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„Mörder ihrer ungeborenen Kinder“

■ Viele Männer - nicht nur von der CSU - haben Angst, daß durch ein Gesetz gegen sexuelle Gewalt in der Ehe viele Selbstverständlichkeiten der Partnerbeziehung in Bewegung und möglicherweise als Strafdelikt vor Gericht geraten Kriminologische Indikation nach einer Vergewaltigung in der Ehe stellt neue Fragen nach den eigentlichen Tätern

Gerhard Amendt

Es scheint so, als wollten auch CSU-Männer sich endlich erweichen lassen, gewalttätige Sexualität in ehelichen Beziehungen unter Strafe zu stellen. Allein die Diskussion eines solchen Strafrechtsparagraphen, die bereits über zehn Jahre währt, setzt die Anerkennung von Vergewaltigungen in der sakrosankt phantasierten Ehe und Familie voraus. Je mehr Gesetze in den privaten Bereich eingreifen, desto mehr Anfälligkeiten sind dort zu vermuten. Vielleicht beginnt schon mit der Benennung der offenen Gewalt die gewünschte Problematisierung, die sprachlose Gewalt in der ehelichen Sexualität nicht mehr als kulturelle Gepflogenheit erscheinen läßt, die nun einmal zum ehelichen Leben dazugehört.

Mit Sicherheit wird in der Zukunft nicht mehr jede sexuelle Handlung in der Ehe als private Angelegenheit gelten und auch nicht vor den Urteilen der gerichtlichen Öffentlichkeit geschützt sein. Mit dem geplanten Gesetz gegen die sexuelle Gewalt in der Ehe wird in Frage gestellt, was im therapeutischen Bereich seine Problematisierung täglich erlebt. Daß Männer „immer wollen“, Frauen hingegen „nie wollen“, daß Männer sich aber auch über die Bedürfnisse der Ehefrauen in dieser oder jener Form hinwegsetzen. Vielfältige Beziehungsdialektiken und schwer auflösbare Verschränkungen deuten sich hier bereits an, die im Ernst wohl niemand für justitiabel hält und die sich bestenfalls zum Gesprächsgegenstand für die Ehepartner und ihre professionellen Helfer eignen; aber auch nur, wenn es darum geht, die Beziehung zu erhalten. Geht es um Bilanzierungen von psychischer und körperlicher Gewalt, also Abrechnungen mit der Ehegeschichte, dann bietet sich das anstehende Gesetz natürlich besonders an. Das sind Vorgänge, wie sie sich bei jeder Scheidung zeigen.

Eines läßt sich aber bereits mit Gewißheit sagen. Mit einem Gesetz zur Vergewaltigung in der Ehe wird es auch eine sozialpsychologisch bedeutsame Feststellung geben. Neben der traditionellen Vermutung einer unterschiedlichen Triebstärke und auseinanderweisender Sexualbedürfnisse von Männern und Frauen wird auch die immer noch vorherrschende Beziehungsmaxime ein Ende finden, an der auch die sexualisierte Redseligkeit nichts verändert hat, daß „der Mann nicht fragt und die Frau nichts sagt!“ Das Strafgesetz wird beide zur Verständigung jenseits von männlichen Sexualbegehren und Sexualpraktiken zwingen, in denen viele Frauen sich als Opfer fühlen und männliche Aktivität in Grenzfällen zur Gewalttat wird: nämlich dann, wenn Frauen etwas sagen, wenn sie für sich etwas Bedeutsames begehren und dafür kein Gehör finden, und Männer - mit dem Hinweis auf das Gewohnte - auch die aktuelle Form der sexuellen Lust glauben bestimmen zu können. Nur über die Form der Verständigung über das Ungleichzeitige in der Partnerschaft wird es aber Veränderungen in den sexuellen Beziehungen in der Zukunft geben. Oder es gibt schlimmstenfalls Strafverfahren wegen Vergewaltigung in der Ehe.

Davor haben viele Männer Angst. Dabei scheint es mir noch nicht einmal ausgemacht, ob das verquere Junktim der CSU -Männer, das die strafgesetzliche Verurteilung auf der einen und die Ausschließung einer automatischen Rechtfertigung für eine anschließende Abtreibung auf der anderen Seite vorsieht, um sovieles konservativer ist als die Position jener Männer, die sich gar zu schnell der Kriminalisierung jedes Sexualverkehrs und jeder Sexualpraktiken angeschlossen haben, die nicht einverständlich vollzogen werden. CSU -Männer stehen offensichtlich mit dem Brustton konservativer Männlichkeit nicht nur gegenüber ihren Ehefrauen, sondern auch noch politisch zu dem, wovon die schnell Einverstandenen vorsichtshalber geschwind abgerückt sind: nämlich zu der Angst, daß mit einem Gesetz über die sexuelle Gewalt in der Ehe viele Selbstverständlichkeiten der partnerschaftlichen Beziehungen in Bewegung geraten werden. Es gibt völlig zu Recht unter Männern angstbesetzte Vorstellungen darüber, wo denn eigentlich die Grenze zwischen den traditionell männlichen Beziehungs- und Sexualitätsinitiativen einschließlich der von den Männern eingeführten Verrücktheiten des Sexualverkehrs verläuft, und andererseits jenem Verhalten, das Frauen nicht nur als Gewalt empfinden, sondern, und das ist das wirklich Neue in der Debatte, auch seit dem Aufkommen der neuen Frauenbewegung ablehnen und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgen wollen.

Unter den vielfältigen vor sich hinköchelnden Phantasien haben die CSU-Männer eine besonders eigentümliche ans Licht gebracht. Sie enthält die Vorstellung, daß mit der Anerkennung der ehelichen Sexualgewalt die Zahl der Abtreibungen sprunghaft steigen wird.

Einigkeit scheint unter den Repräsentanten der verwegenen Maskulinität soweit zu bestehen, daß Frauen abtreiben dürfen, die nach einer ehelichen Vergewaltigung schwanger werden. Aber, und hier bricht die politische Brisanz dieser Angelegenheit hervor: Die Begründung für eine solche Abtreibung sollen die Frauen aus der schweren Notlage, also jenem Sammelsurium materieller, psychologischer und sozialpsychologischer Belastungssituationen im Inneren der Frau wie ihrer Umwelt, ableiten, die der §218 StGB als schwere Notlage beschreibt und die durchzustehen einer Frau nicht zugemutet werden kann; obwohl diese Unfähigkeit in einer „verabscheuungswürdigen Tötung von Leben“ endet.

Die CSU will auf keinen Fall, daß die eheliche Vergewaltigung automatisch eine kriminologische Indikation nach §218 StGB nach sich zieht.

Warum aber darf ein krimineller Sexualakt des Ehemannes nicht automatisch eine kriminologische Abtreibungsbegründung nach sich ziehen? Warum verläuft hier die Schmerzgrenze der CSU-Männer, und welche finstren, ja unaussprechlichen Gedanken sind damit verbunden?

Mit Gewißheit spricht nichts dafür, daß sie eine radikal -feministische These übernommen haben. Danach wären heterosexuelle Beziehungen per se Gewalt und damit auch jede Schwangerschaft Resultat eines männlichen Gewaltaktes - die Penetration als das Urbild der Gewalt, der Penis als Schicksal! Aber vielleicht gibt es, so ungewöhnlich das erscheinen mag, zwischen den radikalen Feministinnen mit ihrem marianistischen Frauenbild und den Konservativen mit ihrem machistischen Männerbild doch geheime Übereinstimmungen. Möglicherweise hegen die konservativen Männer wirklich einen so abgrundtiefen Zweifel an der Bereitschaft der Frauen zu gebären, daß sie meinen, Frauen müßten durch sexuelle Gewalt und Zwangsschwängerung zu dem gebracht werden, wozu sie von Natur aus zwar befähigt, aber sozial nicht umstandslos, wie die Memminger Richter wohl alle denken, willens sind. Zu der generellen Ablehnung der Männer als Gewaltschwängerer, wie es die radikalen Feministinnen sehen, würde das als exakte Ergänzung - quasi spiegelbildlich - passen. Für diese ideologische Komplementarität zwischen Marianistinnen und Machisten, kurz gesagt: den Reinen im eigenen und den Unreinen im anderen Geschlecht, gibt es in der Geschichte der Abtreibungsdebatte, aber auch in der konservativen Gynäkologie unendlich viele überzeugungsfähige Beweise noch auszugraben.

CSU-Männer wollen die Strafbarkeit ehelicher Vergewaltigungen und nachfolgender Abtreibungen wohl so abwickeln, daß die Frauen zwar als Opfer anerkannt werden, daß aber der Ehemann nicht mehr als Täter in Erscheinung tritt. Auch hier zeigt sich wie in allen anderen Auseinandersetzungen über die Abtreibung, und die Memminger Massenverfolgungen sind das beste Beispiel dafür, daß es den sogenannten Lebensschützern natürlich nicht um Lebensschutz und Moral, sondern um Schuld, um Gewissensängste und moralische Überlegenheitsgefühle geht. Vor allem geht es darum, wer die Verantwortung für diese Abtreibungen ehelicher Vergewaltigungen eigentlich trägt. Aus der Sicht der Konservativen handelt es sich dabei ja zweifelsfrei um „Tötung eines Menschen im Mutterleib“. Nicht wenige reden von Mord und sehen die Frauen als „Mörderinnen“. Wird die sexuelle Gewalt in der Ehe unmittelbar zum Anlaß einer Abtreibung, dann werden die gewalttätig zeugenden Ehemänner nach ihrem eigenen unerbittlichen Selbstverständnis über den Beginn des Lebens zu „Mördern ihrer eigenen ungeborenen Kinder im Mutterleib“. Aber das schwebt ihnen in Memminger Selbstgerechtigkeit wohl nicht vor. Bislang wurde diese Tötungsschuld generell den Frauen zugeschrieben. Die kriminologische Indikation für eine gewalttätig entstandene Schwangerschaft würde jetzt gewohnheitsmäßiger Schuldzuschreibung ein jähes Ende bereiten. Nicht wenige Machisten der CSU und möglicherweise auch mehrere der Richter Theissens würden sich als „Mörder“ entpuppen. Das abrupte Erwachen, das damit verbunden wäre, würde nämlich ganz im Sinne des Bundesverfassungsgerichtsurteils, auf das sich die CSU so gerne immer wieder bezieht, an eine bislang veleugnete männliche Mitwirkung bei der „Tötung durch Abtreibung“ rühren.

Und wenn der Damm erst einmal gebrochen ist, dann könnte auch die Frage aufkommen, ob die Weigerung der Männer zu verhüten von Ehefrauen zur ehelichen Gewalt hochgestuft wird. Nicht in einem strafrechtlichen Sinn, sondern vielmehr als eine bewußtgewordene Verletzung aus mannigfaltigen Macht - und Gewaltverhältnissen in der Ehe, die bislang ungesehen als Fügung „von oben“ oder als irdisches Schicksal „unten“ ertragen wurden.

Solche Mutmaßungen scheinen mir die hartgesottene Widerborstigkeit von CSU-Männern gegen den kriminologischen Automatismus, der für jeden Unfallgeschädigten zivilrechtlich eine Selbstverständlichkeit ist, schon eher zu erklären. Sie weigern sich gegen eine Art Verursacherprinzip beim „Mord im Mutterleib“ oder, um es menschengerechter zu formulieren: Sie wollen nicht die Verantwortung dafür übernehmen, daß ihr Sexualverhalten auch eine moralische Voraussetzung dafür ist, was sie strafrechtlich Frauen als „Mord im Mutterleib“ ankreiden. Sie wollen nicht zu den „Mördern“ werden, die sie nach ihren eigenen Moralansprüchen ohne Zweifel aber sind.

Bei der Gesetzesgestaltung geht es jetzt um den harten Kern. Wem wird letztlich „Tötungsschuld“ angeheftet: der abtreibenden Ehefrau oder dem gewaltsam-schwängernden Ehemann? Würde nach dem „Gesetz über die sexuelle Gewalt in der Ehe“ schuldig gesprochen, so wären Männer auch schuldig für die „Folgeschäden“. Mit einer kriminologischen Indikation gäbe es da keine Zweifel mehr. Der Ehemann wäre schuldig, weil er seine sexuelle Befriedigung gegen den Willen der Ehefrau gesucht und sie dabei geschwängert hat.

Was ich aber noch viel entscheidender in dieser Causa des heiligen Eiferns halte, ist etwas anderes: Vor allem Männer aus der CSU scheinen sich „nach dem Gesetz“ schon schuldig zu wähnen, obwohl es das Gesetz noch nicht einmal gibt. Möglicherweise vergleichen sie bereits insgeheim ihre eheliche Sexualpraxis mit den zukünftigen Straftatbeständen und stufen sich straftatsrelevant und formal-juristisch denkend - wie sie nun einmal sind - als verurteilbar selber ein.

Immerhin ist das geplante Gesetz der Einzug des ideellen Staatsanwaltes in die Ehebetten. Denn Eheverhältnisse, die sich nicht durch die offene Sprache in Konflikten selbst regulieren können und auch auf die Partnertherapie verzichten, wird die richterliche Instanz und der Staatsanwalt als soziale Gewissensinstanz beigegeben, wenn es zu gewalttätiger Sexualität kommt. Diese Instanz heilt aber nicht, sie straft. Das tut nicht nur weh, es kränkt auch das Selbstwertgefühl.

Die strafrechtliche Schuld könnten CSU-Männer noch damit abtun, daß parlamentarische Mehrheitsverhältnisse neue Standards festlegen, die aus ihrer Sicht zwar unsinnig sind, mit denen sie sich aber abfinden müssen.

Ihr Selbstwertgefühl wird aber unerträglich verletzt, wenn ein Strafgesetz ihre Art von Sexualität mit ihren Frauen ablehnt, die sie mit ihnen bislang gewohnt waren und gegen die sich ihre Ehefrauen bislang nie ernstlich aufgelehnt haben. Aber dagegen scheint die Unterstützung des Gesetzes durch CSU-Frauen zu sprechen. Vielen Männern in der CSU wird es auch darum gehen, daß die Kinder, die nach dem „alten Modus“ gezeugt wurden, in der Partnergeschichte nicht nachträglich zu „Kindern von Vergewaltigern“ werden.

Deshalb wollen sie mit einem Gesetz gegen die Vergewaltigung in der Ehe eines klarstellen: Die Strafbarkeit der ehelichen Sexualgewalt ist ein Problem der Frauen und nicht eines der Männer. Wenn Frauen die Art der Sexualität, die sie an ihnen über Jahrzehnte praktiziert haben und die zur Zeugung ihrer Kinder geführt hat, jetzt nicht mehr wollen und daraus entstehende Schwangerschaften gegen alles „Liebgewordene“ ablehnen, dann kann das nur mit Verrücktheiten in den Frauen zu tun haben. Und hier zeigt sich die wahrhaft machistische Größe, die beim Türenöffnen, dem Handkuß und der Zigarettenanzündehilfe ihren Niederschlag findet: Frauen ist nicht zumutbar, was sie „überfordert“! Die machistische Kavaliersattitüde ähnelt hier der jährlichen Spende fürs Müttergenesungswerk. Stoßen Frauen an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit, verdienen sie Hilfe! Klar muß nur sein, daß sie nicht an den Folgen einer antiquierten männlichen Gewalt- und Zeugungsmodalität scheitern, nach der die Frauen genommen werden wollen und die Kinder ihnen gemacht werden müssen! Aus diesem Grund wird dann die „schwere Notlage“ ausnahmsweise einmal nicht nach dem Memminger Katholikenmodell nur in Mark und Pfennig berechnet, sondern auch nach Maßgabe psychischer Belastungsgrenzen von Frauen. Frauen müssen aber, da wird es wohl mit den CSU-Männern keinen Kompromiß geben, an sich selbst scheitern. Denn sonst wäre an der Strafbarkeit ehelicher Gewaltsexualität mehr dran als nur eine parlamentarische Abstimmungsniederlage: nämlich das Ende einer traditionsreichen Sexualkultur, in der der Mann nicht fragt und die Frau nichts sagt!

Die „schwere Notlagenindikation“ zeigt hier einmal mehr, daß sie nichts anderes ist als ein politisches Nadelöhr, durch das die machistische Kultur mit ihren tiefverankerten katholischen Eigenarten ihr Wunschbild von Weiblichkeit zwängen will.

Gerhard Amendt ist Hochschullehrer an der Universität Bremen, Fachbereich Erziehungswissenschaften. Er war lange Jahre Vorsitzender der Bremer „Pro Familia“.

Veröffentlichungen:

„Die bestrafte Abtreibung“, Ikaru Verlag, Bremen 1988

„Der neue Klapperstorch. Die psychischen und sozialen Folgen der Reproduktionsmedizin“, Ikaru Verlag, Bremen 1988 (2. Aufl.)

„Die Macht der Frauenärzte“, Fischer Verlag, 1988

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