulden“, sagte Franziska Eichstädt-Bohlig gestern kurz und knapp. Einzige Bedingung: „Nachbarschaftsverträglichkeit.“

Unfrieden steht aber auf jeden Fall ins Haus, wenn der Eigentümer mittels Polizei eine Räumung erzwingen sollte. Pohly müßte sich diese Konfrontation aber gut überlegen, denn von seiten des Bezirks drohen ihm Leerstandsbußgelder in Höhe von achtmal 10.000 Mark.

-tom

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