: Grüne Perspektive mit altem Streit
Bei der Vorbereitung des Perspektivkongresses der Grünen lebt der alte Flügelstreit wieder auf / Bundeshauptausschuß soll das Knäuel entwirren / Realos und Fundis streiten um Einfluß ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Die Grünen tun sich schwer mit ihrem Perspektivkongreß: Erst sollte er wegen mangelhafter Vorbereitung auf Anfang kommenden Jahres verschoben werden, dann wurde er nach heftigen Protesten gegen den „Putsch“ der Parteispitze für Mitte November angesetzt und nun droht sich alles wieder im uralten Strömungsstreit festzufressen. An diesem Wochenende wird sich deshalb der Bundeshauptausschuß der Partei als Schlichter betätigen müssen, um die zerstrittene Vorbereitungsgruppe wieder flott zu machen.
Das Konzept für den Kongreß, der vom 17. bis 19. November in Saarbrücken geplant ist, sieht neben sechs Arbeitsgruppen - ökologischer Umbau des Kapitalismus, Umbruch im Osten, Gentechnologie, Frauen, Zukunft der Arbeit und Demokratisierung unserer Gesellschaft - ein Abschlußplenum vor. Im Mittelpunkt und mit programmatischer Aussage - so hatte es der Bundeshauptausschuß als höchstes Gremium zwischen den Parteitagen beschlossen - sollten die Erfahrungen aus rot-grünen Bündnissen in Berlin, Hannover, Frankfurt und Nürnberg stehen. Ende September aber kam es zum Krach in der fünfzehnköpfigen Vorbereitungsgruppe. Statt der vier Stadtbündnisse will die Mehrheit nur noch Frankfurt und Berlin präsentieren; anstelle des Berliner Koalitionsvaters Christian Ströbele soll der kritische Koalitionsbeobachter Harald Wolf auftreten. Zudem soll die ehemalige Vorstandssprecherin und Bündnis-Gegnerin Jutta Ditfurth noch hinter den derzeitigen Parteisprechern das letzte Wort erhalten. In die Arbeitsgruppe „ökologischer Kapitalismus“, die inhaltlich vor allem durch die Thesen Joschka Fischers bestimmt werden sollte, wurde sein schärfster Kritiker, der Ökosozialist Thomas Ebermann, hineingestimmt. Eine weitere Leitfigur der radikalen Linken in der Partei, Rainer Trampert, soll nach dem Willen der Mehrheit der Vorbereitungsgruppe im Demokratieforum referieren.
Die realpolitischen Vertreter reagierten empört. Damit werde der Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt, man wolle „nur das längst erledigt geglaubte ideologische Flügelschlagen wieder aufleben lassen“, heißt es in einem Protestbrief an den Bundeshauptausschuß. Jutta Ditfurth werde eine „unbegründete Möglichkeit der Selbstdarstellung“ gegeben, was weder „der Partei noch der Öffentlichkeit zuzumuten ist“. Die Frankfurterin Gisela Wülffing, sowohl Mitglied in der Vorbereitungsgruppe als auch des Parteivorstands, spricht davon, damit werde Jutta Ditfurth die Möglichkeit gegeben, ein „Scherbengericht“ über ihre Nachfolger zu halten. Die Realpolitikerin Wülffing mußte selber eine Niederlage einstecken: im Arbeitskreis Frauenpolitik darf sie weder referieren noch moderieren.
Kritik kommt nicht nur von den Realos, sondern auch vom linken Forum, dem Zusammenschluß der undogmatischen Linken in den Grünen. Unter dem Titel „über Statistik und Statisten“ wird aufgelistet, daß Realos und Ökosozialisten den Löwenanteil der ReferentInnen stellen, während dem Linken Forum nur ein Referent zugebilligt wurde: eine „offenbar beabsichtigte Statistenrolle“, wie es im Papier heißt. Kritik wird daran geübt, daß der Realo Udo Knapp sich als Mitglied der Vorbereitungsgruppe gleich zweimal „plaziert“ habe. Auch zu kurz gekommene Realos wie der Hesse Hubert Kleinert, gegen den Knapp bei der Nominierung für den nächsten Bundestag parteiintern antritt, war empört. Eindeutig Position aber nimmt das Linke Forum gegen den Realo-Versuch, die Ökosozialisten Ebermann, Trampert und die Radikalökologin Ditfurth auszuladen. Das könne „nur als weiterer Ausgrenzungsversuch gegen die Parteilinke verstanden werden“. „Die Auseinandersetzung mit denjenigen, die dabei sind, die Grünen zugunsten eines neuen Projektes „radikale Linke“ aufzugeben, gehört ebenso auf diesen Perspektivenkongreß wie die Auseinandersetzung mit denjenigen, die die grüne Verbeugung vor der SPD organisieren wollen“, heißt es in dem Papier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen