: FREILASSUNG ALLER HAFTUNFÄHIGEN GEFANGENEN
■ Günter Sonnenberg muß raus!
Angehörige der politischen Gefangenen in der BRD:
In einem Brief vom 10.10.89 hatte Günter geschrieben, daß er seit dem 8.10.89 ein entzündetes Bein hat und er zuerst an ein Erysipel (Wundrose) dachte, weil er im Juni '89 schon einmal ein Erysipel hatte. Jetzt hat sich herausgestellt, daß es wahrscheinlich keine ist, sondern eine Venenentzündung. Günter schreibt selbst dazu: „Mein dickes Bein ist sehr wahrscheinlich kein Erysipel, sondern eine Venenentzündung. Dazu kam ich - erstmal - aus Eigendiagnose. Das Bein tut weh, ist dick, nicht rot, aber sehr berührungsempfindlich. Als ich das der Ärztin (Dr.Spindler) sagte, stimmte sie zu. Wovon ich diese Venenentzündung bekam, weiß ich nicht. Seit Sonntagmorgen tut mir dieser Fuß weh. Die Behandlung ist bisher ein dagegen wirkendes Medikament (Venostasin Retard) - zweimal täglich schlucken und das Bein hochlegen. 12.10.89.“
Offensichtlich wird wieder einmal eine Erkrankung von Günter nicht sachgemäß medizinisch behandelt, weil die Behandlung aus medizinischer Sicht widersprüchlich ist.
Es gibt zwei Arten von Venenentzündung. Die oberflächliche Venenentzündung: Therapie: medikamentöse Behandlung (Tabletten), Bein einreiben, Bewegung ist notwendig. Die tiefe Venenentzündung: Therapie hierfür: absolute Bettruhe, intravenös verabreichte hochdosierte Medikamente (Heparin). Bei nicht sachgemäßer Behandlung besteht Lebensgefahr.
Nach der Beschreibung von Günter handelt es sich um eine tiefe Venenentzündung, das Medikament Venostasin Retard wird für die oberflächliche verordnet.
Ganz eindeutig weiß die Ärztin nicht genau, was Günter tatsächlich hat und findet dennoch die erforderliche Untersuchung zur genauen Diagnose (Flebographie) nicht notwendig, wohl deshalb, weil Günter zu dieser Untersuchung in ein externes Krankenhaus gebracht werden müßte.
Es reicht! Günter muß jetzt raus! Die Angehörigen der politischen Gefangenen in der BRD.
Redebeitrag zu Ali Jansen auf der Kundgebung vom 13.10.89 in Stuttgart:
Ali Jansen, der in Frankfurt-Preungesheim inhaftiert ist, ist seit Jahren schwer asthmakrank. Als minimale lebensnotwendige Bedingung fordert er, mit einem Gefangenen seines Vertrauens auf eine Zelle gelegt zu werden. Seine Anträge wurden vom Oberlandesgericht Frankfurt mit dem schon zynischen Hinweis abgelehnt, er hätte als Gefangener nicht das Recht, einen Zellengenossen auch noch selbst auszusuchen. Ein Gefangener seines Vertrauens ist aber absolut notwendige Bedingung, um überhaupt ein wenig Schutz während des Asthmaanfalls für Ali organisieren zu können. Diese Forderung ist die Mindestvoraussetzung, um sein Leben im Knast zu gewährleisten. Wenn sich die Justizbehörden weiter weigern, diese Grundbedingung zu erfüllen, stellt sich als Konsequenz daraus auch für Ali die Notwendigkeit seiner Freilassung. Ich lese jetzt aus einem Brief von Ali an alle hier vor:
„Nachdem es bei mir seit meiner Verhaftung mehrfach zu lebensbedrohlichen Eskalationen meiner Asthmaerkrankung gekommen ist, beantragten meine Anwältin und mein Anwalt Anfang Juli beim OLG Frankfurt erneut, daß ich aufgrund dieser Erkrankung zumindest während der Nacht mit einem Gefangenen meines Vertrauens, und zwar mit Bernhard Rosenkötter, in eine Zelle gelegt werde, und zwar weil nur so die notwendigen sofortigen Ersten-Hilfe-Maßnahmen bei nächtlichen Asthmaanfällen zu gewährleisten sind.
In Anlehnung an die seit einigen Wochen erneut eingesetzte generelle Verschärfung der Haftbedingungen der politischen Gefangenen wurde dieser Antrag, nachdem er beinah drei Monate unbeantwortet geblieben war, Anfang Oktober durch den Vorsitzenden des 5.Strafsenats, Dr.Schieferstein, abgelehnt.
Ebenfalls Anfang Oktober wurden viele andere Anträge auf Verlegung abgelehnt, die von den Gefangenen aus RAF und Widerstand gestellt worden waren. Im Mai dieses Jahres haben wir unseren Hungerstreik abgebrochen. Bis auf wenige Veränderungen, die sich auf die Zusammenlegung der wenigen GenossInnen in Köln und die Entlassung von Angelika Goder und mittlerweile Christoph von Hören beschränkten, sind die Ziele des Streiks nicht erreicht worden. Bislang konnten wir weder die Zusammenlegung der dafür kämpfenden Gefangenen noch die Freilassung aller haftunfähigen Gefangenen, noch die unbehinderte Kommunikation zwischen uns Gefangenen und zwischen drinnen und draußen durchsetzen. Und die oftmals erfolgte Beschlagnahme selbst der offenen Briefe macht klar, daß die Diskussion zwischen uns ein immer noch zu erkämpfendes Ziel ist.
Heute geht es hier erneut um die Freilassung der haftunfähigen Gefangenen. Viele Menschen, die diese Forderung unterstützen, werden angesichts des momentanen Kräfteverhältnisses (in denen wir - wie gesagt - bislang sogar in bezug auf die Kommunikation zwischen drinnen und draußen und zwischen uns Gefangenen nur wenig durchsetzen konnten), sicher nach der Realisierbarkeit dieser Forderung fragen.
Von einem Staat, in dem die Ermordung politischer Gefangener nicht nur ein historisches Ereignis ist, in dem nicht nur gefoltert wird, sondern von dem die Erfahrungen der Isolationspraxis auch in andere Staaten exportiert werden, und in dem die Auslieferung geflüchteter und asylsuchender Menschen an andere Folterregime zur alltäglichen Praxis gehört, von diesem Staat die bedingungslose Freilassung der haftunfähigen Gefangenen zu verlangen und dieses auch noch durchsetzen zu wollen, das erscheint auf den ersten Blick sicher illusionär und vermessen. Und illusionär wird dieses Ziel sicher dann bleiben, wenn wir den Kampf für die Freilassung und Zusammenlegung mit dem Bewußtsein führen würden, daß dabei kurzfristige und isolierte Erfolge zu erreichen seien.
Isolierte Erfolge, also unabhängig vom generellen Fortschritt in der politischen Entwicklung, wird es auch im Kampf für die Freilassung und Zusammenlegung nicht geben können.
Ihr werdet daher nicht nur noch unzählige Male hier in Stuttgart demonstrieren müssen, sondern auch in vielen anderen politischen Initiativen den Kampf gegen dieses menschenzerstörende und einzig am Profit orientierte System vorantreiben müssen.
Und wir werden uns zusammen darüber Gedanken machen, wie wir als politische Gefangene intensiver als bislang die Diskussion mit all den Initiativen und Gruppen verankern können, die wir vom Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals und für befreite und menschenwürdige Lebensbedingungen weltweit nicht mehr ablassen wollen. Notwendig dafür ist, daß wir den Kampf für die Forderungen nach Freilassung und Zusammenlegung ebenfalls zusammen mit diesen Initiativen verstärken, weil sie für uns Voraussetzung für die gemeinsame Diskussion sind. Mit langem Atem und in vielen Schritten werden wir unser Ziel erreichen - ein Ziel, was aus viel mehr besteht als Freilassung und Zusammenlegung.“
Redebeitrag von Angehörigen und GenossInnen der politischen Gefangenen:
Wir haben uns bei der Vorbereitung dieser zweiten Kundgebung für Günters Freilassung dafür entschieden, wieder hierher zu kommen und nicht an einen Ort zu gehen, wo vielleicht mehr Leute hinkommen, und zwar deswegen, weil hier mit Eyrich einer der Hauptverantwortlichen dafür sitzt, daß Günter immer noch nicht draußen ist. Eyrich ist der eine, Rebmann ist der andere. Und von diesen beiden vor allen Dingen fordern wir Günters Freilassung.
Es hat sich wenig verändert. Ein paar kleine Verbesserungen hat es für Günter gegeben. Ich will was dazu sagen, weshalb Eyrich und Rebmann beziehungsweise die Behörden, für die die beiden stehen, derart gegen Günter vorgehen, derart darauf bestehen, daß er im Knast bleibt, mit einem solchen Haß auch gegen ihn vorgehen.
Das ist zum einen deshalb, weil Günter wie kein anderer dafür steht, daß einer, der kämpft, der nicht aufhört zu kämpfen, nicht gebrochen werden kann, weil er derjenige ist, der unter den allerhärtesten Bedingungen es geschafft hat, seine politische Identität zu wahren und zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Darüber ist ja auch schon einiges gesagt und geschrieben worden. Das ist das eine.
Das andere aber, und das halte ich für mindestens genauso wichtig, ist der Zusammenhang, in dem Günter eingefahren ist. Günter ist damals gesucht worden - 1977 - nachdem Buback, der damalige Generalbundesanwalt, erschossen worden ist. Er ist relativ kurz danach festgenommen worden, und um zu verstehen, was das bedeutet, muß man sich die Situation damals kurz vergegenwärtigen.
Im Frühjahr '77 war die Situation so, da war der Stammheimer Prozeß gegen Andreas, Gudrun, Jan und Ulrike. Fast zwei Jahre ist der schon gelaufen. Der Stammheimer Prozeß war konzipiert als die Abrechnung der Bundesrepublik mit der Politik der RAF vor einer europäischen Öffentlichkeit.
Der Plan war, in diesem Prozeß die Politik der RAF zu denunzieren und justiziabel zu machen. Das ist gescheitert an dem Kampf der Gefangenen, die zum einen die Haftbedingungen thematisiert haben. Es kam raus, daß die Haftbedingungen Folter sind. Es ist ganz breit in die Öffentlichkeit gekommen. Zum anderen ist es daran gescheitert, daß die Gefangenen auch thematisiert haben ihren Kampf gegen die US-Politik in Vietnam und die Beteiligung der BRD daran.
In dem Moment, als durch die zentralen Anträge dieses Prozesses das ganz klar auf den Punkt kommen sollte, ist Ulrike ermordet worden, und der Verantwortliche für diesen Mord war der Generalbundesanwalt Buback.
Buback war nicht bloß eine Charaktermaske, nicht bloß eine austauschbare Figur des Systems, sondern er war ganz klar einer der Hauptakteure, ein Täter. Und er war in der Position, in der er war, auch nicht so ohne weiteres zu ersetzen. Er war verantwortlich für den Mord an Ulrike, wie er vorher verantwortlich war für den Mord an Holger und den Mord an Siegfried Hausner.
Und es war dann so, daß gegen Ende des Prozesses die BRD ganz schön in Bedrängnis geraten ist. Und zwar durch den Prozeß, weil durch den Prozeß deutlich geworden ist, wie die BRD vorgeht gegen ihre innenpolitischen Gegner.
Es ist im Ausland eine starke Bewegung gegen die BRD entstanden. Was sich durchgesetzt hat, war das Bewußtsein der BRD als Nachfolgestaat der alten Faschisten, des alten Faschismus der Nazis.
Gerade in den Ländern, die unter der Naziherrschaft besonders gelitten haben, hat es einen breiten Widerstand gegeben. Es ist deutlich geworden, daß der Versuch der BRD, das „Modell Deutschland“ der sozialen Befriedung durchzusetzen, daß das an diesem Widerstand scheitern würde.
Und ein wesentlicher Faktor darin war auch der Kampf der Guerilla, die Angriffe, die sie gemacht hat. Und an den Reaktionen darauf ist deutlich geworden, was die BRD ist.
Anfang '77 sind Abhörskandale bekannt geworden. Zunächst gegen den Atomphysiker Traube. Kurz darauf ist auch bekannt geworden, daß in Stammheim die Gespräche der Verteidiger mit ihren Mandanten abgehört worden sind. Und das heißt, es ist ganz klar geworden, daß der Prozeß total rechtswidrig war. Eigentlich hätte er eingestellt werden müssen in dem Moment. Er ist natürlich nicht eingestellt worden. Aber die Situation war so, daß die BRD politisch sehr in der Defensive war. In der Situation haben wir einen Hungerstreik angefangen mit der Forderung nach Zusammenlegung und während dieses Streiks hat das Kommando „Ulrike Meinhof“ der RAF Buback erschossen.
Die Reaktion war zuerst eine heftige Repression, gerade auch im Knast: Kontaktsperre. Es war so, daß dann gegen Günter, Christian (Klar), und Knut (Folkerts) eine totale Hetzjagd entfesselt worden ist. Die Drei sollten die Verantwortlichen sein für Bubacks Hinrichtung. Knapp einen Monat später ist Günter in Singen dann verhaftet worden. Er ist bei dieser Verhaftung angeschossen worden, und er ist dann der Öffentlichkeit präsentiert worden als „der Buback-Mörder“. Die beiden anderen, das war dann nicht mehr so wichtig. Er stand jedenfalls für die Justiz als derjenige da, der verantwortlich ist für den Tod von Buback und damit für den Verlust einer der zentralen Figuren des Systems.
Es war auch so, daß dieser Verlust für die Herrschenden ein solcher Schlag war, daß sie erstmal nachgegeben haben und das hat es bis dahin nicht gegeben. Sie haben nach vier Wochen Hungerstreik den Gefangenen in Stammheim die Zusage gegeben, daß es eine Zusammenlegung geben wird. Und diese Zusage hat Rebmann gemacht. Der war damals Ministerialdirektor im baden-württembergischen Justizministerium. Es hat sich auch erstmal kein Nachfolger für Buback gefunden. Wegen der Bedeutung des Postens und weil es ein ziemlich riskanter Posten war. Und ich denke, es ist nicht überinterpretiert, wenn man sagt, daß auch die Hinrichtung von Buback ein Grund dafür war, daß die Behörden damals nachgegeben haben, daß sie die Zusammenlegung zugesagt haben. Sie haben sie dann verzögert. Aber darauf will ich jetzt nicht weiter eingehen.
Der Fakt, der bleibt, ist, daß Günter steht für einen ganz ganz wesentlichen Teil der Geschichte der BRD und zwar für eine der herbsten Niederlagen, die dieser Staat und seine damalige Regierung einstecken mußten. Und ich denke, damit ist auch zu erklären, weshalb ein solcher Haß jetzt ist bei den Behörden, bei Rebmann als Bubacks Nachfolger und bei den baden-württembergischen Justizbehörden - das ist ja alles hier in Baden-Württemberg passiert - daß sie ihn nicht rausgeben wollen.
Es ist also eine ganz andere politische Dimension bei Günter, für die er steht, als es bisher bei anderen Gefangenen war. Es sind ja in letzter Zeit zwei haftunfähige Gefangene freigekommen: Angelika Goder in Berlin und Christoph von Hören aus Fröndenberg.
Bei Günter wird es mit Sicherheit nicht so einfach sein wegen dem, was ich eben gesagt habe, weil er für eine ganz andere Dimension der Politik steht.
Es wird sicher auch nicht schnell gehen. Aber es ist wahnsinnig wichtig, daß die Angehörigen und hier die GenossInnen, die direkt was dafür machen, dabei nicht alleine bleiben; daß sich überall GenossInnen überlegen, was sie noch dazu machen können.
Wir hatten gehört, daß es einige gibt, die an der Umstrukturierung arbeiten und die meinen, das müßten sie zuerst machen und das wäre ein Widerspruch oder wäre schwierig, dann auch was zu Günter zu machen. Ich denke, das ist eine totale Fehleinschätzung.
Günter und die Genossen, die damals gekämpft haben, stehen auch dafür, daß der Versuch damals der BRD das „Modell Deutschland“ durchzusetzen, das das nicht geklappt hat. Jetzt läuft ein neuer Versuch der BRD, der Binnenmarkt '92. Die BRD ist drauf und dran, sich in Europa zur Hegemonialmacht aufzubauen und durchzusetzen. Wer dagegen kämpft, kämpft nur zur Hälfte und kann das nicht wirklich durchsetzen, was er will, wenn er nicht auf die Geschichte guckt, wie es bisher schon gelaufen ist, was damals war, wie andere dagegen gekämpft haben und was andere dagegen getan haben.
Und es kann auch nicht gehen, wirksam jetzt gegen diesen Binnenmarkt '92 zu kämpfen, wenn man diejenigen vergißt, und nicht auch dafür kämpft, daß diejenigen, die früher genau gegen die gleiche Entwicklung gekämpft haben, daß die rauskommen.
Wir wollen Günter draußen haben, nicht bloß, weil er haftunfähig ist, sondern weil er gekämpft hat und weil wir das, was er damals gemacht hat, seine Erfahrungen und sein Wissen, heute gebrauchen, um heute wirksam kämpfen zu können.
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