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In der DDR beginnt's Gezerre um den Dialog

■ SED versucht, die Opposition aus dem vorgeschlagenen Dialog auszugrenzen / LDPD-Vorsitzender Gerlach stellt das Machtmonopol der SED in Frage

Berlin (dpa/ap/taz) - Den schnellen Durchbruch zum Reformdialog wird es in der DDR nicht geben. Zwei Tage nach der spektakulären Politbüroerklärung, in der die SED erstmals die Notwendigkeit einer Kurskorrektur angedeutet hatte, waren gestern die Signale aus Ost-Berlin widersprüchlich. Insbesondere ein bekanntgewordenes SED -Papier zum Umgang mit dem Neuen Forum läßt alles andere als ein Umdenken erkennen. Kurt Hager meldete sich zudem mit restriktiven Bedingungen für eine Dialogbereitschaft der Partei zu Wort. Im Gegensatz dazu steht eine Erklärung des Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei (LDPD), Manfred Gerlach, der das Machtmonopol der SED in Frage stellte. Auffallend war auch die ungewohnt offene Berichterstattung der DDR-Medien über gesellschaftliche Probleme sowie die Veröffentlichung kritischer Resolutionen. Der Honecker-Vertraute Rechtsanwalt Wolfgang Vogel plädierte für die Freilassung der bei den jüngsten Demonstrationen Festgenommenen.

In der gegen das Neue Forum gerichteten internen SED -Argumentationshilfe wird von der Gefahr gesprochen, „daß aus einer Sammlung von kritischen Bürgern, Andersdenkenden, Enttäuschten und offenen sowie verdeckten Gegnern der sozialistischen Ordnung in der DDR heraus eine Bewegung gegen den Sozialismus in der DDR mit Massencharakter formiert werden kann“. Eine Auseinandersetzung mit einer solchen Oppositionsbewegung zu suchen wäre der Weiterentwicklung des Sozialismus abträglich, heißt es in dem Papier. Das Programm des Neuen Forums laufe auf eine solche Oppositionsbewegung hinaus. Es wolle eine Reformbewegung außerhalb der SED und anderer Parteien und auch außerhalb des „gesamten politischen Systems in der DDR“. Die Arbeit der Bewegung, die den von ihr geforderten Dialog nicht ausdrücklich auf sozialistische Grundlagen stellen wolle, laufe auf eine „Zersplitterung der Führungstätigkeit der sozialistischen Gesellschaft“ hinaus. SED-Chefideologe Kurt Hager äußerte sich in einem ZDF -Interview zwar gesprächsbereit. Seine Behauptung, die SED habe den Dialog eigentlich erst erfunden, deutet jedoch ebensowenig neues Denken an wie seine Dialogbedingung: die Anerkennung der bestehenden Gesellschaftsordnung der DDR. Die allerdings stellte der LDPD-Vorsitzende Gerlach in Frage. In der Freitagsausgabe des Parteiblattes 'Der Morgen‘ bestritt er das in der Verfassung festgeschriebene Führungsmonopol der SED: Keine Partei habe kraft ihrer Existenz die politische Wahrheit für sich gepachtet.

Mit neuen Tönen wagte sich auch der Ostberliner Rechtsanwalt Vogel an die Öffentlichkeit. Er sprach sich für die Freilassung aller DDR-Bürger aus, die wegen Fluchtversuchs sowie im Zusammenhang mit gewaltlosen Demonstrationen verhaftet sind: „Die Freilassung der Betroffenen duldet keinen Aufschub.“ In Anspielung auf die Ausreise von Botschaftsflüchtlingen durch DDR-Gebiet meinte Vogel, es sei unvertretbar, einerseits vom Staat Fortsetzung auf Seite 2

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Sonderwege in die Bundesrepublik zuzulassen und „andererseits für analoges Verhalten Haftbefehle zu verkünden“. Auch die Strafverfahren gegen Demonstranten, die keine Gewalttätigkeiten begangen haben, seien „juristisch bedenklich“.

Auch die DDR-Medien veröffentlichten gestern - wie auf Kommando - kritische Stellungnahmen. In Leserbriefen zur Erklärung des Politbüros wird die Erwartung geäußert, daß den Worten Taten folgen müssen. Die fehlenden Antworten auf die gesellschaftlichen Probleme hätten ein Gefühl der Unsicherheit hinterlassen, wird ein Arbeiter zitiert. Ein Kommentator der Zeitung meint, daß es bei der „notwendigen Diskussion“ nicht bleiben soll. „Ebenso notwendig wie das Wort ist die Tat.“ Die zentralen

DDR-Zeitungen drucken ferner eine Erklärung des Präsidiums der Akademie der Künste, in der ein „neues Verständnis für den Gebrauch der Medien“ gefordert wird. Außerdem wird in der Gewerkschaftszeitung 'Tribüne‘ eine Antwort „auf Fragen von Gewerkschaftern, Vertrauensleuten und anderen Funktionären der Organisation“ des Gewerkschaftsvorsitzenden und Politbüromitgliedes Harry Tisch abgedruckt: „Es wäre weltfremd, die Augen vor den zahlreichen Problemen zu verschließen, die wir zu bewältigen haben“.

Mit deutlicheren Forderungen reagierte die Opposition auf die Krise des Landes. Fischer sagte in einem ARD-Interview, die jüngste Erklärung des Politbüros strotze vor „Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten“. Die SED sei nur so weit reformwillig, wie ihre Macht gesichert bleibe. Die Partei wolle ihren „politischen Bankrott kaschieren“.

Fischer forderte von der SED, den Weg freizugeben für eine demokratisch gewählte Regierung. Er verlangte außerdem „schonungslose Bestrafung der an Gewalttaten beteiligten Sicherheitskräfte“.

Positiver äußerten sich sowohl die evangelische Kirche der DDR als auch westliche Politiker zu den Signalen aus Ost -Berlin. Konsistorialpräsident Stolpe sieht zwar „nicht alle Blütenträume gereift“, doch sprach er in einem Interview von deutlichen Anzeichen für konkrete Schritte. Der ersten Gesprächsrunde zwischen dem Ostberliner Bischof Forck und dem Hauptstadtbürgermeister Krack waren diese Anzeichen allerdings nicht zu entnehmen. Einziges konkretes Ergebnis blieb die Entschlossenheit zur Fortsetzung des Dialogs.

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