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Den Türkei- wie DDR-Flüchtlingen helfen

■ Interview mit Paul Tiefenbach, Landtagsabgeordneter der Grünen, zuständig für die Ausländerpolitik

taz: Die Konservativen feiern die neuen Flüchtlinge. Feiert ihr mit?

Paul Tiefenbach: Wir hatten in der Bürgerschaft die Diskussion darüber, daß durch die Vielzahl der Asylbewerber Probleme auf die Stadt zukommen, die nicht zu bewältigen seien. Erstaunlicherweise ist dieses Thema weg, die Ausländer sind auch aus der Schußlinie der CDU herausgekommen, das ist gut. Es ärgert mich dabei, daß mit zweierlei Maß gemessen wird.

Auf der Linken gibt es auch Leute, die sagen: Man sollte die

Einreise von DDR-Bürgern einschränken...

Tiefenbach: Das finde ich nicht. Ich habe Verständnis dafür, daß die Leute nicht in einem Staat leben wollen, wo sie damit rechnen müssen, erschossen zu werden, wenn sie die Grenze überschreiten und wo fundamentale politische Rechte nicht existieren. Was mich ärgert: Dinge, die wir für Asylbewerber schon lange fordern, werden diesen Übersiedlern selbstverständlich zuerkannt. Viele DDR'ler kommen, weil der Lebensstandard

hier höher ist. Kohl hat gesagt, auch ein Anspruch auf Wohlstand ist ein Menschenrecht...

Findest Du das richtig?

Tiefenbach: Ja, finde ich richtig. Auf der anderen Seite wird bei Asylbewerbern, die aus Hungerländern kommen, gefragt, wo die politisch Verfolgung ist. Es wird gesagt: Wir können nicht alle aufnehmen, die Hunger leiden.

Warum werden die Libanesen und Tamilen nicht von denen, die für Gleichbehandlung sind, nicht genauso empfangen wie die DDR-Übersiedler?

Tiefenbach: Die Leute vom Flüchtlingsrat tun eine ganze Menge, auch die ausländischen Familien, die hier leben, unterstützen die Flüchtlinge, die aus ihren Ländern kommen, recht großzügig. Nur geht das von der Zahl und den Möglichkeiten unter gegenüber dem, was den DDR'lern passiert.

Die Grünen sind nach wie vor gegen die Wiedervereingung?

Tiefenbach: Ich bin gegen eine Wiedervereinigung, ganz klar. In der DDR setzen viele darauf, daß die Bundsregierung die Lösung der Probleme der DDR-Staatsbürger irgendwie hinkriegt. Das ist eine falatale Sache, die auch zur Folge hat, daß Oppositionsbewegungen in der DDR sehr schwach sind. Eine Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft würde ein Signal setzen..

Sehr unpopulär...

Tiefenbach: Ich habe Angst, daß wir in eine neue Weltherrschaft des Kapitalismus hineinkommen, wenn das realsozialistische System sich auflöst. Ich habe Angst, daß wir in einen nationalistischen Taumel für Großdeutschland hineinzukommen. Man muß die Anerkennung der DDR -Staatsbürgerschaft jetzt um so lauter fordern, wenn das unpopulär ist, aus Gründen der politischen Vernunft. Wir sind für die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft.

Die Botschaften müßten dann geschlossen bleiben...

Tiefenbach: Nein. Wenn in einem Land politische Unterdrückung herrscht, dann sollten die deutschen Botschaften offen sein. In Ungarn und in der Türkei.

Int.: K.W.

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