Den anderen immer ein bißchen voraus

■ Am Samstag starb Rudolf von Bennigsen-Foerder, der Chef des Veba-Konzerns, an einer Lungenentzündung / Atomlobby bleibt im Streit zurück

Unfug hat er gelegentlich auch geredet. Genau ein Jahr nach der Tschernobyl-Katastrophe forderte Rudolf von Bennigsen -Foerder vor dem Arbeitgeberverband in Bremen, daß in der Dritten Welt nur der Bau von AKWs gegen die Klimaveränderung helfe, die durch die Holzverbrennung droht. Wie sich der Chef des größten bundesdeutschen Energiekonzerns die Finanzierung der Anlagen vorstellt - darüber verlor er kein Wort. Bennigsen erklärte, eine Bedingung für den forcierten Bau von AKWs müsse die Nichtverbreitung der Atomwaffentechnologie einschließen - wie eine solche Kontrolle funktionieren soll, ließ er ebenfalls im dunkeln. Und wo er schon sah, daß der „Kampf um den Zugang zur Energie“ zur Kriegsgefahr werden könne, blieb die ungeheure Bedrohung durch AKWs, die in militärischen Konfliktzonen liegen, schlichtweg unberücksichtigt.

Bei jenem Referat über Energie und Wirtschaftswachstum in Bremen war er vielleicht etwas über das Ziel hinausgeschossen. Aber was er den Unternehmern sonst erzählte, war starker Tobak: „Wir haben früher gesagt, wir brauchen die Kernenergie, um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Heute wissen wir, das das nicht stimmt.“ Programmatische Äußerungen aus der CDU, daß eine Stagnation „auf keinen Fall“ eintreten dürfe, wies er zurück: „Es ist schon eine unerhörte Leistung, wenn es uns gelingt, den Energieverbrauch im Nullwachstum zu halten.“ Und nicht einmal den weiteren Ausbau der Atomkraft in der BRD hielt er für nötig: Ihr komme die Funktion zu, hier das erreichte Niveau zu halten.

Rudolf von Bennigsen-Foerder, der am Samstag gestorben ist, war oft ein bißchen klüger, oft ein bißchen nachdenklicher, oft ein bißchen schneller und fast immer ein bißchen erfolgreicher als die konkurrierenden Kollegen aus den obersten Etagen der bundesdeutschen Industrie. Kurz nach der großen Brokdorf-Demonstration vom Februar 1981 warnte er die im „Deutschen Atomforum“ versammelten Nuklearlobby, daß die Glaubwürdigkeit der Energiepolitik und -wirtschaft durch Totschlag-Argumente untergraben werde - wie etwa das von Filbinger, ohne Atomstrom gingen die Lichter aus. Und so hat ihn die Anti-AKW-Bewegung immer als einen ihrer wichtigsten Gegner betrachtet: Nicht nur, weil die Veba der größte Atomstrom-Erzeuger der BRD ist, sondern auch, weil deren Chef nicht zu den Beton-Köpfen gehörte, sondern ernst zu nehmen war.

Glaubwürdigkeit der Wirtschaft als Voraussetzung für den gesellschaftlichen Konsens: Während andere Konzernherren den Eindruck erwecken, solcherlei Präsentation der Unternehmenskultur werde ihnen mühsam von den PR-Abteilungen ins Manuskript redigiert, hat Bennigsen sich auch nicht vor kritischen Fragen gescheut, wenn „der Kunde als Bürger heute sein Verbraucherinteresse auch als ein gesellschaftlich relevantes versteht.“

Auch wenn der Name Veba auf kaum einem Produkt auftaucht, das der Konzern herstellt oder handelt: In den achtzehn Jahren unter seinem Vorstandsvorsitz hat Bennigsen-Foerder die Veba vom verschlafenene Gemischtwarenladen, überdies im Bundesbesitz, zum viertgrößten bundesdeutschen Konzern gemacht. 1959 wechselte der Jurist aus dem Bundesfinanzministerium zur Veba, einem Sammelunternehmen für die vormals preußischen Bergbau- und Elektrizitätsfirmen. 1969, nach zehn Jahren, kam er in den Vorstand, und nur zwei Jahre später wurde er Chef des Konglomerats. Er kaufte 1975 die Gelsenberg AG mit ihren Beteiligungen etwa an der Aral und dem Handelsunternehmen Raab-Karcher, verkaufte 1978 große Teile der Raffineriekapazitäten an die BP - die prompt in die schwere Raffineriekrise Ende der 70er Jahre geriet - , und übernahm dann von der Bayer AG deren Anteil an den Chemischen Werken Hüls und verschmolz 1985 die Nordwestdeutschen Kraftwerke mit der PreussenElektra. Die enge Zusammenarbeit mit der staatlichen venezolanischen Gesellschaft Petroleos de Venezuela seit 1978 führte dazu, daß ein Opec-Land erstmals am Risiko der Verarbeitung und Vermarktung beteiligt wurde. Seit 1987 ist die Veba vollständig privatisiert.

Die Veba befindet sich noch inmitten des Umstruktierungsprozesses, den Bennigsen-Foerder über zwei Jahrzehnte vorangetrieben hat. Die mittelfristige Planung der Veba, deren Beschäftigtenzahl 1988 um 10.000 auf 84.000 stieg und dank weiterer Zukäufe inzwischen über 90.000 beträgt, sieht für die nächsten Jahre ein Investitionsvolumen von 20,3 Milliarden Mark vor, wobei der Auslandsanteil von derzeit 20 auf 30 Prozent gesteigert werden soll. Allein 1988 hat sich die Zahl der Veba-Töchter um 95 auf 632 Gesellschaften erhöht; 118 Zugängen standen 23 Abgänge gegenüber. Neue Beteiligungen ließ Bennigsen vor allem im Chemiebereich aufkaufen. Den seit längerem größten Coup konnte Bennigsen jedoch im laufenden Geschäftsjahr verzeichnen: Die Fast-Mehrheit bei der Feldmühle Nobel AG (Feno), dem Herzstück der einstigen Flick-Gruppe. Der Weltumsatz des Feno-Konzerns war 1988 auf 7,9 Milliarden Mark gestiegen; die Veba wies 44,4 Milliarden Mark aus.

Vier Standbeine hat die Veba jetzt: Strom (unter anderem die Beteiligung an sechs AKWs, zahlreiche Kraft- und Bergwerke, auch eine 39prozentige Beteiligung an der Ruhrkohle AG), Öl (u.a. Aral), Chemie und Transport/Verkehr (Stinnes, Raab-Karcher) - nur noch Daimler, Siemens und VW sind größer. Dennoch hat es Bennigsen-Foerder kaum einmal in die Schlagzeilen außerhalb der Fachpresse und der Wirtschaftsteile der Tageszeitungen gebracht. Mit einer einzigen großen Ausnahme im Frühling dieses Jahres: dem Aufarbeitungsvertrag zwischen der Veba und der französischen Cogema, der das Aus für die WAA in Wackersdorf bedeutete. War es ihm immer darum getan, für den energiepolitischen Konsens in der BRD zu sorgen, ist er daran doppelt gescheitert. Die Atomenergie ist bis heute nicht gesellschaftlich akzeptiert. Und die Atomzunft hat er so zerstritten wie nie zuvor zurückgelassen: Die WAA- und AKW -Errichterfirmen haben ihm seinen Ausstieg nicht verziehen. Zwischen den Stromfirmen herrscht „Krieg“ ('Die Welt‘) über die Alternative Wiederaufarbeitung oder Endlagerung. Bennigsen-Foerder sei an den Folgen seiner Lungenentzündung gestorben, weil er sich ob dieses Krieges zu wenig Erholung gegönnt hätte. Damit könnte der Konzernlenker das letzte Opfer der WAA geworden sein.

Dietmar Bartz