: Thatchers Vertrauenskrise
Nach dem Rücktritt des britischen Schatzkanzlers ist die Regierungskrise nicht mehr aufzuhalten ■ K O M M E N T A R E
Die britische Regierungskrise nach Finanzminister Nigel Lawsons Rücktritt ist vor allem eine Krise Margaret Thatchers. Die Premierministerin hatte die Wahl zwischen ihrem Berater und ihrem Minister. Lawson hatte ihr unmißverständlich klargemacht, daß er gehen würde, falls Sir Alan Walters bliebe. Sie entschied sich gegen Lawson und verlor beide.
Lawson war kein Rebell. Er gehörte nicht dem „feuchten Flügel“ an - den Tories, die von einem Funken Liberalismus infiziert sind. Seine Politik hat Großbritannien zwar die höchste Inflationsrate der Europäischen Gemeinschaft und ein Rekordhandelsdefizit beschert, doch Thatcher sprach ihrem Finanzminister noch vor zwei Wochen auf dem Parteitag der Konservativen ihr vollstes Vertrauen aus. Wenn sie jetzt dem „Antieuropäer“ Walters den Vorzug gibt, so zeigt das, wo ihre Prioritäten liegen. Offenbar hat sie die Regierungskrise bewußt in Kauf genommen, um sich des letzten Kabinettsmitglieds zu entledigen, das eindeutig für die europäische Integration eintrat.
Eingeleitet hatte sie Lawsons Entmachtung bereits im Frühjahr mit Walters‘ Ernennung zum Berater - gegen Lawsons ausdrücklichen Wunsch. Schon damals waren die Differenzen zwischen dem Minister und dem Berater allgemein bekannt. Das hat zu Unsicherheit und Vorsicht auf den Finanzmärkten geführt, weil nicht abzusehen war, wer von beiden seine Politik durchsetzen würde. Lawsons Rücktritt hat diese Tendenz verstärkt. Die Börse hat den Glauben an eine konsistente Politik verloren, was sich in sinkenden Aktienkursen und dem freien Fall des Pfundes ausdrückt. Die dadurch möglicherweise notwendigen unpopulären Maßnahmen zur Stützung des Pfundes - eine Erhöhung der Zinsrate etwa wird Thatcher weitere WählerInnenstimmen kosten.
Kenneth Baker, der Parteivorsitzende, hat unrecht, wenn er die Krise als „Sturm im Wasserglas“ bezeichnet. Thatchers Verhalten hat nicht nur die Chancen der Labour-Party erhöht, nach den nächsten Wahlen die Regierung zu stellen, sondern auch die Kritik der Parteibasis an ihrem Führungsstil verstärkt. Die Zahl der Hinterbänkler, die sie lieber heute als morgen loswerden wollen, wächst stetig. Ein gerüttelt Maß Schuld an der Krise der Tories trägt das Kabinett. Thatcher ist mit ihrem autoritären Führungsstil bisher durchgekommen. Zwar hat sie sich dadurch immer mehr isoliert, doch selten hat ein Minister laut gegen ihre Entscheidungen protestiert. Unliebsame Kollegen hat sie öffentlich brüskiert oder gleich aus dem Amt entfernt.
In den zehn Jahren ihrer Amtszeit hat Thatcher nahezu hundert Minister verbraucht. Die neue Regierungsmannschaft besteht hauptsächlich aus Ministern von Thatchers Gnaden. Es ist ein Kabinett der Duckmäuser. So ist zu befürchten, daß Thatcher auch die neueste Krise überstehen und zumindest bis zu den nächsten Parlamentswahlen wie eine Klette an der Macht kleben wird. Die Ära Thatcher geht quälend langsam zu Ende.
Ralf Sotscheck
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