Wir bauen die alte Gewerkschaft aus

Peter Müller, Vorsitzender des Streikausschusses von CKD Prag und Mitglied der Verhandlungskommission mit der Regierung  ■ I N T E R V I E W

taz: In den vergangenen 20 Jahren wurde immer wieder nach den Arbeitern gefragt, wo stecken sie, warum gehen sie nicht auf die Straße, lassen ihren Unmut raus, und noch vor einigen Tagen war die Opposition unsicher, ob sich die Arbeiter am Streik beteiligen werden. Wie erklären sie sich einerseits die Zurückhaltung und nun den spontanen Massenprotest.

Peter Müller: Es stimmt, daß die Arbeiter ziemlich ruhig waren. Sie haben zu allem eine abwartende Haltung eingenommen. Besonders die Arbeiter mittleren Alters. Sie haben nämlich schon einiges erreicht. Auch an Konsum. Was bei uns ja nicht leicht und auch nicht billig ist. Bei einem früheren Zeitpunkt hätten sie da einiges aufs Spiel gesetzt, und in der letzten Woche mit den Studentenprotesten war dann der Gipfel erreicht: So, jetzt kommt es auf uns an. Und dann haben sie Partei ergriffen.

Der offizielle Gewerkschaftsverband ROH ist in den letzten Tagen in der Versenkung verschwunden, nachdem die Arbeiter nun auch seine strikte Ablehnung des Generalstreiks nicht beachtet haben. Werden die Arbeiter bald eine Gewerkschaft gründen?

Darüber wird viel diskutiert. Im Augenblick jedoch glauben wir, daß es besser wäre, die bestehende Gewerkschaft von innen heraus umzubauen. Wenn wir eine neue Gewerkschaft ins Leben rufen, bringt dies viele Probleme. Denn es wird dann sicher nicht eine, sondern mehrere Neugründungen geben. Liberale, Grüne, sozialdemokratische Gewerkschaften, jede politische Richtung hätte ihre eigene. Wir, der Streikausschuß des CKD-Kombinats, des Hauptbetriebs von CKD, meinen, daß die Streikausschüsse zu Gewerkschaftsgruppen werden müssen. Wir werden in unserem Betrieb die Initiative ergreifen, die bisherigen Gewerkschaftsvertreter erkennen wir nicht an. Wir werden neue Wahlen ausschreiben und dazu einen neuen Wahlmodus entwickeln.

Im Programmentwurf des Bürgerforums ist von gemischten Eigentumsformen die Rede. Gleichzeitig will es dem Staat die Aufgaben der sozialen Sicherung übertragen. Vor allem soll er drohender Arbeitslosigkeit entgegensteuern. Haben die Arbeiter vor diesem Umstand keine Angst, und glauben sie an die Machbarkeit eines solchen Vorhabens?

Mit Arbeitslosigkeit haben wir bisher keine Erfahrung. Es gab sie bei uns nicht, aber wir glauben, daß es dazu nicht kommen wird, wenn in der Tschechoslowakei weniger ausländische Arbeiter als heute beschäftigt sein werden. Außerdem ist es wichtig, daß die Mittel für künstlich geschaffene Arbeitsplätze, die von KP und Gewerkschaftsfunktionären besetzt sind, die schon lange in Rente gehen sollten, für die Schaffung neuer Arbeitsplätze verwendet werden. Alles hängt von der Organisation der Arbeit ab. Sie ist zur Zeit zum Verzweifeln. Auf der anderen Seite ist es hier besser als in Polen und Ungarn.

Gehen wir mal davon aus, daß bei einer zu erwartenden Öffnung der Volkswirtschaft erhebliche soziale Probleme auf die CSSR zukommen. Wie sehen sie die Chancen für eine erneuerte linke Politik, oder hat sie endgültig verspielt?

Soziale Probleme kann nicht nur die KP lösen. Es gibt hier auch andere sozialistische Parteien, die Schwierigkeiten haben. Zum Beispiel entstand vor kurzem eine sozialdemokratische Partei. Ich glaube, keine Partei wird sagen, daß ihr die Arbeiter unwichtig sind. Alle werden sich um eine besser Organisierung des Wirtschaftssystems bemühen. Wenn ihnen das nicht gelingt, haben auch die Arbeiter keinen Einfluß, so die im Betrieb vorherrschende Meinung.

Es führt wohl kein Weg daran vorbei, die unrentablen Betriebe nun zu schließen. Gibt es in der Arbeiterschaft dazu alternative Vorstellungen?

Es wird gesagt, daß diese Betriebe geschlossen werden sollen. Ich meine, daß man Arbeit finden muß, die nicht unrentabel ist, aber das ist nicht die Aufgabe der Arbeiter. Das ist die Antwort. Ich hoffe, sie ist diplomatisch genug.

Waren Sie jemals Mitglied der KP?

Nein, niemals.

Interview: Klaus Helge Donath