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Bürokratische Fleißarbeit

Die Rehabilitierung von Ernst Bloch läuft der realen Welt hinterher  ■ G A S T K O M M E N T A R

Was die Rehabilitierung von Ernst Bloch bedeuten soll, weiß ich nicht. Bloch ist im Zusammenhang mit den Ereignissen nach dem ungarischen Aufstand 1956 angegriffen worden. Aber er wurde nicht verhaftet. Verhaftet wurden Walter Janka, Wolfgang Harich und einige andere, und denen hat man wegen „Verschwörung gegen den Staat“ einen Prozeß gemacht und sie zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Rehabilitieren muß man Walter Janka, dem man einen erlogenen Prozeß durch den Generalstaatsanwalt Melsheimer angehängt hatte und den man unschuldig jahrelang ins Zuchthaus steckte. Gegen Ernst Bloch hat es ja keinen Prozeß gegeben.

Was soll das überhaupt heißen, Ernst Bloch, einen weltberühmten großen Denker unserer Zeit, zu rehabilitieren? Wovon denn? Von dem Vorwurf, die Absetzung Walter Ulbrichts gewünscht zu haben? Aber natürlich hat er sie gewünscht. Von dem Vorwurf, Walter Ulbricht verachtet zu haben? Aber er hat ihn ja verachtet. Eine Rehabilitierung jetzt ist einfach eine bürokratische Fleißarbeit, die man sich hätte ersparen sollen. Der Fall Havemann liegt ganz anders, dem hat man bitteres Unrecht angetan.

Ernst Bloch nun, jetzt komme ich auf das, was man ihm angetan hat: Ich war dabei in der Wohnung von Bloch in Leipzig, als der reitende Bote - im wörtlichen Sinne: ein Kurier - von Walter Ulbricht kam. Ich habe den Brief Ulbrichts an ihn gelesen: Man habe den Eindruck, daß Ernst Bloch seinen Pflichten gegenüber Staat und Gesellschaft nicht nachgekommen sei. Er werde emeritiert, und es werde ihm verboten, das Institut für Philosophie wieder zu betreten. Sein Gehalt werde er weiter bekommen. Publizieren könne er auch weiter - was natürlich gelogen war, denn unter den Umständen konnte Bloch nicht eine einzige Zeile mehr veröffentlichen. Er ist mit einundsiebzig, zweiundsiebzig Jahren zwangs-emeritiert worden. Was da rehabilitiert werden soll, sehe ich nicht recht. Eine ganz andere lustige Geschichte hängt allerdings damit zusammen. Bloch selbst war ja gar nicht Mitglied der SED, aber seine Frau Karola Bloch war in der Partei. Sie ist ausgeschlossen worden aus der SED, und wenn es da konsequent zuginge, müßte sie jetzt rehabilitiert und wieder in die SED aufgenommen werden. Aber das würde ich eigentlich schade finden. Denn der Ausschluß von Karola Bloch war ein Meisterwerk der bürokratischen Perfidie: Sie wurde nämlich ausgeschlossen aufgrund des Vorwurfs, „Personenkult“ betrieben zu haben - und zwar mit ihrem eigenen Mann.

Aber die „Aktion Rehabilitierung“ in bezug auf Ernst Bloch ist noch viel weitreichender unsinnig: Ein Philosoph erhält seine Bedeutung nicht von irgendeiner Bürokratie zuerkannt, sondern von der Geschichte. Was sich in der DDR vollzieht, ist eine Verwirklichung der Gedanken von Bloch. Man braucht gar nicht abstrakt vom „Prinzip Hoffnung“ zu sprechen. Ich denke an die ungeheure Veranstaltung in Berlin am 4. November, eine halbe Million Menschen gehen auf die Straße, und zu den Massen sprechen - ein vollkommenes Novum in der deutschen Geschichte - Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller, direkt oder indirekt von Bloch beeinflußt. Christa Wolf hat doch selbst noch bei Bloch und auch bei mir in Leipzig studiert oder Christof Hein und andere. Der Gedanke, der immer wieder vertreten wurde, das Schlagwort, das die Massen gerufen haben, hieß ja „Erlernung des aufrechten Gangs“. Das ist doch die Formel von Ernst Bloch, das, was er immer wieder gepredigt hat! Das heißt, das, was sich vollzieht, das Erwachen zur Identität des Volkes und der Menschen zur Kenntlichkeit, das sind doch alles Begriffe von Ernst Bloch, das ist doch Umsetzung seines Denkens. Die Rehabilitation - wenn wir diesen Begriff ein letztes Mal aufnehmen - ist längst vollzogen: durch die Wirklichkeit.

Hans Mayer

Der Gastkommentator ist Schriftsteller und Literaturwissenschaftler in Tübingen. Die taz dankt herzlich für diese telefonische Stellungnahme trotz angegriffener Gesundheit.

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