: Winterschlußverkauf im DDR-Sport?
Der starre „Sportkalender“ ist gefallen, seit Freitag können innerdeutsche Spiele und Veranstaltungen frei vereinbart werden / Was aus dem DDR-Sport wird, weiß derzeit niemand ■ Aus Berlin Herr Thömmes
Bis im Mai dieses Jahres die „DDR-Tour '89“ der Bunten Liga Aachen anlaufen konnte, war allerhand subversive Energie nötig. Kontakte knüpfen, Schlafplätze organisieren, Spielfelder und vor allem gegnerische Kicker waren aufzutreiben. Die Fußballwoche der zwanzig westdeutschen Alternativkicker führte von Ost-Berlin über Dresden bis in die Sächsische Schweiz und lief ab wie eine geheime Kommandosache: gespielt wurde in DDR-Trikots, die Spielpartner erfuhren teilweise erst kurz vor Anpfiff, daß sie gleich gegen BRD-Waden treten durften, Nervosität und Unsicherheit aller Orten. Das ganz normale Spiel mit dem runden Ball geriet zum aufregenden Abenteuerurlaub mitten in Europa.
Vergangene Woche noch wandte sich Dynamo Windrad aus Kassel, bekanntgeworden durch seinen Rechtsstreit mit dem Deutschen Fußball Bund (DFB) wegen der prokommunistischen Schleichwerbung im Vereinsnamen, freudig an die Öffentlichkeit. Nach langem Begehren sei es nun endlich gelungen, die offizielle Genehmigung für den Besuch eines DDR-Klubs in Kassel zu erlangen.
Seit Freitag, 11.30 Uhr, sind das alles alte Kamellen. Der listige Aachener Trip ist sowenig wiederholbar wie die Kasseler Anträge an die ostdeutsche Sportbürokratie notwendig. Künftig, so vereinbarten Kurt Eichler und Hans Hansen, die beiden höchsten Repräsentanten der zwei deutschen Dachorganisationen im Sport, gilt für deutsch -deutsche Sportbegegnungen ein einfaches „Laisser-faire“.
Abgelöst wird damit der bisher gültige „Sportkalender“. Fünfzehn Jahre lang, seit 1974, trafen sich zu dessen Festlegung der DTSB (DDR) und der DSB (BRD). Ganze 130 Sportbegegnungen pro Jahr hatten die Funktionäre dabei zu verplanen, ungefähr 20 Fußballspiele wurden abgesegnet. Anträge von Vereinen und Verbänden gab es zwar zuhauf, aber sportliche Vergleiche vor allem auf unterer Ebene blieben fast ganz auf der Strecke.
Die Revolution
dauerte 90 Minuten
Die „sozialistische Neuerung“ (Eichler) in der DDR revolutioniert nun auch den innerdeutschen Sportverkehr. Lediglich 90 Minuten saßen die beiden Sportchefs in einem Konferenzraum eines Westberliner Hotels zusammen, was den Funktionär aus der DDR im Gegensatz zu seinem Kollegen „eigentlich nicht überraschte“. Dann packte Eichler die neuen Abmachungen in einen schlichten Satz: „Wenn ein Verein in Lübeck mit einer Sportgemeinschaft, wie das bei uns heißt, von Schwerin spielen will, dann mögen sie das vereinbaren.“
Was am Samstag hierzulande in allen Zeitungen in großer Breite als Sensation gehandelt und kommentiert wurde, war in den DDR-Blättern dagegen kaum zu finden. Nur die 'Junge Welt‘, Zentralorgan der FDJ, widmete dem Thema einen ausführlicheren Bericht, in dem die alte Regelung als „von der Zeit überholt“ und die neue als „logisch“ dargestellt wurde. Die anderen Blätter begnügten sich mit kurzen, dürren Agenturmeldungen, aus denen die Tragweite der Vereinbarungen nur schwer zu entnehmen war.
Das 'Neue Deutschland‘, wo die Sportredaktion in Schnitzlerscher Manier die sozialistischen Errungenschaften verteidigt, widmete sich lieber ausführlich der Frage, ob man sich in der DDR künftig weiter an Medaillen wird freuen können. Ganz zu Unrecht kommt die Befürchtung nicht. Der gesellschaftliche Umbruch macht auch vor dem Sport nicht halt, und wie in Politik und Wirtschaft weiß niemand so recht, wie es weitergehen soll.
Der alte Zentralismus ist dahin, Kompetenzen werden künftig auch unten angesiedelt. Kritik am bisherigen Fördersystem vor allem medaillenträchtiger Sportarten wird laut, die einen wollen mehr Tennisplätze, andere die Eishockey-Liga aus nur zwei Teams endlich aufstocken. Und nicht nur der Dresdner Mittelfeldspieler Sammer denkt öffentlich über einen lukrativen Vertrag in der Fußball-Bundesliga nach. Plötzlich sind die materiellen und gesellschaftlichen Kosten der stolzen Erfolge des DDR-Sports im Gespräch, das Neue Forum stellt, frevelhaft wie die Grünen, den Hochleistungssport in Frage.
Unklar auch, welche Auswirkungen die angestrebten „Valutamark“ auf die Sportstruktur haben werden. Zwar hingen bei den letzten DDR-Meisterschaften im Schwimmen bereits Wegbereiter im Wasser, war schon vorher die Scheu vor dem Kommerz ein Opfer der Devisenknappheit geworden, doch am finanziell ergiebigen Weltcup der Leichtathleten zum Beispiel hatte sich die DDR nur spärlich beteiligt und alle Kräfte auf die internationalen Meisterschaften gerichtet.
Jetzt plötzlich verlangen die Bobfahrer „nach einem Sponsor“ und wollen sich nicht mehr mit kümmerlichen 35.000 DM der Frima Warsteiner abspeisen lassen. Ob damit auf Dauer die Hoffnung von Kurt Eichler, „die Leitungen des Sports in ihrer Souveränität nicht einzuschränken“, aufgehen wird?
Am Freitag jedenfalls gab sich der DTSB-Präsident noch locker und aufgeräumt. Gemeinsame Kommissionen beim Kampf gegen Doping wurden in Aussicht gestellt, Sport und Umwelt soll ein deutsch-deutsches Thema werden; selbst zur westlichen Phantasie von gesamtberliner Olympischen Spielen äußerte er sich derart diplomatisch, daß, wer wollte, ein sanftes „Ja“ interpretieren konnte.
Nur bei einem Punkt zeigte Eichler Härte. Wer der DDR den Rücken kehrt, muß auch weiterhin die international üblichen Sperren durchwarten: „Den Sportlern werden ja keine Schwierigkeiten gemacht, sie haben sich selbst in Schwierigkeiten gebracht.“ Wenn Eichlers Postulat „Einen Ausverkauf machen wir nicht“ ernst gemeint ist, kann sich die DDR auch gar nicht anders verhalten. Zu schnell würde sonst die Leistungsspitze in vielen Sportarten abwandern. Und wenn schon möglicherweise vereinzelt Freigaben erteilt werden, sollen sie wenigsten - wie bei den Fußballern denkbar - „Valutamark“ einbringen.
Gesamtdeutsche Dummheit
Im Gegensatz zur unabsehbaren Entwicklung des DDR-Sports zeichnet sich auf dem innerdeutschen Sportprogramm Konkretes ab. Die bundesdeutschen Verbände unterbreiteten bereits am Samstag erste Offerten: Die Fußballer wollen das nach 1974 zweite Länderspiel in der Geschichte, im Basketball „stapeln sich die Anfragen“ nach Spielpartnern, der Tischtennisbund bietet bei der Gegnersuche seine Vermittlung an, als erste gesamtdeutsche Dummheit ist eine grenzüberschreitende Auto -Ralley schon fest vereinbart.
Nur den hiesigen Boxern muß die neue Freiheit vorkommen wie eine schlimme Drohung. Für Dezember 1990 haben die Verbände einen Länderkampf anvisiert, und beim letzten Treffen vor zwei Jahren wurden die Westler von den bärenstarken Konkurrenten beim 4:20 in Rostock mächtig vermöbelt.
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