„Für mich ist der Bus eine große Hilfe“

■ Drei Abende pro Woche steht der Minibus der Bremer Hilfe mit Kaffeeküche am Drogenstrich / Spritzentausch, Kondomausgabe und Ansprechpartnerinnen

„Ich hab mich noch nie so auf meine Matratze gefreut wie heute“, Marianne greift zu ihrer Jacke. Es ist Mitternacht und damit Dienstschluß, „Schicht“ wie es die Frauen vom Drogenstrich am Ziegenmarkt kurz nennen. Marianne und Sigrid, Krankenschwester und Sozialwissenschaftlerin in spe, sind seit dem 15. Juni und damit von Anfang an die Betreuerinnen im Busprojekt der Bremer Hilfe. Dreimal die Woche bieten die beiden (von 18 bis 24 Uhr jeweils) den Junkie-Frauen vom Ziegenmarkt und umzu Kaffee und Plätzchen, saubere Spritzen und Kanülen (ausschließlich im Tausch 1:1 gegen Gebrauchte), kostenlose Kondome und vor allem: eine Anlaufstelle dort, wo sie sie brauchen.

Dieser Dienstag abend war der heißeste, den die Frauen seit Beginn des Projekts erlebten: „Es war dauernd Alarm.“ Sylvia zum Beispiel ist so „breit“, daß sie den Bus zur zehn-Uhr -Pause partout nicht verlassen will. Die Stimmung heizt sich auf, Sylvia wird zunehmend aggressiver - und das, obwohl sie kurz zuvor bereits

eine Schlägerei im Bus angezettelt hatte. Marianne versucht mit gutem Zureden und Schultertätscheln mühsam, sie zum Aussteigen zu bewegen. Dabei steht sie gleichzeitig schützend vor dem Ausstieg des Wohnmobils, damit Sylvia in ihrem halbwegs weggetretenen Zustand nicht vom Sitz herunterfällt. Zur selben Zeit bemühen sich Betreuerin Sigrid und zwei Prostituierte um Susi, die schnarchend in einer Ecke kauert. Doch auch Susi ist nicht wachzukriegen. Falls sie von ganz weit weg einmal die Augendeckel hebt, brubbelt sie fast unhörbar nur „Löffel“ vor sich hin. „Noch einen? Du brauchst doch keinen, du hast dir doch gerade erst einen abgedrückt.“ Ob Sigrids Worte bei dem Mädchen überhaupt ankommen, ist fraglich. Der letzte Schuß ist noch nicht lange her. Spritze, Löffel und einen „Flitzen“ mit dem nächsten „Viertel“ (was für ein Stoff auch immer sich dahinter gerade verbirgt) hält Susi krampfhaft umklammert.

Vor kurzem erst war Susi „bewegungslos“ aufgefunden und per Krankenwagen ins Hospital

transportiert worden: „160 Mark hat sie das gekostet. Die Rechnung hat sie uns gezeigt.“ Und das alles für nix: Denn Susi wollte nicht ins Krankenhaus. Im ersten unbewachten Moment machte sie sich wieder aus dem Staub. Auch an diesem turbulenten Abend hatten Passanten Polizei und Sanitäter alarmiert, weil sie in einer Telefonzelle eine bewußtlose „Person“ bemerkt haben wollten. Der Rettungsdienst erkundigt sich im Bus. Aber dort hatte niemand etwas derartiges beobachtet.

Als Sigrid und Marianne den Bus endlich abschließen können, um ihre 15minütige Zehn-Uhr-Pause anzutreten („Wir müssen dringend aufs Klo und den 10 Liter-Kanister fürs Kaffeewasser auffüllen“) sind die beiden offensichtlich schon ziemlich geschafft. „Gestern war's dagegen richtig gemütlich“ meinen sie. Und da war zufällig Radio Bremen zu Gast. Das ist in dieser Nacht dann natürlich noch Gesprächstoff: „Die Susi (eine andere ist gemeint, d.Red) hatte ja extra ihren Pelz ausgelöst, um sich nur ja richtig vor der Kamera

zu präsentieren.“ Auf den Fernsehbeitrag warten sie jetzt alle gespannt. Schließlich wollen die Frauen für ihren Bus kämpfen: „Für mich ist das eine ganz große Hilfe, daß man sich auch mal den Ärger mit einem Freier von der Seele reden kann,“ betont Doris, von anderen Frauen liebevoll „Dorle“ genannnt.

Sie erzählt auch freudige Ereignisse: Daß ein Freier ihr für zwei Nächte ein teures Hotelzimmer bezahlt hatte: „Hier

-sogar auf meinen Namen“ Doris fischt die Rechnung aus der Handtasche. Am Wochenende will sie zu ihren Eltern aufs Land: „Ich hab mir Remis besorgt (Ersatzstoff wie Methadon, d.Red.). Dann denk ich gar nicht an Bremen und all das hier und an den nächsten Schuß.“ Doris bekommt noch einen neuen Salbenverband - sie hatte versehentlich danebengespritzt und einen dicken Arm. Bei der fünften Zigarette, dem zweiten Kokoskeks erzählt sie dann: „Ich hab heut gar keine Lust. Es geht auch wieder auf Weihnachten, und den Killer, der „die Frauen zerhackt“, haben sie auch

noch nicht gekriegt.“ Und eine andere ergänzt: „Mich hat eben ein Freier bis hinter Mahndorf gefahren, weil er da irgendwann mal 'nen dunklen Feldweg gesehen hatte. Da denkste jedesmal 'das ist deine letzte Fahrt‘, bloß weil die hier Angst haben, daß sie jemand sieht.“

An dem Bus, dessen Vorhänge freimütig nicht zugezogen sind, spazieren wiederholt brave Pärchen und potentielle Freier neugierig vorbei. Der Bus wechselt übrigens tageweise seinen Standplatz, „um die Anwohner nicht unnötig zu belasten.“ Als die Junkie-Frauen am Dienstag allzu lautstark werden, rufen andere sie resolut zur Räson: „Soll der Bus wegen Euch wieder abgezogen werden?“

In den gut 40 Tagen seines Einsatzes haben Sigrid und Marianne 6.500 Spritzen und 14.000 Kanülen getauscht. „Einige suchen sich im Gebüsch auch schmutzige Pumpen, um bei uns an sauberes Besteck zu kommen,“ erzählt Marianne. Die beiden Betreuerinnen versehen bisher mit Absicht den Dienst allein: um ihre

Klientel nicht unnötig durch einen Personalwechsel zu belasten und eine vertrauensvolle Basis zu schaffen. „Der Bus ist ein bewußt niederschwelliges Angebot an die Leute der Drogenszene, mit ganz geringen Anforderungen. Wir wollen, wo es irgend geht, helfen, ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Erst dann kann bei ihnen eine sinnvolle Motivation zu Entgiftung oder Therapie entstehen,“ erläutert Dieter Admaski von der Bremer Hilfe einen Teil des Konzepts, das nur Ergänzung zum übrigen Angebot sein kann. Bis April 1990 ist das Projekt durch den Senat finanziell gesichert. Auch die Polizei unterstützt den Bus, fahndet dort nicht nach den illegal arbeitenden, drogenabhängigen Prostituierten.

Als der Bus um Mitternacht schließt, wissen Sylvia, Susi und Claudia, alle drei „breit“ bis zum Umfallen, noch nicht, wo sie schlafen können. Martina und Uli haben unterdessen einen Freier gefunden, der sie mit nach Hause nimmt. Marianne und Sigrid ihrerseits nehmen den Müllbeutel mit auf den Heimweg: mit Sprit

zen, Kaffeebechern und gebrauchten Parisern.

Birgitt Rambalski