: Per „Sozialdemokratisierung“ an die Macht
Im südenglischen Brighton hat die Labour Party ihren Parteitag eröffnet / Linke Abgeordnete plädieren für Kürzungen im Verteidigungshaushalt / Änderungsanträge nicht zugelassen / Parteilinke kritisiert Labours Weg zur „Sozialdemokratisierung“ ■ Aus Brighton Ralf Sotscheck
Der „Sozialdemokratisierung“ der britischen Labour Party steht nichts mehr im Weg. Am Abend vor dem Parteitag, der gestern im südenglischen Seebad Brighton eröffnet wurde, stimmte der Parteivorstand in den wichtigsten Punkten für das neue Labour-Programm „Britain in the World“. Im Programm ist weder eine Immunität für die Gewerkschaften bei „illegalen Streiks“, noch eine Verstaatlichung der von Thatcher privatisierten Industrien vorgesehen. Forderungen nach einer eigenen Sektion für schwarze Mitglieder, die in den Parteigremien stark unterrepräsentiert sind, werden abgelehnt. Außerdem enthält das Programm ein Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft und zu einer „realistischen Wirtschaftspolitik“. John Smith, Finanzminister des Schattenkabinetts, betonte am Sonntag, daß die Labour Party nach der Regierungsübernahme die Staatsausgaben keinesfalls erhöhen werde: „Wir können nicht ausgeben, was wir nicht verdient haben. Wenn das bedeutet, daß wir einige unserer sozialen Bestrebungen verschieben müssen, dann läßt sich das nicht ändern. Unsere erste Aufgabe wird es sein, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen.“ Eine der dringendsten Aufgaben sei Großbritanniens Beitritt in das Europäische Währungssystem. Mit dieser Aussage will Smith den WählerInnen offenbar die Angst vor einem weiteren Anstieg der Inflationsrate nehmen. Der dem linken Flügel angehörende Abgeordnete Ken Livingstone forderte dagegen, die Labour Party müsse deutlich machen, wieviel sie ausgeben wolle, und woher das Geld kommen soll.
Livingstone und andere linke Labour-Abgeordnete plädierten für drastische Kürzungen des Verteidigungshaushalts. Der Parteivorstand stimmte jedoch mit großer Mehrheit gegen Forderungen nach unilateraler Abrüstung. Es gilt als sicher, daß die Delegierten die neue multilaterale Abrüstungspolitik auf dem Parteitag absegnen werden.
Parteichef Neil Kinnock glaubt, daß er nach den nächsten Parlamentswahlen in einem Jahr auch ohne die Unterstützung anderer Parteien Margaret Thatcher ablösen kann. Deshalb lehnt er es ab, für eine Ablösung des britischen Mehrheitswahlrechts durch proportionale Repräsentation einzutreten. Kinnock stellte gestern erfreut fest, daß die Partei in den letzten zehn Jahren nicht mehr so einig war wie heute. Das gebe ihm freie Hand, den WählerInnen das neue moderate Parteiprogramm zu verkaufen, ohne eine Spaltung der Partei zu riskieren.
Ohnehin ist die Labour-Linke auf dem Rückzug. Livingstone gab zu, daß es relativ bedeutungslos sei, wenn verschiedene Anträge des linken Flügels auf dem Parteitag angenommen werden, da das neue Programm Vorrang gegenüber diesen Anträgen habe. Kinnock hatte durchgesetzt, daß bei der Abstimmung über „Britain in the World“ keine Änderungsanträge zugelassen sind. Dieses Verhalten stieß auf scharfe Kritik von Tony Benn, dem prominentesten linken Labour-Abgeordneten. Benn sagte: „Wir haben jetzt eine Parteiführung, die das Recht für sich beansprucht, die Partei vollständig von oben zu kontrollieren. Stattdessen können wir uns Luftballons kaufen. Bisher dachte ich, daß sie die Wahlen gewinnen wollen, indem sie die Linke und die Gewerkschaften im Stich lassen. Jetzt sehe ich jedoch, daß sie auch die Labour Party im Stich lassen.“
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