Bar?a und der Geist der Stadt

FC Barcelona - Real Madrid 3:1 / Ein Schiedsrichter gewinnt die Liebe des katalanischen Volkes  ■  Aus Barcelona Nikolas Marten

Aperetif - Die regionale Presse überbietet sich seit Tagen vielseitig mit visionär-spekulativen Vorberichten. Ob in den baufälligen Bars des Hafenviertels oder an den Marmortresen der postmodern-gestylten Edeltreffs der „pijos“, wie jung -urbane Emporkömmlinge hier genannt werden, es gibt nur ein Thema: „El derby“ - das 115. Duell der Ewig-Rivalen FC Barcelona und Real Madrid. Während sich Präsidenten, Offizielle und Trainer beider Clubs via elektronischer Medien im Stundentakt demütigen, ist es ein Spieler, der Augen und Ohren aller auf sich lenkt: Bernd Schuster. Mit bösen Verlautbarungen trampelt er seit Wochen durch den Gefühlsgarten der Katalanen. Bis zu seinem Wechsel am Ende der vorletzten Saison zu Real, war „El Rubio“, der Blonde, wie er immer zärtlich gerufen wurde, trotz vieler Eskapaden der Held schlechthin. Kopfschüttelnd werden seine verächtlichen Kommentare über Land, Stadt und Club registriert. Denn der mit fünf Millionen Mark Jahressalär bestbezahlte Ballkünstler Spaniens nennt es ein Geschenk des Himmels, nicht mehr in „dieser grauenhaften Stadt für diesen Chaosverein“ spielen zu müssen. Der Empfang und Abgang an diesem Abend hätte für den Exilteutonen im verhaßten weißen Trikot der königlichen Hauptstadt-Elf nicht denkwürdiger sein können.

Menü - Trotz Live-Übertragung im TV sind dennoch 120.000 zur Zelebrierung des einzig vakanten Feiertags Kataloniens gekommen. Der prall gefüllte Kessel des Estadio Nou Camp scheint an diesem spätsommerlichen Abend von dem Heulen der Pfiffe zu platzen, als die Spieler Madrids auf den heiligen Rasen traben. Ein imaginärer Dirigent nimmt den Pfiffen die Luft, um Hände, Füße, Tröten und Kehlen zum Crescendo zu bitten, während die ersten Trikots der „Blaugranas“, der blauroten Barcelonesen, sichtbar werden. Pyrotechnischer Zauber färbt grell den schwülen Abendhimmel; schwere Knallkörper krönen das einmalige Massenhappening. Finale vor der Partie ist das kollektive „a cappella“ der moll-lastigen Bar?a-Hymne.

Schon nach fünf Minuten hektischer Ballklopperei scheint der Referee dem Image seiner Gilde gerecht zu werden, immer Madrid zum Meister zu küren. Laudrup, dänische Neuerwerbung von Bar?a, wird im Strafraum wüst umgesäbelt, doch der erlösende Triller von Urizars Pfeife bleibt aus. Kurz darauf stolpert auf der Gegenseite Butragueno. Die eindeutige Geste des Mannes in Schwarz läßt die Masse explodieren. Elfmeter für Madrid, 0:1, Hugo Sanchez, Handstandüberschlag gratis. Zum Zeichen tiefster Verachtung winkt man dem Urheber in bester Stierkampfmanier mit Taschentüchern. Ein Meer in Weiß. Bengalische Feuer, die schwarze Löcher in das Grün des Rasens brennen, verheißen nichts Gutes.

Von nun an stürmen die Einheimischen wie entfesselt. In der 10. Minute darf sich Rechtsaußen Julio Salinas nach Alleingang, Vollstreckung inklusive, feiern lassen. 1:1. Nun erwachen auch die letzten Fledermäuse und umflattern hektisch die gleißenden Lichtmasten. Bis zur Pause spielt der amtierende Meister aus Madrid abgeklärt in bester Bayern -Manier: Sichere Abwehr um den hervorragenden Libero Schuster, einlullendes Mittelfeldspiel, gezielte Fouls und überraschende Konter durch die schnellen Spitzen Sanchez und Vasquez.

Im zweiten Teil dieses Gipfeltreffens verflacht zunächst alles. Spieler mimen sterbende Schwäne, gelbe Karten werden brüderlich geteilt und die Lederkugel landet überall, nur nicht im Tor. Kaum zu glauben, daß sich auf dem Rasenrechteck 22 Nationalspieler tummeln. Ein überraschender Sinneswandel veranlaßt den Schiedsrichter, einen Schwalben -Tiefflug des blauroten Eusebio mit einem Freiversuch aus elf Metern zu belohnen. Der holländische 17-Millionen-Mark -Einkauf Ronald Koeman nimmt Maß: 2:1. In der 90. Minute offenbart der Pfeifenmann die Sehnsucht nach Applaus und beschenkt die Katalanen ein weiteres Mal. Der niederländische Albino-Riese versenkt zum 3:1-Endstand und ist nun mit fünf verwandelten Elfmetern Torschützenkönig der Liga.

In der 5. Minute der Nachspielzeit bestätigt Urizar endgültig seinen Liebesschwur zu Catalunya. Wegen Ballhaltens schickt er den Exil-Katalanen Bernd Schuster vom Platz. Zwei Pfiffe und ein rotes Kärtchen, schon gehört einem Mann in schwarzer Baumwolle die Liebe eines ganzen Volkes.

Dejustif - Während sich die Presse in der Bewertung des Sieges nur um die Attribute „glücklich“ und „unverdient“ streitet, spricht der sichtlich gelöste Trainer und Manager Bar?as in Personalunion, Johan Cruyff, von einem „großen Sieg für die heiligen Farben der 108.000 Mitglieder“. Drei Auswärtsniederlagen und ein peinlicher 12. Platz nach fünf Spieltagen hatten an den Nerven gezerrt.

Derweil rüstet die Stadt zum würdigen Ende des Festaktes: „cules“, die Bar?a-Anhänger, prügeln sich mit „fachas“, den hakenkreuzgeschmückten Madrilenos zu tausenden. Hupende Autokorsos füllen die Straßen, Schwefelschwaden von Freudenböllern trüben die Sicht und Vereinsfahnen umhüllen die Balkongatter. Wie sagte einmal ein Oberbürgermeister: „Die Stadt kleidet ihre Hauptstraßen und Plätze in blau und rot, weil der Geist des FC Barcelona der Geist des Stadt ist.“