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Keine Komödie

■ Thomas Bernhards letztes Stück „Elisabeth II.“ wurde in Berlin uraufgeführt

Esther Slevogt

Der alte Mann wird von seinem Diener auf die große rosa Bühne geschoben. Im Rollstuhl, denn er hat keine Füße mehr, seit ein Betrunkener sie ihm vor Jahren abfuhr. Er hat sein Gebiß vergessen, und der Diener bringt es ihm. Trotzdem, der Tyrann bleibt zahnlos. Schnell ist der Abend zu Ende, der Dichter macht kurzen Prozeß. Die Katastrophe ist deftig, das Theater läßt sich nicht lumpen. Dreißig bis vierzig Menschen kommen um. Der Zuschauer, wie immer, überlebt. Man hätte mehr erwartet. Aber soviel eigentlich auch wieder nicht.

Die endgültig letzte Bernhard-Aufführung sollte das werden. Für das Wiener Burgtheater geplant, durch Bernhards testamentarisches Verdikt jetzt dem Berliner Schillertheater in den Schoß gefallen. „Einige haben ja geschrieben, daß er ausgerechnet seine Freunde damit trifft“, lamentiert Claus Peymann. Aber wie sagt es Herrenstein, das letzte Exemplar in Thomas Bernhards Misanthropen-Galerie: „Die haben es ja doch nur auf mein Lebenswerk abgesehen ... aber ich vererbe ja diesen Leuten nichts wie Sie wissen / ich habe Ihnen ja gesagt / daß ich diesen Leuten nichts vererbe.“

Nun sind sie alle also ein letztes Mal erschienen. Ein letztes Mal noch schüttet der ewige Nörgler seinen Haß über sie aus. Auch diesmal fällt die Gesellschaft ihrer Lächerlichkeit zum Opfer. Doch heute wird es ernst. Der Balkon, auf dem sie zum letzten Mal der eigenen Albernheit huldigen, stürzt mit ihnen die Tiefe.

Sonst klingt alles wie gehabt. Der Tonfall ist vertraut, die Sätze sind alte Bekannte. Der Hausherr, ein Krüppel, wie „Die Gute“ in Ein Fest für Boris. Die Wiener Ringstraße wie in Heldenplatz. Nur daß man hier heute nicht dem Führer, sondern der englischen Königin Elisabeth II. zujubelt, die die Stadt besucht.

In seinem hochherrschaftlichen Salon am Opernring wartet Herrenstein übellaunig auf die Menschen, die das Ereignis vom Balkon seiner Wohnung aus verfolgen wollen. Er hat einen Diener und eine Haushälterin, und alles könnte so sein wie immer. Hätte sich Niels-Peter Rudolph, der die Berliner Uraufführung inszenierte, nicht in den Kopf gesetzt, Bernhard einmal neu zu sehen. Statt im Stück, liest Rudolph zwischen den Zeilen.

Hat das Fäulein Zallinger etwas mit dem Diener Richard? Will sie zusammen mit ihm das Herrenstein-Erbe an sich bringen? Oder ist der alte Tyrann am Ende der Mann ihres Lebens? Rudolph will verfeinern, aber er verkleinert nur. Als ginge es hier um billige Psychologie. Den Figuren bleibt wenig Bewegung. Rudolph verwickelt sie in die Belanglosigkeiten seiner Interpretation. Und so wettert sich Kurt Meisels Herrenstein als Ersatz-Minetti durch den Abend (oft im heftigen Duett mit der Soufleuse). Sabine Sinjen als Fräulein Zallinger ist mehr mit sich selbst und der Darstellung der komischen Alten als mit dem Stück beschäftigt. Walter Schmidinger als Diener Richard. Noch macht er den Domestiken, aber heimlich plant er schon den Befreiungsschlag. Schmidinger weiß, was er seiner Rolle schuldig ist. Trotzdem bleibt er blaß. Er hat weder in Kurt Meisel einen Gegenspieler, noch in der Inszenierung einen Halt.

Nach und nach treffen die Damen und Herren der Gesellschaft ein, alle in Schwarz. Später werden sie auf einem Begräbnis erwartet. Daß es ihr eigenes ist, wissen sie nicht. Ausgelassen prosten sie sich zu. Lächelnd und Fähnchen schwingend drängeln sie sich dann am Abgrund - in Berlin eine kreischende Chargen-Schar. Als seien sie lächerlich ihres albernen Benehmens, einer Schrulle, eines körperlichen Gebrechens wegen. „Kaum werden wir geboren / fliehen wir in den Tod / die ganze Menschheit läuft nur dem Tod davon“, sagt Herrenstein, und mit diesem Wissen trotzt er - wie alle Helden Bernhards - dem Tod seine starrsinnige Würde ab. Der Ahnungslosigkeit der anderen, ihrer blödsinnigen Lebenslust, gilt sein Ekel.

Oder nicht? Seinen Diener fleht Herrenstein an, ihn nicht zu verlassen. Ohne ihn könne er nicht leben. Von der Gräfin Gudenus (Liselotte Rau), die doch das Objekt seiner Verachtung sein müßte, sagt er, daß er fasziniert ist. Den alten Guggenheim (Erich Schellow) will er auf den Semmering einladen. Und beinahe liebevoll wendet er sich einmal an das Fräulein Zallinger.

Hätte Niels-Peter Rudolph Thomas Bernhard bloß Thomas Bernhard sein lassen - der, der seinen Haß über die Menschheit ausgießt, aber es aus Liebe tut. Im Misanhtropen wäre der Menschenfreund erwacht, dessen „Ich habe ... immer gehaßt!“ im Grunde eine leidenschaftliche Liebeserklärung ist.

Eigentlich hat man es immer gewußt. Einer, der, wie Bernhard, noch die schaurigsten Monströsitäten seiner Helden mit solcher Zärtlichkeit beschrieb, der konnte sie nur lieben. All die Ignoranten und Wahnsinnigen, die Weltverbesserer und Theatermacher. Daß aber auch die Figuren selbst von dieser unglücklichen Liebe zur Welt und zum Leben befallen sein können, in Elisabeth II. erfährt man das in dieser Deutlichkeit zum ersten Mal. Doch wie zur Strafe, daß Herrenstein in kurzen Momenten schwach geworden ist, stürzt alles in sein schrecklich absurdes Ende.

Am Schiller-Thater sah man eine süß-saure Gesellschaftskomödie. Keine Komödie, heißt Thomas Bernhards Stück im Untertitel, den man in Berlin nachweislich wegließ. Es gibt nichts zu lachen. Weil der Tod alles lächerlich macht.

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