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ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Vollveredelte Naturfaser

Tracy, wie wir sie alle kennen“, steht in dem freien Feld gleich unter Titel, Interpret, LP-Nr.: ein sogenannter Plattenpaß, der unentschlossenen Käufern den letzten Kick geben soll. Doch Tracy Chapman kennen wirklich bereits alle, nicht nur im Plattendiscount, wo ihre neue LP gleich stapelweise ausliegt. Man ist praktisch per Du mit ihr, schon aus Gewohnheit. Crossroads, die Single, begleitet dich auf Schritt und Tritt, beim Autofahren, in der Kneipe, selbst beim Einkaufen. Meine ersten Anläufe zum nicht mehr zu vermeidenden Kauf eines CD-Players werden für immer mit diesem Stück verbunden bleiben. Es hat schon etwas Surreales, in irgendeinem dieser HiFi-Kellerstudios in tiefen Ledersesseln zu sitzen, während der Verkäufer aufdreht. Der Raum füllt sich mit einer schluchzenden Stimme. Sie erzählt von der Unverkäuflichkeit der Seele: „All you folks think I got my price / At which I'll sell all that is mine / You think money rules when all else fails / Go sell your soul and keep your shell / I'm trying to protect what I keep inside / All the reasons why I live my life.“

Für diese seltsame unterirdische Begegnung kann Tracy Chapman natürlich nichts. CD ist aber in jedem Fall die angemessene Form, in ihren Protestgesängen zu schwelgen. Erstaunt kann man dann auch hören, was sonst nur die Liner Notes verraten: daß nämlich auf einem Song wie Crossroads, der zunächst klingt, als hätte eine überquellende Innerlichkeit ihn direkt in die Gitarrensaiten und von dort aufs Band diktiert, ganze acht (selbstredend hochkarätige) Musiker das eine oder andere Zirpen hinterlassen haben. It sounds like a whisper. Der Titel ist ein regelrechtes Lehrstück dafür, wie sich an der Spitze der Hitlisten Simplizität aus kleinen Harmonium -Schwellungen, Percussion-Akzenten und Geigenpizzicatos zusammensetzt (brennend würde mich interessieren, ob Neil Young die drei Pianotupfer auf All that you have is your soul, für die er ins Studio gekarrt wurde, selbst eingefallen sind). Produzent David Kershenbaum, der mit seiner Neigung zum Geschniegelten schon etliche Bands auf dem Gewissen hat, muß hier unter Verleugnung seiner Natur allen Willen zum Arrangement in winzige und winzigste Sound -Ideen investiert haben. Jeder simple Gitarrenakkord atmet die Schmuseaura einer vollveredelten Naturfaser und stellt sich gleichzeitg selbst als etwas in Top-Act-Kreisen rar Gewordenes aus. „All that you have is your soul“, singt Tracy, und die ist heute teuer, eine Preziosität, die man deshalb natürlich umso hemmungsloser lieben Menschen ans Herz, unter den Baum oder wo auch immer hin legen möchte.

Denn - mal ehrlich! - wer mag Tracy Chapman schon unter Nicht-TracyGesichtspunkten betrachten, wie wir sie gar nicht kennen, so technisch, so ... kalt!!! Sie singt gegen eine krude Material World an, sie appelliert an Mr. President im Namen verödeter Vorstädte, sie erzählt von abgebrochenen Brücken und Kreuzungen, die schwere Entscheidungen abverlangen, von später Einsicht und frühem Leid, Hundert Jahren Einsamkeit und lupenreinem Liebesglück, Apfelbäumchenpflanzen und Kinderkri... - Stop! Das Letzte hab‘ ich dazuerfunden -, garantiert aber von Beat the system und Little love for myself, von Born to fight und irgendwie (so 'atmosphärisch‘) auch von erdballumspannender Perestroika ... und ... ja ... und wenn auch Nelson Mandela gewidmete Zeilen wie „Let us all be free free free free free“ ein wenig an einen alten 'Titanic' -Titel erinnern („Hungerproblem gelöst. Einfach mehr spachteln!“), ist die Chance doch einmalig, fast sämtliche Aufbruchsstimmungen, die die Welt im Angebot hat, digitalauthentisch und aufwaschgünstig in sich reinzuhören.

Widerstand einmal nicht als kleines, schabendes Geräusch, nicht als Krüppel-Show oder Maskenball, sondern als Seelen -Stereo, in dem sich die kleine innere Regung nochmal organisch mit dem Wind der Geschichte verbindet: das macht noch den breitesten Arsch zum edlen Kämpfer für Freedom und Democracy. Tracy holt die Sounds endlich wieder von den Nebenkriegsschauplätzen. Man sitzt in der Kneipe und fühlt sich mit allen Menschen guten Willens locker assoziiert im Airplay.

Thomas Groß

Tracy Chapman: Crossroads (Elektra)

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