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Labour auf reformistischem Kurs

Auf dem Parteitag der britischen Labour-Party in Brighton wurde „Sozialdemokratisierung“ beschlossen Neil Kinnock und der rechte Parteiflügel versprechen sich von dem neuen Programm einen Wahlerfolg  ■  Aus Brighton Ralf Sotscheck

Auf dem Labour-Parteitag, der gestern im südenglischen Seebad Brighton zu Ende ging, segneten die Delegierten das moderate Parteiprogramm „Britain in the World“ ab. Labour -Chef Neil Kinnock hatte bereits im Vorfeld des Parteitages die „Sozialdemokratisierung“ mehrheitsfähig gemacht. Ohnehin hatte ein Vorstandssprecher zu verstehen gegeben, daß das neue Programm Vorrang vor gegensätzlichen Parteitagsbeschlüssen hätte. In seiner Rede betonte Kinnock die Einigkeit der Partei. Er prophezeite, mit dem neuen Programm werde Labour bei den nächsten Wahlen einen deutlichen Sieg erringen. Für scharfe Angriffe auf Premierministerin Margaret Thatcher wurde er mit stehenden Ovationen gefeiert. Ob der Optimismus in der Labour-Party berechtigt ist, wird sich erweisen müssen: Zwar verfügt die Partei laut Meinungsumfragen über einen Vorsprung von fünf bis zwölf Prozent vor den Konservativen, doch nur 24 Prozent der Befragten halten Kinnock für einen „fähigen Führer“. Thatcher attestierten diese Eigenschaft doppelt so viele BritInnen.

Der Labour-Parteitag fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. In das Konferenzzentrum kam nur herein, wer sich einer Leibesvisitation unterzogen hatte. Selbst die Handflächen wurden mit einem Spezialgerät eingehend auf Sprengstoffspuren untersucht. Im Foyer herrschte dagegen Flohmarktstimmung. Über 90 Organisationen warben für recht unterschiedliche Produkte: So hatte die Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth“ ihren Stand ganz in der Nähe von „British Nuclear Fuels“ aufgebaut, die ihre Plutoniumschleuder Windscale in Hochglanzbroschüren anpries. Die Labour-Party - die erste Partei Europas, die ein eigenes Kreditkartennetz aufgebaut hat - versuchte, die Plastikkärtchen an Delegierte und Gäste loszuwerden, um die Parteikasse aufzubessern. Man rechnet mit Einnahmen in Höhe von 4,5 Millionen Mark.

Die Labour-Linke konnte die Partei weder auf eine Rücknahme der gewerkschaftsfeindlichen Gesetze festlegen, noch die Verstaatlichung aller von der Thatcher-Regierung privatisierten Industrien durchsetzen. Darüber hinaus wurde der prominenteste Vertreter der Linken, Ken Livingstone, nicht mehr in den Vorstand gewählt.

Zwei Themen, die im Vorfeld des Parteitags zu heftigen Kontroversen geführt hatten, werden die Partei auch weiterhin beschäftigen: Einen Ausschuß, der eine Änderung des Mehrheitswahlrechts untersuchen sollte, lehnte Kinnock ab. Das britische Wahlrecht benachteiligt kleinere Parteien derart, daß sie vom Parlament praktisch ausgeschlossen sind. Außerdem fand der Antrag auf Gründung einer sozialistischen Labour-Gruppe für Schwarze, die unter den Delegierten stark unterrepräsentiert sind, nicht die erforderliche Mehrheit.

Zu lautstarken Auseinandersetzungen kam es bei der Debatte über Homosexualität. Der stellvertretende Parteivorsitzende Roy Hattersley forderte lediglich „größere Gleichberechtigung“ für Schwule und Lesben, was vor allem den betroffenen Delegierten nicht weit genug ging. Die Debatte mußte abgebrochen werden, als ein Feueralarm ausgelöst wurde. Das lag nicht an den erhitzten Gemütern, sondern an der grellen Beleuchtung für die Fernsehkameras.

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