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Regierung ohne Hirn - Bush und die Folgen

Aus Washington Rolf Paasch  ■ E S S A Y

Ach Amerika, was mußt du nicht alles erdulden. Nach Reagans Untaten nun Bushs Untätigkeit. Nach dem gipper, der auf Anweisung seiner Berater blindlings in die Sonne ritt, nun ein Präsident, der alles selbst in die Hand nimmt: freilich ohne viel zu bewegen. Nach den Jahren der Präparation zu militärischer Aggression, auf Pump finanzierter Expansion und medialer Manipulation nun die totale politische Flaute. Wenn es wirklich so war, daß die Amerikaner George Bush gewählt haben, um sich von dem Reagan-Abenteuer zu erholen, dann ist George in der Tat der Richtige. Der treffsichere Cartoonist Doonesbury zeichnete ihn unlängst als unsichtbare Figur und traf damit das bisherige Wesen der Bush -Präsidentschaft besser als das Heer der politischen Analysatoren. Dem neuen Bewohner des Weißen Hauses sind die Hände gebunden. „Read my lips“ - „Schaut mir auf die Lippen, Leute“ -, so der Wahlspruch, mit dem er im November 1988 schließlich seine ebenfalls intellektuell zwergenhaften Konkurrenten um das Präsidentenamt ausbootete: „Keine neuen Steuererhöhungen!“ Damit waren die Claims des Präsidenten George Bush von vornherein abgesteckt. No new taxes, das war das Kredo des „Ich-kann-nicht-Präsidenten“, der politische Impotenz seitdem zum Programm erhoben hat. Zwei Beispiele für die steuerliche Beschränktheit der Bush -Administration: Da schickte George Anfang September die ganze Nation mit einer märchenonkelhaften Rede in den Drogenkrieg, ohne allerdings die Kriegskasse mehr als nur einen Spaltbreit geöffnet zu haben. Amerikas Problem Nummer eins soll in diesem Jahr mit zusätzlichen Haushaltsmitteln von 2,2 Milliarden Dollar bekämpft werden, das entspricht den Kosten für drei der neuen B-2-Bomber. Ende September versammelte der Präsident schließlich alle 50 Gouverneure in dem vom Geiste Jeffersons umwehten Universitätsstädtchen Charlottesville, um sich - wie in seiner Wahlkampagne versprochen - als education president zu profilieren. Nachdem er den in den USA für das Erziehungswesen zuständigen Gouverneuren erklärt hatte, daß Amerikas Bildungsmisere nicht etwa auf den Mangel an Geldern, sondern an Erziehungsidealen zurückzuführen sei, zogen diese - stolz ob der unerwarteten Audienz, aber etwas verwirrt über ihren Sinn und Zweck - wieder in ihre Heimatstaaten ab. Es muß schon ein seltsames Gefühl gewesen sein, von einem Präsidenten mit der politischen Vision eines Maulwurfs eine Lektion über die hehren Ziele eines nationalen Curriculums zu erhalten. Soviel zur Reaktion der Bush-Administration auf die dringendsten Probleme des Landes.

Drogen und Erziehung sind dabei beileibe keine Einzelfälle. Überall dort, wo Reformen mit Kosten verbunden wären, wird unter Bush Nichthandeln zur Maxime. Von konkreten Vorschlägen zum Abräumen der gigantischen Atommüllhalden oder zu einer Reform des Gesundheitswesen, die auch die 37 Millionen nicht krankenversicherter US-Bürger einschließen würde, ist die Bush-Administration so weit entfernt wie von einem Verständnis der Ereignisse in Osteuropa. Da hält man innen wie außenpolitisch lieber still. Das Weiße Haus kann sich diese brain-dead politics, wie selbst die bedächtige 'Washington Post‘ spottete, nur leisten, weil der Gehirnschwund gegenwärtig die gesamte geistige Elite Amerikas befallen zu haben scheint. So fällt den führenden Chargen und Schergen vergangener Administrationen in den think-tanks derzeit nichts Besseres ein, als die komplexen Entwicklungen im ehemaligen Reich des Bösen mitsamt seinen Anrainerstaaten selbstgerecht als den totalen Sieg des Kapitalismus zu feiern. Jimmy Carters Exsicherheitsberater Breszinski tituliert sein jüngstes Machwerk schlicht Das Ende des Kommunismus, während der stellvertretende Direktor des Planungsstabs im Außenministerium, Francis Fukuyama, in seiner essayistischen Abrechnung mit der Konvergenztheorie gar das Ende der Geschichte? vermutet, das sich für ihn als „Universalisierung der liberalen Demokratien des Westens als endgültige Form menschlicher Regierung“ darbietet.

Daß auch mit dem eigenen Empire etwas nicht stimmen könnte, wenn die USA für das vom Joch des Kommunismus befreite Polen nur lahme 400 Millionen Dollar aufzubringen vermögen, dieser Gedanke kommt den meinungsbildenden Ex-Politicos und Pseudophilosophen gar nicht erst in den Sinn. Das Ende des Kommunismus scheint hier in den Denkfabriken Washingtons mit dem Ende des US-amerikanischen Intellekts einherzugehen. Noch düsterer sieht es im Lager der Demokraten aus. In der Partei, die aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Kongreß die Bush-Administration eigentlich offen herausfordern müßte, hat man schon seit einiger Zeit, genaugenommen seit einem Vierteljahrhundert, keine zündende politische Idee mehr gehabt. Statt dessen stimmten vor zwei Wochen 60 Vertreter dieses parlamentarischen Haufens, der längst von der Partei des „kleinen Mannes“ zum hilflosen Vehikel geldkräftiger Sponsoren verkommen ist, für die von den Republikanern eingebrachte Senkung der Kapitalertragssteuer, eine Art aufgekochter Nachschlag zu den Reagonomics der 80er Jahre. Von Steuererhöhungen und -umverteilungen wollen wir gar nicht erst reden - zur Finanzierung einer forcierten Umweltpolitik, zur Sanierung des bankrotten Sparkassensystems oder zum Ausgleich des weiterhin obszönen Haushaltsdefizits scheinen sie nach acht Jahren Reaganscher Laissez-faire-Rhetorik und praktizierter vodoo economics nun auch für die Demokraten tabu zu sein. Lieber folgt man da der republikanischen Themendefinition und streitet sich über die angesichts der geopolitischen Lage schicksalsträchtigen Frage, ob das Abzündeln der amerikanischen Flagge nun per ordinärem Gesetz oder - wie von Bush gefordert - per Verfassungsänderung untersagt werden soll.

Wie lange diese Politik der Problemverleugnung und -verdrängung gutgehen kann, ist noch unklar. Noch scheinen die Wähler genau dies zu wollen. Für eine Vorstellung, die Jimmy Carter Tomaten und Ronald Reagan Buhrufe eingebracht hätte, erhält George Bush auch noch gute Kritiken. Seine Unterstützung in der Bevölkerung, so formulieren das die professionellen Meinungsbefrager, ist „gut, aber nicht sehr tief“. Was soviel heißt wie: „Wir sind zwar nicht von seiner Kompetenz überzeugt, aber laß ihn nur mal machen.“ Waren die 50er Jahre, wie es die Autorin Barbara Ehrenreich in ihrem jüngsten Buch über die weiße Mittelklasse Amerikas schreibt, die Dekade der „Problemlosigkeit“, dann sind wir nach den folgenden Jahrzehnten des Aufruhrs, der Illusionen und der Apokalypse nun offenbar in einem Zustand angelangt, wo sich diese Amerika definierende weiße Mittelklasse nicht ganz sicher ist, ob sie nun Probleme hat oder nicht. Und in der Tat ist es für viele US-Bürger nur schwer verständlich, warum sich ein Vierteljahrhundert nach den Bürgerrechtsgesetzen die Situation der Schwarzen wieder bedrohlich verschlechtert hat, warum die Wirtschaft nach sieben Jahren des Boomens immer noch krankt und wie vier Jahre nach dem definitiven Gesetz zur Kürzung des Haushaltsdefizits selbiges nach Abziehen aller kreativen Buchhaltertricks munter weiterwächst. All dies zu erklären würde bedeuten, zugeben zu müssen, in dieser Dekade der populistischen Propaganda eines Scharlatans aufgesessen zu sein. George Bush ist jedenfalls der allerletzte, von dem eine solche Einsicht und ihre Verbreitung zu erwarten ist. Schließlich war dieser Scharlatan acht Jahre lang sein hochverehrter Boß.

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