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DIE MAULWÜRFIN

■ „Die Nacht“ von Lotte Grohe im Parkhaus

Die langen nackten, weißen Arme: das sind Tentakeln, die sich aus dem Dunkeln langsam vorwärts tasten; das sind Gewächse, die von der Strömung im tiefsten Wasser ergriffen werden; das sind zwei Schlangen, die einander vorsichtig umringen. Diese fremden Lebewesen wagen sich zuerst über den Erdwall hinaus in den von Kerzen spärlich erleuchteten Raum. Sie ziehen einen schlafenden Körper nach sich, einen blinden, larvenähnlichen Torso, der immer wieder hinabsinkt. Später werden die Arme zu kralligen Greifern, die in maschinenmäßigem Takt die Erde auf den inzwischen erwachten und begierigen Körper schaufeln.

Die Tänzerin Lotte Grohe scheint in ihrer einstündigen Performance „Die Nacht“ nicht zur gleichen Gattung der Lebewesen zu gehören wie ihr in dicke Winterjacken, Wollschals und Decken eingemummeltes Publikum zwischen dem Schutt einer im Umbau befindlichen Tiefgarage. Ihr Wärmehaushalt kann nicht der gleiche sein. Nackt bewegt sie sich mit der langsamen Geschmeidigkeit eines urtümlichen Wesens. Ihre Energie entsteht an dem dunklen und kalten Punkt, der für uns nur als Grab taugt. Erscheint sie zuerst verletzbar, schutzbedürftig und ausgesetzt in einer verunsichernden Umgebung, in deren Dunkelheit und Stille Zeitgefühl, Orientierung und visuelle Wahrnehmung der Tagesmenschen gestört werden, so erweist sie sich bald in ihrer Vermählung mit dem Element als das stärkere und an diesem Ort überlebensfähigere Wesen. Immer aber bleibt ihre Kraft zentriert; kaum kann sie sich aus ihrem Urgrund, in dem ihre Beine wurzeln, lösen.

Trotz der Eindringlichkeit der Inszenierung bleibt ein Rest von Unbehagen gegenüber dieser Geburt aus dem Schoß der Erde. Erde und Weiblichkeit erfahren eine sakrale Verklärung. In ihrer Identifikation wird mit Absolutheitsanspruch Weltanschauung gelehrt. „Die Nacht“ stilisiert sich als Offenbarung.

Katrin Bettina Müller

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