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NRW-Grüne als radikalisierte Gewerkschaftspartei?

Anmerkungen von Reinhard Loske (Landesvorstand) zur Delegiertenkonferenz der nordrhein-westfälischen Grünen vom 27. bis zum 29.Oktober in Dortmund  ■ D O K U M E N T A T I O N

Wer geglaubt hatte, daß die strukturelle Dominanz der Traditionslinken in den Grünen der Vergangenheit angehört, ist auf der Landesdelegiertenkonferenz der NRW-Grünen am vergangenen Wochenende eines Besseren belehrt worden. Im Rahmen der Programmdebatte hat sich einmal mehr die linksradikal-gewerkschaftliche Pose gegen eine ökologische Grundorientierung durchgesetzt. Da rücken der Erhalt des Jahrhundertvertrags und der „gewerkschaftliche Kampf“ für eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit ins Zentrum grüner Programmatik, während konsequente ökologische Politik als „mittelstandsorientiert“ denunziert wird. Da erhält ein Delegierter, der sich über „Kleinbürger“ lustig macht, „die Angst um sterbende Bäumlein in ihrem Vorgarten haben“, donnernden Applaus. Und da erfährt selbst eine Rednerin Zustimmung, die in dem Entwurf der Landespolitischen Erklärung des Realo/Aufbruch-Lagers mehr als 20mal das Wort „ökologisch“ entdeckt und das übertrieben findet. Zeitweise wähnte man sich auf einem Gewerkschaftstag Ende der siebziger Jahre. Populistische Reden, die mit dem schmetternden Tremolo eines Franz Steinkühler vorgetragen wurden, erfreuten sich denn auch konsequenterweise des größten Beifalls.

Mit der vordergründigen Warnung, daß der Umweltschutz nicht „auf dem Rücken der kleinen Leute“ ausgetragen werden dürfe, wurden alte Denkfiguren wiederbelebt, die ökologische Probleme lediglich als Klassenproblem begreifen. Als wolle bei den Grünen irgend jemand, daß Einkommensschwache den ökologischen Umbau finanzieren sollten. Aber als Totschlagargument gegen Leute, die Ökologie konsequent ins Zentrum grüner Politik rücken wollen, ist eine solche falsche Zuspitzung immer noch gut genug.

Die Traditionslinken in den Grünen, die im nordrhein -westfälischen Landesverband noch immer großen Einfluß haben, sehen die Ökologie nicht primär als Gattungsfrage, sondern als Klassenfrage. Es erstaunt deshalb nicht, daß sie aus der „ökologischen Industrialismuskritik“ immer wieder eine grün getünchte „sozialistische Kapitalismuskritik“ machen. Viele von ihnen haben mit Ökologie soviel am Hut wie die Kuh mit dem Sonntag. Warum aber, so werden sich viele Wählerinnen und Wähler fragen, soll man die Grünen wählen, wenn nicht wegen der Ökologie? Etwa wegen ihres liebenswerten Bekenntnisses zu den Arbeitern von Rheinhausen, denen die Grünen ziemlich schnurz sind?

Es ist schbon seltsam: Während sich in Europa allerorten der Pluralismus Bahn bricht, feiert bei den nordrhein -westfälischen Grünen traditionssozialistische Phraseologie fröhliche Urständ. Damit hat die NRW-Landespartei einmal mehr bewiesen, daß sie noch immer ziemlich exakt fünf Jahre hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurückbleibt (Vor der letzten Landtagswahl stritt man mit harten Bandagen um die Frage, ob Rot/Grün moralisch verwerflich sei).

Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, daß für die Ergebnisse des Landesparteitages von Dortmund die Delegierten verantwortlich sind, und zwar nicht nur die Stimmungsmacher der organisierten Linken. Allein nämlich bringen die traditionell linken Kreisverbände höchstens ein Drittel der Delegierten auf die Waage. Bei den ungebundenen Delegierten hat allerdings offenbar ein Mißverständnis Platz gegriffen, das sich für ökologische Reformpolitik verheerend auswirkt: „Die 'Realos‘ haben sich in der Bündnisfrage durchgesetzt, dann soll sich die Linke wenigstens mit ihren Inhalten durchsetzen.“ Ein unpolitischeres „Gerechtigkeitsempfinden“ ist kaum vorstellbar. Wer glaubt, daß radikale Pose plus Koalitionsangebot an die SPD Politikfähigkeit ergibt, der irrt sich gewaltig. Es geht jetzt um nichts Geringeres als das Entwerfen glaubwürdiger Gegenkonzepte.

Es kann doch nicht wahr sein, daß unverbindlich -verbalradikale Beschlüsse ohne Realitätssinn gefaßt werden, für die nachfolgend niemand Verantwortung übernehmen kann. Wo sind all die hervorragenden Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, auf den Landesparteitagen? Ihre Erfahrung, ihr Stehvermögen fehlt hier schmerzlich. Statt dessen führen oft diejenigen das Wort, deren gesellschaftliche „Bodenhaftung“ gleich Null ist. Wenn es nicht gelingt, hier Abhilfe zu schaffen, wird der Katzenjammer am Tag nach der Landtagswahl groß sein.

Sollte die Kandidatenliste der NRW-Grünen für die Landtagswahl so aussehen, daß vor allem Kämpfer für die „Deutsche Steinkohle“ und die „Vergewerkschaftung der Gesellschaft“ das Bild bestimmen, werden viele ökologisch motivierte Menschen am 13.Mai 1990 nicht die Grünen wählen.

Die Wählerinnen und Wähler aber, die linkssozialdemokratisch orientiert sind, werden nicht die Grünen wählen, sondern die SPD - trotz Johannes Rau! Sie wissen: Das Original ist immer besser als die Kopie, auch wenn sie radikaler daherkommt.

In Nordrhein-Westfalen versuchen die Grünen 1990 zum dritten Mal, den Einzug in den Landtag zu schaffen. Eine Kraft, die sich dem Leitbild einer ökologischen, solidarischen und radikaldemokratischen Gesellschaft verpflichtet weiß, wird dort dringender denn je gebraucht. Die SPD-Monokultur muß überwunden werden. Gerade weil das so ist, weil unsere Wählerinnen und Wähler nach konkreten Alternativen verlangen, darf das Feld nicht denjenigen überlassen werden, die aus den Grünen eine Partei alten Stils machen wollen. Die NRW-Grünen haben die Wahl: Entweder sie führen einen ökologisch kontinuierten Landtagswahlkampf mit glaubwürdigen KandidatInnen oder sie werden zum dritten Mal scheitern. Wer letzteres nicht will, sollte jetzt aus den Socken kommen.

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