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„Chile ist auf dem Weg zur Demokratur“

Veranstaltungsreihe und Fotoausstellung in Berlin zur aktuellen Lage und politischen Perspektive in Chile / Isidoro Bustos: „Diese Demokratisierung ist eine Schimäre“ / Die Ausstellung geht auf Wanderschaft durch die Bundesrepublik  ■  Von Maria Kniesburges

Berlin (taz) - Noch in den siebziger bis in die beginnenden achtziger Jahre gehörten sie fest in das Bild linker Politkneipen und Versammlungsräume: die Plakate der Chilesolidaritätsgruppen, die Aufkleber „Freiheit für Chile“ oder die Fotodrucke der Wandmalereien aus den poblaciones, den Armenvierteln von Santiago de Chile. Heute sind sie nur noch selten zu finden - rarer geworden sind auch die Diskussionen und Veranstaltungen der bundesdeutschen Linken zur Situation in Chile.

Nicht nur das, auch die Sicht der Verhältnisse in Chile hat sich geändert. Schon in seinen Einleitungsworten auf einer Chileveranstaltung in West-Berlin brachte der Exilchilene Isidoro Bustos, Rechtsanwalt und Mitglied des „Forschungs und Dokumentationszentrums Chile/Lateinamerika“ (FDCL), das jetzt so auf den Punkt: „Viele, die unsere Einladung gesehen haben, werden dabei an die aktuellen Zeitungsmeldungen gedacht haben, die ja fast durchweg 'Bald Demokratie in Chile‘ oder ähnlich lauten.“ Der Titel der Veranstaltung, auf der Isidoro Bustos sprach, lautete dagegen: Chile auf dem Weg zur „Demokratur“.

Die Diskussion war Teil einer Veranstaltungsreihe im Rahmen der Fotoausstellung Chile - Zwischen Überlebenskampf und Rebellion, die noch bis zum 20.Oktober in der Galerie Olga Benario in Berlin zu sehen ist. Anschließend wird sie als Wanderausstellung in zahlreichen bundesdeutschen Städten zu sehen sein. Auf ihrere Reise quer durch Chile im Frühjahr diesen Jahres hatten Hanne Sommer und Axel Hauff, die InitiatorInnen, die KohlefischerInnen von Lota, die Bergarbeiterfamilien um die gigantische Kupfermine Chuquicamata, die Armenviertel von Santiago oder auch die spärlich ausgestatteten Redaktionsräume der Oppositionspresse aufgesucht. Sie sprachen mit Gewerkschaftern, die nach wie vor mit Repression belegt sind, mit Angehörigen der politischen Gefangenen, mit Frauen, die gegen die Pinochet-Diktatur um ihre Rechte kämpfen. Realitäten aus Chile 1989, die in der Ausstellung auf zahlreichen Fotos wie auch durch Interviews dokumentiert sind.

Bald Demokratie in Chile, wie es in den Zeitungen allenthalben prophezeit wird? „Sicher, wenn wir an Änderungen aus der letzten Zeit denken, wie zum Beispiel die Zulassung der linken Parteien, dann könnten wir denken: Es ist ein Demokratisierungsprozeß im Gange. Und wenn wir an die vorgesehenen Präsidentschaftswahlen denken und die Voraussage hören, daß das Oppositionsbündnis stärker sein wird als der Kandidat Pinochets, dann könnten wir denken, es gebe eine Demokratisierung“, so Isidoro Bustos. Er fügt jedoch hinzu: „Diese Demokratisierung ist eine Schimäre.“

Zur Begründung schildert er in kurzen Worten die Verhältnisse, die auf den Fotos der Ausstellung an den Wänden des Versammlungsraums zu sehen sind. „Die reale Lage in Chile heißt zur Zeit: Die Anzahl derjenigen, die ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können, ist auf fast 50 Prozent der Bevölkerung angewachsen, ein Viertel leidet mittlerweile an Unterernährung.“ Gleichzeitig, so Bustos weiter, werde die Privatisierung und damit die Senkung des Lohnniveaus in privatkapitalistischer Hand auf das entschiedenste vorangetrieben, „um nach der Abwahl Pinochets alles in privater Hand zu haben“. Und damit daran keine neue, gewählte Regierung rütteln kann, hat die Pinochet -Diktatur in jeder Hinsicht vorgebaut.

So schließt die neue Verfassung Enteignungsprozesse und damit ein Zurückschrauben der immensen Privatisierung unter Pinochet quasi vollständig aus: „Jeder Enteignungsprozeß muß zunächst die Zustimmung des Besitzers finden, zudem muß die Entschädigung im voraus gezahlt werden. Früher galt eine Rückzahlungsfrist von 30 Jahren.“ Gleichzeitig hat Pinochet noch rechtzeitig vor der Wahl den Aufsichtsrat für die Zentralbank ernannt, „der alle grundlegenden wirtschafts und finanzpolitischen Entscheidungen trifft“. Bustos‘ Fazit: „Damit ist jede andere Wirtschafts- und Sozialpolitik einer neuen Regierung blockiert.“ Gleiches gelte für die Judikative, da Pinochet derzeit dabei sei, den Obersten Gerichtshof mit Richtern seiner Gefolgschaft zu besetzen, die laut Verfassung bis zu ihrem 75.Lebensjahr im Amt bleiben. „Damit“, so Bustos, „hat Pinochet die Judikative für das nächste Vierteljahrhundert bestimmt“. Doch nicht genug: „Auch die dem Oberbefehlshaber der Armee, der bis 1998 Pinochet heißt, treu ergebene Militärjustiz, die weitreichende politische Befugnisse besitzt, wird beibehalten.“

Den TeilnehmerInnen der Veranstaltung stand die Frage gleichsam ins Gesicht geschrieben: Warum nicht die Verfassung ändern? Doch auch da, so erläuterte der Verfassungsrechtler Bustos, hat die Militärdiktatur eine Blockade eingebaut. „Wie aber geht denn die Linke in Chile mit dieser Situation um?“ lautet die ratlose Frage aus dem Zuhörerkreis. „Die Linke hat zur Zeit keine Alternative zu den geplanten Wahlen. Und die, die die beschränkten Reformmöglichkeiten nach einem Wahlsieg des Oppositionsbündnisses aufzeigen und sich dieser angeblichen Demokratisierung verweigern, finden derzeit keinen Platz in der Öffentlichkeit, alles ist auf die Wahl fixiert“, beschreibt Petra Schlagenhauf, Rechtsanwältin und Mitglied des FDCl, die Situation. Ein Knackpunkt, der aber zur Zeit auch wenig Platz in der von den Wahlen bestimmten öffentlichen Diskussion finde, sei zum Beispiel die Frage der Ahndung von Menschenrechtsverletzungen durch die Pinochet-Militärs: „Selbst wenn es möglich wäre, Pinochets Amnestiegesetz von 78 zu annullieren - es müßten ja Gerichte dasein, die Willens sind, die Menschenrechtsverletzungen aufzuklären und die Täter zu bestrafen.“

Die Fotoausstellung ist bis zum 20.Oktober zu sehen in der Galerie Olga Benario, Boddinstraße 61, Berlin 44. Dort ist auch ein Katalog zur Ausstellung erhältlich.

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