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Perfektion beim Puppenschleppen

■ Deutsche Meisterschaften im Rettungsschwimmen: Kampf gegen das Freiluftsheriff-Image

Ludwigshafen (taz) - Fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit fanden am vergangenen Wochenende die 17. Deutschen Meisterschaften der RettungsschwimmerInnen in Ludwigshafen statt, parallel zum ebenfalls von der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) organisierten 20. Bundesjugendtreffen. Die Themen der Workshops und Exkursionen reichten von „Herausforderung Gentechnologie“ über „Rechtsradikalismus bei Jugendlichen“ bis hin zu einer Ausstellung „Jugend und Perestroika“.

Leider hatten die Veranstalter nicht bedacht, daß für einen großen Teil der Schwimmer und Schwimmerinnen gar keine Möglichkeit bestand, die interessanten Angebote zu nutzen, waren sie doch meist im Wasser zu Gange. Die Trennung in schwimmende Sportler und politisierte Bildungshungrige war zwangsläufig, was viele Jugendlichen bedauerten. Und das nicht nur, weil im alten und zu kleinen Hallenbad Nord die Platzangst grassierte - nein, so manchen Rettern und Retterinnen läge einiges daran, ihr Image als knackig -saubere Freiluftsheriffs in Freibädern und an den Baggerseen der Republik zu korrigieren.

Einfluß haben sie wenig. Der Bundesjugendsekretär Michael Knessel etwa war den ganzen Samstag über nicht bei den Wettkämpfen zu sehen. Dafür war das Arsenal an Funktionären um so reichhaltiger. Mit Schreibblock, Stoppuhr und Startkarten kontrollierten sie die Bahnen: Kampfrichter, Kampfrichterobmann, Starter, Startordner, Zeitnehmer, Zeitrichter, Rennrichter, Zielrichter, Schwimmrichter und Schiedsrichter als „Götter in weiß“, die laut Reglement „uneingeschränkte Autorität“ genießen. Und die Liste wäre noch länger.

Sie alle wachten über ein kompliziertes Regelwerk, über das selbst Insider ausgiebigst zu streiten wußten, und schickten die jungen Retter nonstop ins Naß. Dafür mußten diese auch noch ordentlich berappen: 185 Mark pro Nase für die Unterkunft in miefigen Schulturnhallen und Essen aus dem Sanitätstopf. Im Wasser herrschte meist Hektik - mal mit, mal ohne Flossen zogen die jungen DLRGler mit oder ohne Puppe ihre Bahnen.

Das Puppenschleppen gehörte dann auch mit zum Spektakulärsten. Bei der 50-Meter-Distanz ging es darum, die Puppe im Kopf- oder Achselgriff (alles andere verboten) zu packen und über das Wasser zu schleppen, den Kopf der Puppe natürlich obenauf. Nicht erlaubte Griffe in Tabuzonen erbrachten erbarmungslos Punktabzug. Christiane Klein (15) aus Hermeskeil bei Trier ist als Juniorin eines der größten Talente in ihrer Altersklasse. Sie rettete die mit Wasser gefüllte und etliche Kilogramm schwere Puppe über 50 Meter in 54 Sekunden (neuer Rekord). „Schneller als alle Jungen“, so ihr Trainer Olaf John.

Bei den höheren Semestern wird die Puppe auch durch Lebendiges ersetzt. Entsprechend steigt der Streß, vor allem bei den Männern. Sie produzierten Fehlstarts en masse, wurden vom Lärmpegel in der feuchtwarmen Halle in der Konzentration gestört. Die Puppen durften zwischendurch immer mal wieder verschnaufen. So bei den Rettungsleinenstaffeln, bei denen alle vier Teilnehmer gleichzeitg gefordert waren. Gestartet wurde mit umgelegtem Gurt, 25 Meter Freistil hin, 25 Rücken zurück, erst Leinen los, dann retour. Die Staffeln sind das Feinste, der Höhepunkt der Wettbewerbe. Hier schallten die Anfeuerungsrufe durch das Bad, als spielten die deutschen Wasserballer um Gold.

Medaillen gab es auch in Ludwigshafen - für die Sieger und Siegerinnen. Und die werden im Sommer wieder auf den Wachttürmen stehen und Ausschau halten nach potentiellen Wasserleichen und allzu Risikofreudigen, die dann im Ernstfall Puppe spielen müssen. Nutzsport nennen die DLRGler ihre Leibesübungen zu Wasser. Wer die rettende Jugend am Samstag sah, kann beruhigt baden gehen, denn der Perfektionismus beim Retten war auch von zahlreichen umstrittenen Schiedsrichterentscheidungen mit Punktabzügen nicht zu beeinträchtigen. Das Bekenntnis einer Schwimmerin („Ich bin nicht nur zum schwimmen in der DLRG“) indes zeigt, daß die Zeiten zu Ende gehen, da die Jugendlichen nur zum fremden Nutzen zur DLRG gingen und um der „Kameradschaft“ willen, um ein auch in Ludwigshafen strapaziertes, antiquiertes Sport-Wort zu frönen. So ist vielleicht auch bei den Flossenschwimmerinnen und Puppenschleppern Perestroika bald kein Fremdwort mehr.

Günter Rohrbacher-List

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