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Doppelausstellung im Fotoforum

 ■  Die Botschaft ist tot

Der eine hat bei Chrysler gearbeitet, der andere bei VW. Der eine ist Jahrgang 12, der andere 16. Der eine stammt aus Detroit, der andere aus Wuppertal an der Schwebebahn. Beide fotografieren, beide machten Fotografiegeschichte, nachdem die Geschichte die Fotografie diskreditiert (Nazi -Propaganda) oder relativiert („Aufklärung“, „Botschaft“) hatte.

Das Fotoforum Böttcherstraße präsentiert in einer Doppelausstellung Harry Callahan und Peter Keetmann, beide „Portraitisten der industriellen Kultur“. Gegen die Zweifel an der Bedeutung der Fotografie setzten Keetmann und Callahan auf dasselbe visuelles Konzept, welches gemeinhin als „subjektive Fotografie“ umschreiben wird.

Peter Keetmann, Selbstportrait: hundert Wassertröpfchen sitzen in einem Metallgitter und reflektieren das Gesicht hundertfach, das im Hintergrund ganz

groß und verschwommen noch einmal erscheint. Oder: Öltropfen auf Wasser; toter Ast in Telegrafenleitung; die bonbonglatte Flanke einer Nobelkarosse. Das Abstraktionsniveau wird solange angehoben, bis Technik, Natur oder Landschaft Strukturen preisgeben in einem Akt der Neumontage industrieller Realität. 1946 stieß Keetmann zur Fotografengruppe „Fotoform“ um den Folkwangschulgründer Otto Steiner; dessen Einfluß entdeckt man besonders auf den „Straßenszenen“, die vornehmlich aus der Vogelperspektive aufgenommen sind, mit gekippten Bildachsen und verwischten Bewegungsspuren.

„I found photography as a hobby, and then finally realized that it was something I really believe in.“ Harry Callahan begann als 35jähriger zu fotografieren, als Autodidakt mit Ehefrau Eleanor als Model. Sie lichtete er immer wieder ab und legt so eine Se

rie von sehr diskreten und kühlen Aktfotos vor. Später avancierte Callahan zum Lehrer an renommierten Design -Schulen in Chicago und Rhode Island, wo er stilprägend wirkte. Seine Bilder sind auf andere Weise subjektiv als die Keetmanns, sie zeichnen sich durch die ungewöhnliche Perspektive aus, einen radikal „antidokumentarischen“ Blick, der die Objekte winzig sieht oder angeschnitten, doppeltbelichtet oder in Scheiben gespiegelt. Die Fotografien erhalten durch ausgefuchste Standortwahl kräftige lineare Strukturen, etwa in dem amerikanischen Kleinstadtidyll, das durch die Linie Gehwegkante -Telegrafenmast-Leitungen zweigeteilt wird. Oder die finstere Landstraße, deren Markierungsstreifen das Bild horizontal und vertikal zerschneidet. Perfekte Inszenierungen „intimer“ Räume, in hohem Maße organisiert, so daß selbst flüchtige Begegnungen wie eingefroren wirken. Von eigenar

tig suggestivem Reiz sind Callahans Farbbilder, im Edeldruckverfahren (Dye-Transfer) hergestellt, welches zarteste Farbabstufungen ermöglicht und sehr poetische Ergebnisse bringt. Dies erklärt auch den Erfolg von Bildern'die, von Onkel Theo aufgenommen, nur peinlich wirken würden („Dieser Punkt im Sand ist Tante Hertha“). Doch die Strandaufnahmen von Cape Code (bei Boston, viel fotografiert) sich so subtil in ihrer Farbigkeit, so artifiziell, als hätte sich Callahan gleich aus dem Reich der Träume bedient. Der bekannte Smog über Cape Code soll übrigens auch zu dem spezifischen Licht beitragen.

Das Fotoforum bietet mit dieser Doppelausstellung doppelten Reiz: einen ästhetischen und historischen. Thema: Aufgabe und Wirksamkeit der Fotografie jenseits des Dokuments. (Fotoforum Böttcherstraße, bis 28.11)

Burkhard Strassmann

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