: Brutaler Rückfall
■ Der Politik der Stärke gegen den RAF-Hungerstreik folgt die Eskalation
Spätestens seit gestern ist klar: Es gibt in der Bundesrepublik eine linke Nachkriegsvariante der Ewiggestrigen und Unbelehrbaren. Fast zwanzig Jahre nach dem Startschuß für den Krieg der „Sechs gegen die Sechzigmillionen“, zwölf Jahre nach dem Deutschen Herbst, der mit dem Tod der ersten RAF-Generation und dem des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer und seiner Begleiter nicht endete, sondern eine beispiellose Aufrüstung des bundesdeutschen „Sicherheitsapparats“ zur Folge hatte, glauben einige Desparados immer noch, diese satt -selbstzufriedene Republik durch individuelle Morde destabilisieren zu können. Es ist zum Heulen. In einer Zeit, in der Weltgeschichte im Zeitraffertempo gemacht wird, in der überall festgefügte Weltbilder - nicht nur linke - in Trümmern liegen, macht der große Knall von Bad Homburg vor allem eines deutlich: Die geistige Selbstisolation der versprengten Reste der RAF steht offenbar nicht zurück hinter der ihrer gefangenen Freunde in den Isolationsknästen. Die Botschaft dieses Anschlags zeugt von grenzenloser Selbstüberschätzung: Die Welt von Jalta neigt sich ihrem Ende zu, überall bieten sich neue Chancen für Veränderungen. Allein die selbsternannte revolutionäre Avantgarde der Bundesrepublik weiß in dieser Situation, wie gehabt, wo es langgeht. Sie allein kennt den Kurs - zu alten Ufern.
Noch vor einem halben Jahr sah das anders aus. Fast genau 100 quälende Tage dauerte damals der zehnte erfolglose Versuch, die Isolation in den Hochsicherheitstrakten mit einem Hungerstreik zu überwinden. Erstmals gelang es den Gefangenen aus der RAF, den festgezurrten „Konsens der Demokraten“ über ihre isolierenden Haftbedingungen aufzubrechen. Die Gefangenen verzichteten auf die üblichen martialischen Parolen und verpflichteten die Unterstützergruppen weitgehend erfolgreich auf eine gewaltfreie Begleitung. Ton und Inhalt der Erklärungen, die den Hungerstreik begleiteten, gaben Anlaß zu Hoffnungen, die RAF werde das Konzept des bewaffneten Kampfs endgültig begraben. Der Rückfall kam nicht von ungefähr. Dumpfes Schuld-und-Sühne-Denken in den unionsregierten Ländern und wohlberechnete Rücksichtnahmen von CDU/CSU auf ihre rechtsaußen angesiedelte Klientel verhinderten einen lange möglichen Kompromiß. Die Gefangenen blieben verbittert in ihren Zellen zurück.
Es war ein finsteres halbes Jahr“, schrieb vor wenigen Wochen Helmut Pohl, Sprecher der Gefangenen während des Hungerstreiks, über die Zeit danach. Sein Brief stellte die alte, blutige Schlachtordnung wieder her: Man müsse die Kosten für das verhaßte System höher treiben, als den Profit, den es sich von einem Festhalten am Status Quo verspreche. Doch die christlichen Politiker sollten in sich gehen, bevor sie Pohls Schreiben wie eh und je als Beweis für ihre nie untermauerte Behauptung hernehmen, Anschläge würden aus den Knästen gesteuert.
Der Mord von Bad Homburg ist nicht zu rechtfertigen. Aber über der nun einsetzenden Orgie des Entsetzens, der Abscheu und der Empörung darf dies nicht vergessen werden: Alfred Herrhausen könnte noch leben, wenn CDU und CSU der Zusammenlegung der Gefangenen zugestimmt hätten.
Gerd Rosenkranz
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