: Mit Freibier und Bockwurst gegen „sture Gewerkschaft“
■ Der erste Dienstleistungsabend wurde zum Einkaufsjahrmarkt / Unterschiedliche Reaktionen bei Käufern und Verkäufern / Die meisten Kaufhäuser blieben zu
Berlin (taz) - Zwischen „totaler Flop“ und „absoluter Erfolg“ schwanken die Reaktionen auf den mit großem Aufwand propagierten, ersten langen Einkaufsabend am Donnerstag. Fest steht nach dieser Premiere nur eines: der umstrittene „Dienstleistungsabend“ war bestenfalls ein reiner Kaufabend, denn Dienstleistungsunternehmen, Postämter und Ärzte schlossen wie bisher pünktlich ihre Pforten.
Nach Ansicht der Deutschen Industrie und Handelstages (DIHT) hat der erste Dienstleistungsabend seine Premiere mit Erfolg bestanden. In den Innenstädten der deutschen Großstädte hätten sich bis zu 90 Prozent der Facheinzelgeschäfte daran beteiligt. Einige Unternehmen hätten in den zwei Stunden, die sie abends länger geöffnet hatten, bis zu 50 Prozent des gesamten Tagesumsatzes gemacht. Diese Umsatzsteigerung hatten sich viele Geschäfte jedoch kräftig etwas kosten lassen. Um die Kunden überhaupt anzulocken, wurden Freibier, Musik, Blumen und Sekt aufgefahren. Aber jeden Donnerstag, so die Gewerkschaft HBV, könne der Handel einen solchen „riesigen Jahrmarkt“ wohl kaum veranstalten.
Die Gewerkschaften hatten vielerorts mit Flugblättern gegen die längeren Öffnungszeiten protestiert und Kunden zum Boykott aufgefordert. Die Kundschaft ist laut einer Umfrage des Wickert-Instituts in dieser Frage gespalten: 52 Prozent seien für längere Öffnungszeiten, 48 dagegen, ergab die Befragung, wobei die Haupteinkäuferinnen, die Frauen, den Einkaufsabend eher ablehnten. Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels zog eine eher vorsichtige Bilanz. Ein wirkliches Ergebnis könne man erst im März/April sehen.
In zahlreichen Städten machte sich der sogenannte Dienstleistungsabend so gut wie gar nicht bemerkbar. In Berlin, wo Gewerkschaften und Arbeitgeberverband sich schon im letzten Jahr nach einem Arbeitskampf auf einen vorläufigen Verzicht auf längere Öffnungszeiten geeinigt hatten, beteiligten sich nur rund ein bis zwei Prozent der Geschäfte an dem langen Einkaufsabend. Auch in anderen Städten blieben die großen Warenhäuser meist geschlossen. Dort hatten die Betriebsräte auf den alten Öffnungszeiten bestanden, und auch die Unternehmer versprachen sich wenig ökonomischen Erfolg.
Zumindest für Bundeswirtschaftsminister Haussmann, der den langen Abend propagandistisch unterstützte, war der Donnerstag ein Erfolg: Er kaufte zwei Hemden zu jeweils über 100 Mark. Bei einer 80-Stunden-Woche sei er bisher nie zum Einkaufen gekommen, erklärte der zuvor offenbar völlig nackte Minister. Nun wolle er nicht mehr „als Aschenputtel herumlaufen“.
Ve. Siehe Kommentar Seite 8
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