: Sprayen: Ein „ansehnliches“ Vergehen
Dortmunder Graffiti-Künstler wird zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten auf zwei Jahre Bewährung verurteilt / Schadensersatzforderungen in Höhe von 100.000 Mark drohen, falls das Urteil rechtskräftig wird ■ Aus Dortmund Petra Höfer
Es hat alles nichts geholfen. Nicht der Hinweis des eigens aus München geladenen Sachverständigen Peter Kreutzer, Volkskundler und Herausgeber eines Graffiti-Lexikons, daß es sich hier um einen „begnadeten Künstler“ handle, auch nicht der kühne Schwung des Graffiti-Forschers vom angeklagten Dortmunder Sprayer-Star zu Tilman Riemenschneider (1460 -1531), der schließlich auch Schüler gehabt hätte, die seinen Stil kopierten, und nicht einmal das Bekenntnis des Jugendrichters, daß eines der Vergehen des Angeklagten - ein Sprühbild auf der bundesbahneigenen Schallschutzmauer in Düsseldorf-Bilk - „zugegebenermaßen“ ein „sehr ansehnliches“ Vergehen sei, „ansehnlicher vielleicht als die graue Wand“.
Über den letzten der einst vier Sprühdosen-Mohikaner, die im aufwendigen Sprayer-Prozeß vor dem Dortmunder Amtsgericht ursprünglich gemeinsam auf der Anklagebank gesessen hatten, wurde gestern eine Jugendstrafe von sechs Monaten verhängt ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung. Den Dortmunder king of the city - mit dem eleganten Pseudonym aus der Textilbranche - befand das Gericht am Mittwoch nachmittag schuldig der „einfachen Sachbeschädigung“ in drei Fällen (Garagentor, gemeinnützige Wohnhauswand, Schuhhausfassade) und der „gemeinschädlichen Sachbeschädigung“ in vier Fällen (S-Bahnen in München und Bad Homburg, Schallschutzmauer in Bilk).
Während der beschuldigte subway artist aus Dortmund -Persebeck die einfachen Sachbeschädigungen selbst zugegeben hatte, stützt sich das Urteil im Falle besprühten Bundesbahneigentums auf ein nicht ganz eindeutiges Indiz. Bei einer Hausdurchsuchung hatte man das blackbook des jungen Künstlers beschlagnahmt.
Im Gegensatz zum geladenen Sachverständigen, der das ominöse schwarze Heft als eine Art „Poesie-Album“ der Szene beschrieb, in dem der Sprüher von Welt Andenken an eigene und freundschaftlich bewunderte fremde Meisterwerke aufbewahre, ging das hohe Gericht davon aus, daß es sich hier ausschließlich um Leistungsnachweise des Angeklagten (oder seiner writing-crew) handele. Wegen der belastenden Fotografien und Entwürfe müsse man zumindest von Mittäterschaft ausgehen.
In sieben weiteren der 14 Anklagepunkte wurde der 20jährige Sprüher, der vor ein paar Tagen zur Bundeswehr eingezogen wurde, freigesprochen. Prozeßkosten hat man ihm erlassen. An der zivilrechtlichen Würdigung seiner „schädlichen Neigungen“ (Graffiti im Juristen-Deutsch) wird der Spray -Star, der 1986 vor Gericht zweimal mit erzieherischen Maßnahmen davongekommen war, eh‘ noch lang zu knapsen haben. Sollte der Verteidiger nicht in Berufung gehen, drohen Schadensersatzforderungen an die 100.000 Mark.
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